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  • Initiative »Hessen schaut hin«

Auf rassistische Worte folgen Taten

Die Initiative »Hessen schaut hin« hat im vergangenen Jahr 302 Vorfälle rechter Gewalt und Bedrohung erfasst

  • Marc Richter, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 3 Min.

302 Vorfälle rechter Gewalt und Bedrohung hat die Initiative »Hessen schaut hin« im Jahr 2020 erfasst. Dabei ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Die meisten der erfassten Fälle ereignen sich im öffentlichen Raum wie Parks, Restaurants oder Geschäften. Aber auch Nah- und Fernverkehr sind Schwerpunkte, genauso die direkte Nachbarschaft der Betroffenen.

Den Großteil der Vorfälle, 124 an der Zahl, machen vermeintlich harmlose schriftliche oder mündliche Beleidigungen aus. Allerdings, so betonte Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, zu der »Hessen schaut hin« gehört: »Rassismus und Antisemitismus sind nicht nur eine Frage der Sprache und der Symbolik.« Denn auf Worte folgen oftmals Taten, die für die Betroffenen lebensbedrohlich oder sogar tödlich enden können.

Das erklärte auch Roman Jeltsch vom Team von »Hessen schaut hin« bei der Vorstellung des Berichts am Dienstag. »Viele Täter*innen scheinen durch die rassistischen Diskurse in der Vergangenheit ermutigt zu sein, ihre Meinung offen zu zeigen«, so Jeltsch. Dabei stelle die Statistik von »Hessen schaut hin« nur einen kleinen Auszug dar. In vielen Fällen werde rechte verbale oder körperliche Gewalt nicht erkannt oder sie liege unter der Schwelle der Strafbarkeit. Auch deswegen machte Jeltsch deutlich: »Es handelt sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem, nicht das Einzelner.«

Dem will »Hessen schaut hin« in den kommenden Jahren noch besser begegnen. Als die Initiative Anfang 2020 ihre Arbeit aufnahm, war das Ziel, alle Vorfälle zu erfassen, in denen Menschen aufgrund ihres vermeintlichen »Andersseins« angegriffen werden. Das sogenannte Othering, die Zuschreibung und Einordnung von Menschen anhand bestimmter Merkmale, ist dabei die wichtigste Grundlage der Erfassung. Gleich, ob es dabei um sexuelle Orientierung, Hautfarbe oder Religion geht.

Allerdings wird erst mit der Zeit klar werden, wie groß die Diskrepanz zwischen polizeilich oder behördlich erfassten Fällen und der von »Hessen schaut hin« erfassten Zahl ist. Noch sei das nicht möglich, so Jeltsch: »Eine gute Einschätzung brauch eine Vergleichbarkeit der Daten. Jetzt geht es erstmal darum, Erfahrungen zu sammeln.«

Diese Erfahrungen und Daten zu sammeln, ist das wichtigste Ziel der Initiative. Darin unterscheidet sich »Hessen schaut hin« von der bereits seit sechs Jahren existierende Beratungsstelle »Response Hessen«. Denn bei »Hessen schaut hin« können Vorfälle gemeldet und erfasst werden, ohne dass die Betroffenen involviert sind.

Um künftig Vorfälle präziser erfassen zu können, startet am Mittwoch eine Plakatkampagne mit dem Titel: »Wegschauen gilt nicht«. Sie soll die Initiative bekannter machen und zur Meldung von Vorfällen ermutigen. Darauf zu lesen sind kurze Zusammenfassungen von Vorfällen, die sich im Jahr 2020 in Hessen ereignet haben. Von geschmierten Hakenkreuzen über Beleidigungen bis zu schwerer Körperverletzung machen sie klar: Bei dem angestrebten Paradigmenwechsel, wenn es um den Umgang mit rechter Gewalt geht, steht Hessen noch ganz am Anfang.

Das Bundesland wird seit Jahren von einer schwarz-grünen Landesregierung regiert. Meron Mendel forderte auch auf Landesebene einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Rassismus. »Der Bund hat nach dem Anschlag von Hanau relativ beherzt ein Maßnahmenpaket aufgesetzt, das Land Hessen hingegen kommt nur im Schneckentempo voran«, sagte er. Die rassistische Tat war am 19. Februar in der hessischen Stadt verübt worden. Der Täter ermordete neun Hanauer Bürger mit einem sogenannten Migrationshintergrund. Danach erschoss er in der elterlichen Wohnung seine Mutter und sich selbst.

Die Opfer und Hinterbliebenen des Terrors von Hanau hatten Aufklärung der immer drängenderen Fragen gefordert und schwere Vorwürfe gegenüber den Landesbehörden und Innenminister Peter Beuth (CDU) erhoben. Dabei geht es nach Auskunft der Linksfraktion im Landtag unter anderem um das mangelhafte Notrufsystem, den Einsatz der Polizei in der Tatnacht am und im Haus des Täters und um die Frage, warum der Täter – trotz massiver psychischer, politischer und strafrechtlicher Auffälligkeiten – legal Waffen besitzen durfte.

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