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Triumph und Desaster in Stuttgart

In Baden-Württemberg kann sich Ministerpräsident Kretschmann seine künftigen Koalitionspartner aussuchen

  • Dirk Farke
  • Lesedauer: 4 Min.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz träumt nach den Landtagswahlen des Wochenendes von Mehrheiten »diesseits der Union«. Derweil gibt FDP-Chef Christian Lindner schon mal bescheid, dass seine Partei bekanntlich zu jeder Koalition im Bund auch Nein sagen kann.

Erst einmal stehen Mehrheiten ohne Union nur in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zur Debatte, und in beiden Fällen ist es allein die stärkste Partei, die darüber entscheidet. Im »Ländle« sind das ganz klar die Grünen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Aber während die Mainzer SPD-Regierungschefin und Wahlsiegerin Malu Dreyer bereits klar gesagt hat, sie wolle mit Grünen und Liberalen weiterregieren, hält sich Kretschmann noch bedeckt. Er werde mit allen drei Parteien, also CDU, SPD und Grüne, »ernsthafte Gespräche« führen, kündigte er an. Und der große Abstand zwischen den mit sensationellen 32,6 Prozent der Stimmen siegreichen Grünen in Baden-Württemberg zur zweitplatzierten CDU mit nur noch 24,1 Prozent sorgt dafür, dass sie letztlich die Bedingungen jeglicher Kooperation vorgeben können.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Die Grünen sind in Baden-Württemberg mittlerweile ganz klar die einzig verbliebene Volkspartei. Denn für die SPD sieht es dort alles andere als rosig aus – was die Partei mit ihrem Jubel über das gehaltene gute Ergebnis in Rheinland-Pfalz vergessen machen möchte. Für die Grünen bliebe sie Juniorpartnerin, sollte sich Kretschmann für eine Zusammenarbeit mit ihr entscheiden, denn aus dem Tief des desaströsen Ergebnisses 2016 kommt sie im Südwesten überhaupt nicht heraus: Nur elf Prozent der Wählerstimmen konnten die Sozialdemokraten auf sich vereinen und damit noch einmal 1,7 Punkte weniger als 2016. Damals hatte sich ihr Ergebnis um 10,4 Prozentpunkte nahezu halbiert. Dagegen konnte die FDP mit 10,5 Prozent gegenüber 2016 erneut um 2,2 Punkte zulegen.

Den Kontrast zwischen Desaster der CDU und Triumph der Grünen illustriert das Ergebnis im Stuttgarter Heimatwahlkreis von CDU-Spitzenkandidatin und Kultusministerin Susanne Eisenmann. Gerade noch 21,7 Prozent erreichte sie hier. Umweltminister Winfried Herrmann (Grüne) holte dort hingegen erneut das Direktmandat, und zwar mit traumhaften 39,8 Prozent. Das ist gegenüber 2016 noch einmal eine Verbesserung um 2,6 Prozentpunkte.

Die Maskenaffäre der CDU im Bundestag allein ist als Erklärung für das Desaster der Christdemokraten im Südwesten sicher keine ausreichende Erklärung. Sie haben auch mit einer veritablen Führungsschwäche zu kämpfen. Sicher, auch Übervater Kretschmann ist nicht unfehlbar. So meinte er beispielsweise, man solle die Sommerferien verkürzen, damit die Kinder den durch den Lockdown verlorenen Lernstoff nachholen könnten. Ein Aufschrei der Empörung nicht nur bei der Lehrerschaft ging durchs Land, woraufhin der Ministerpräsident sofort zurückruderte: Er habe nur mal laut nachgedacht, die Sommerferien seien natürlich heilig, erklärte er eilig. Seine Umfragewerte tangierte der Fauxpas nicht mal ansatzweise.

Auch die gegen Kretschmanns industriefreundliche Politik im Herbst gegründete Klimaliste hatte gegen den Prototyp des konservativen Landesvaters keine Chance. Landesweit kam sie gerade mal auf 0,9 Prozent und begann bereits vor der Wahl, sich selbst zu zerlegen. So berichtete die »Stuttgarter Zeitung«, Jonathan Heckert, Kandidat der jungen Partei im Wahlkreis Stuttgart I, habe dazu aufgerufen, nicht ihn, sondern den Kandidaten der Linken, Filippo Capezzone, zu wählen. »Im Sinne der Klimagerechtigkeit kann ich es nicht mit mir vereinbaren zu empfehlen, die Klimaliste zu wählen«, sagte er der Zeitung. Denn ökologische müssten mit sozialen Fragen im Einklang sein, das werde in seiner Gruppierung nicht ernst genug genommen. Was ihn darüber hinaus an seiner eigenen Partei störe, sei ein fehlendes Bewusstsein für sprachliche Gleichstellung. Außerdem leugneten Teile der Partei ein strukturelles Rassismusproblem in Deutschland.

Und was macht die Partei, mit der Klimaaktivist Heckert den Anspruch verbindet, die soziale Frage mit der ökologischen zu verbinden? Auch im dritten Anlauf hat es für die Linke zum Einzug in den Landtag nicht gereicht. Immerhin konnte sie sich von 2,9 auf 3,5 Prozent verbessern. Wohl auch deshalb gibt sich Linke-Landesprecher Dirk Spöri aus Freiburg optimistisch. »Wir haben hier in Freiburg genauso viele Stimmen geholt wie die CDU, und damit hat vor der Wahl sicher niemand gerechnet«, sagte Spöri dem »nd«. In der Breisgau-Metropole kam die CDU auf 12,3 und die Linke auf 12,2 Prozent. Gleichwohl habe die Partei in der Fläche Probleme, räumt Spöri ein: »Die ländlichen Regionen wählen traditionell tiefschwarz und personenbezogen konservativ. Da tun wir uns hier einfach immer noch sehr schwer.«

Grüner Platzhirsch. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat gute Chancen, auch nach der Landtagswahl weiter zu regieren

Die Klimaliste kam in Freiburg bei etwas über dem Durchschnitt liegender Wahlbeteiligung auf 2,4 Prozent. Die Grünen, die in der Universitätsstadt traditionell besonders stark sind, erreichten 42 Prozent.

Generell wird man sich im Superwahljahr wohl auf eine niedrigere Beteiligung an den Abstimmungen einstellen müssen. In Baden-Württemberg fiel sie gegenüber 2016 von 70,4 auf 63,8 Prozent. Dafür war die Zahl der Briefwähler coronabedingt weit höher als in den Jahren zuvor. Insgesamt waren 7,7 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen.

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