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2020 in den Schuhen von 2019

Vergangenes Jahr brachen die Konsumausgaben um 4,6 Prozent ein

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Als die Bundesregierung vergangenes Jahr ihre Konjunkturpakete schnürte, wollte sie damit nicht nur verhindern, dass durch die Coronakrise viele Unternehmen pleitegehen. Sie trieb auch die Sorge um, dass die Menschen aufhören zu konsumieren. Denn das würde den Konjunktureinbruch noch verschlimmern. »Wir müssen auch ein bisschen dafür sorgen, dass die Nachfrage der Verbraucherinnen und Verbraucher wieder anzieht«, sagte SPD-Kanzlerkandidat und Bundesfinanzminister Olaf Scholz in seiner Wumms-Rede im Juni vergangenen Jahres. CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier ließ sich knapp ein halbes Jahr später sogar zu der voll Pathos triefenden Aussage herab, dass Einkauf eine »patriotische Aufgabe« sei.

Nun konnten die beiden Bundesminister mit ihren Konjunkturprogrammen und Parolen doch nicht verhindern, dass sich die Lust und Möglichkeiten der Menschen, Geld auszugeben, vergangenes Jahr in engen Grenzen hielten. Um 4,6 Prozent ist der Konsum der privaten Haushalte im Vergleich zu 2019 eingebrochen, wie das Statistische Bundesamt am Montag anlässlich des Weltverbrauchertages mitteilte. Rechnet man die Inflation heraus, so belief sich das Minus sogar auf 5,0 Prozent. Das war der stärkste Rückgang seit 1970. Und dies unterscheidet die Coronakrise von der Finanzkrise 2008/09. Damals stiegen die Konsumausgaben und stabilisierten die Konjunktur.

Dabei haben Scholz und Altmaier einiges versucht, um das Abschmieren der Zahlen zu verhindern: Die Anhebung des Kurzarbeitergeldes ist nicht nur eine sozial-, sondern auch eine wirtschaftspolitische Maßnahme, weil die Betroffenen dadurch mehr Geld zum Ausgeben in ihren Taschen haben. Ferner erhielt jede Familie vergangenes Jahr einen Kinderbonus von 150 Euro pro Kind, den es auch dieses Jahr wieder geben soll.

Vor allem aber erhoffte sich Scholz durch die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer von Juni bis Ende Dezember 2020 einen Wumms. Rund 20 Milliarden Euro ließ sich die Bundesregierung diese Maßnahme kosten. Dabei hat sie das Geld weit weniger effektiv angelegt als beim Kinderbonus, wie etwa das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) im Januar in einer Studie konstatierte. So nutzte kaum jemand die Steuerrabatte für größere Anschaffungen. Jedoch, so stellte das IMK fest, stieg die Neigung, aufgrund der Mehrwertsteuersenkung Geld auszugeben, mit dem Einkommen.

Dies passt ins Bild, das die neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes liefern. So gingen die Ausgaben für kurzlebige Gebrauchsgüter um 5,4 Prozent zurück. Die Menschen sparten also an eher günstigen Sachen wie Schuhe und Bekleidung. Gleichzeitig gaben sie für Einrichtungsgegenstände wie Möbel und elektronische Haushaltsgeräte in der zweiten Jahreshälfte 2020 rund 6,9 Prozent mehr Geld aus als im Vorjahreszeitraum.

Besonders deutlich war der Effekt der Konjunkturmaßnahmen bei Autos, deren Absatz die Bundesregierung zusätzlich mit einer Kaufprämie für Elektro- und Hybrid-Fahrzeuge förderte. Nachdem im ersten Halbjahr 2020 rund ein Fünftel weniger Autos verkauft wurden, stieg die Nachfrage im zweiten Halbjahr um knapp zehn Prozent an. Wer also genug Geld hatte, kaufte sich ein Auto und nahm den Steuerrabatt mit. Wem das Geld fehlte, konnte sich vielleicht noch eine neue Couch kaufen. Vielen fehlte es offenbar auch dazu, weshalb sie 2020 in den Schuhen von 2019 rumliefen.

Indes hätte bei weitem nicht alles, was 2020 an Konsum wegfiel, mit Konjunkturprogrammen wettgemacht werden können. Auch das zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. So gingen vor allem die Ausgaben der Menschen für Dienstleistungen zurück - und zwar um 8,7 Prozent. Darunter fallen auch Ausgaben fürs Essen gehen und für den Urlaub. In diesem Bereich brachen die Ausgaben der privaten Haushalte um rund ein Drittel ein. Schließlich waren Hotels und Restaurants im vergangenen Jahr lange Zeit dicht. Da konnte man bei ihnen auch kein Geld ausgeben.

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