Die letzte Hoffnung ruht auf dem Sommer

In der Tourismusbranche stehen viele Unternehmen vor dem Aus

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 3 Min.

Die verzweifelte Lage vieler Betriebe in der Tourismusbranche hat längst auch eine politische Dimension erhalten. Laut dem Präsident des Brandenburger Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, Olaf Schöpe, gefährdet die monatelange Schließung der Unternehmen nicht nur die touristische Struktur, sondern auch die demokratische Ordnung. Die Mitglieder würden zunehmend eine rechte Gesinnung äußern, warnt Schöpe am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss.

Zudem ist der Verband mit einer massiven Austrittswelle konfrontiert. Begründet würde das vielfach mit der «nicht zu erwartenden Öffnung der Hotels und Gaststätten». Die finanziellen Rücklagen seien längst aufgebraucht. Inzwischen würden Tausende Unternehmer nicht mehr wissen, «wie sie aus ihren Hartz-IV-Einkünften Miete und Krankenkasse bezahlen sollen», sagt Olaf Schöpe. Rund 100 000 Menschen in Brandenburg würden - vor allem in kleinen und Kleinstunternehmen - im Gastgewerbe ihren Unterhalt bestreiten. Ein Viertel trage sich derzeit mit dem Gedanken, das Unternehmen zu schließen. «Viele haben es schon getan.»

Förderprogramme gebe es nur vom Bund, landeseigene Hilfsgelder fehlten, kritisiert Schöpe. 72 Prozent der Antragsteller hätten inzwischen die Novemberhilfen ausgezahlt bekommen, 65 Prozent die Dezemberhilfen. Doch 15 Prozent der Hotels und Gaststätten seien gar nicht antragsberechtigt gewesen - meist weil sie «Mischunternehmen» seien.

Laut Chef der Tourismus Marketing GmbH Brandenburg, Dieter Hütte, sind sogar 37 Prozent der Unternehmen, die mittelbar unter dem Tourismuseinbruch leiden, nicht berechtigt, Hilfen zu beantragen. Die letzte Hoffnung ruhe nun auf dem Sommergeschäft 2021. «Zwei Drittel sagen, wenn das ausfällt, sehen sie keine Grundlage mehr für eine Fortsetzung ihres Geschäfts», so Hütte.

Der Gesamtumsatz in der Tourismusbranche ist auf den des Jahres 2008 zurückgefallen, sagte Markus Aspetzberger, Geschäftsführer des Landestourismusverbandes. Betroffen seien vor allem kleine Betriebe wie Kanu- und Fahrradverleih-Unternehmen. Die Jugendherbergen trifft vor allem das komplette Wegfallen der Schul- und Klassenfahrten, Pferdehöfe sehen sich gezwungen, ihre Tiere zu verkaufen. Insgesamt gab es laut Aspetzberger im vergangenen Jahr 27,5 Prozent weniger Übernachtungen im Vergleich zum Vorjahr, im Januar 2021 waren es noch 19 Prozent. Öffnungen in anderen Teilen Europas würden das Unverständnis vergrößern: «Das Ferienhaus in Brandenburg ist nicht gefährlicher als die Finca auf Mallorca», so der Chef des Tourismusverbandes. Erschwerend hinzu käme eine verstärkte Abwanderung von ohnehin rar vorhandenen Fachkräften.

Abhilfe scheint jedoch nicht in Sicht. Er habe «wenig Hoffnung, dass die Koalition sich durchringt, Landesmittel zur Verfügung zu stellen, sagte Linken-Fraktionschef Sebastian Walter. Auch sein Parteikollege Andreas Büttner kann die Wut und Verzweiflung nachvollziehen. »Die Frage ist natürlich berechtigt, warum man auf Mallorca Urlaub machen kann, aber nicht in Brandenburg.«

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