Keine Überraschungen am Rhein

Grüne gestärkt, FDP gestutzt: In der Mainzer Staatskanzlei kann und will SPD-Regierungschefin Malu Dreyer mit ihren bisherigen Partnern weiterregieren

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz am Sonntag konnte sich die SPD mit 35,7 Prozent der Zweitstimmen als tonangebende Kraft im Lande behaupten. Weit abgeschlagen auf Rang zwei landete die CDU mit einem historisch schlechten Ergebnis von 27,7 Prozent. Drittstärkste Kraft wurden die Grünen mit 9,3 Prozent, gefolgt von der AfD (8,3) und der FDP (5,5 Prozent). Erstmals vertreten im künftigen Sechs-Parteien-Landtag sind mit 5,4 Prozent die Freien Wähler. Die Linke bleibt mit 2,5 Prozent außerparlamentarische Opposition. Die Wahlbeteiligung sank von 70,4 auf 64,4 Prozent, hauptsächlich wohl pandemiebedingt. Die Zeichen stehen auf Fortsetzung der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP.

Auch wenn die Kräfteverhältnisse gleich um 18 Uhr bei der Bekanntgabe der Trendmeldung feststanden, bot der Wahlabend bis zur Verkündung des vorläufigen amtlichen Endergebnisses noch Anlass für Spannung. So schien am Anfang die Rechtspartei AfD im Rennen um Platz drei die Nase vorn zu haben. Doch je mehr Ergebnisse aus städtischen Wahlkreisen eintrafen, desto stärker holten die Grünen auf. Ihr bestes Ergebnis fuhren die Grünen mit 18,7 Prozent in der Landeshauptstadt Mainz ein. Auch in den Universitätsstädten Trier und Landau erreichten sie mehr als 15 Prozent.

Eine Zitterpartie wurde es gegen Ende auch für den Neuling in der landespolitischen Arena, die Freien Wähler. Sie ziehen jetzt mit 5,4 Prozent in Fraktionsstärke in den Mainzer Landtag ein. Sie sind vor allem ein Zusammenschluss kommunalpolitischer Honoratioren in ländlichen Regionen süddeutscher Flächenländer. Derzeit sind sie in Bayern in Parlament und Regierung vertreten. Nach Angaben ihres Spitzenkandidaten und designierten Fraktionschefs im Mainzer Landtag, Joachim Streit, als »bürgerliche Mitte«. Der Trierer CDU-Funktionär Moritz Petry nennt sie gar »Fleisch vom Fleisch der CDU«. Ihr Einzug in den Landtag habe »dafür gesorgt, dass bei der CDU Prozentpunkte abgeschmolzen sind«, so Petry. Streit ist direkt gewählter Landrat im nördlich von Trier und an der Grenze zu Belgien und Luxemburg gelegenen Eifelkreis Bitburg-Prüm, der zugleich aufgrund seiner dünnen Besiedelung der flächenmäßig größte Wahlkreis ist. Hier kamen die Freien Wähler auf 21,3 Prozent der Zweitstimmen. Streits Sohn Jakob holte als Direktkandidat für die FW 18,7 Prozent der Erststimmen. Während die Freien Wähler vor allem in der Eifel punkteten, holten sie in der Landeshauptstadt Mainz schlappe 1,9 Prozent der Zweitstimmen und damit weniger als Linke, Klimaliste und die linksliberale Volt.

Die bundesweit seit der Jahrtausendwende diagnostizierte Erosion der »Volksparteien« SPD und CDU zeigte sich auch bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz. Die Kurve der Summe für beide Parteien zeigt hier seit 20 Jahren kontinuierlich nach unten: Kamen sie bei der Landtagswahl 2001 zusammen noch auf 80 Prozent der Stimmen, so erreichen sie nun nur noch 62,9 Prozent. Und dass die SPD gegenüber 2016 nur einen halben Prozentpunkt verlor, darf nicht den Blick auf die Tatsache versperren, dass sie wie die CDU gegenüber 2016 viele Wähler verloren hat, die überhaupt nicht mehr an die Urnen gingen. Absolut kam die SPD auf 81 000 und die CDU sogar 142 000 Stimmen weniger als 2016.

Für die mit 2,4 Prozent weit abgeschlagene Linke gibt es nach Angaben der Forschungsgruppe Wahlen und ZDF nur einen Lichtblick: Sie schnitt in Rheinland-Pfalz mit fünf Prozent bei den 18- bis 29-Jährigen überdurchschnittlich gut ab.

Der voll auf die Ministerpräsidentin Malu Dreyer zugeschnittene Wahlkampf der SPD hat den Sozialdemokraten am Ende die meisten Direktmandate beschert. Doch nicht nur bei den Erststimmen, sondern auch bei den Zweitstimmen zeigte sich eine weitgehend rot eingefärbte Landkarte mit nur wenigen schwarzen Einsprengseln im ländlichen Raum und einem von den Grünen erstmals durch Katharina Binz errungenen Direktmandat im Wahlkreis 27 (Mainz I). Die SPD erhielt in 48 der 52 Wahlkreise die meisten Zweitstimmen, wie aus einer Analyse des Landeswahlleiters vom Montag hervorgeht. Die CDU liegt bei den Zweitstimmen nur in vier Wahlkreisen vorn, die alle im Norden des Landes liegen. Bei den Erststimmen konnte die SPD fünf Direktmandate mehr gewinnen als die CDU: Sie sicherte sich 28 der 52 Wahlkreismandate, die CDU 23. Das höchste Erststimmenergebnis erzielte Malu Dreyer mit 47,7 Prozent in Trier.

Dass all dies nur eine Momentaufnahme ist, zeigt ein Blick auf die Verteilung der Direktmandate bei der Bundestagswahl 2017. Damals war die Landkarte fast komplett schwarz eingefärbt, die SPD verteidigte nur im Wahlkreis Kaiserslautern ihr Direktmandat und blieb mit 24,1 Prozent der Zweitstimmen weit abgeschlagen hinter der CDU, die auf 35,9 Prozent kam. Auch bei der Bundestagswahl im September dürfte erneut der bundesweite Trend zum Tragen kommen.

Die Chefin der Mainzer Staatskanzlei stellte unterdessen klar, dass sie die Koalition mit Grünen und FDP fortsetzen will. Eine große Koalition könne »stets nur Ultima Ratio« sein, sagte Dreyer am Montag dem Sender SWR 1 Rheinland-Pfalz.

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