Im Zeichen des Rotkehlchens

Linke nominiert Christian Görke zum Kandidaten im Bundestagswahlkreis 64

  • Andreas Fritsche, Neuhausen
  • Lesedauer: 4 Min.
Christian Görke am Sonnabend vor dem Gemeindesaal in Neuhausen
Christian Görke am Sonnabend vor dem Gemeindesaal in Neuhausen

An einer Schule im Cottbuser Stadtteil Sachsendorf absolvierte Christian Görke einst zum Ende seines Lehrerstudiums hin sein praktisches Jahr. 33 Jahre später tritt der Linke-Politiker in dieser Stadt und im Landkreis Spree-Neiße als Direktkandidat bei der Bundestagswahl im September an. Seine Genossen nominieren ihn am Sonnabend im Großen Saal der Gemeindeverwaltung Neuhausen mit 42 zu fünf Stimmen. »Das ist eines meiner besten Ergebnisse«, freut sich Görke.

Der Landtagsabgeordnete stammt aus Rathenow am anderen Ende Brandenburgs. Warum kandidiert ein Havelländer in der Lausitz? Das fragt Görke selbst, bevor es jemand anders tut, und antwortet so: Es ist ihm wichtig, dass der mit dem Braunkohleausstieg verbundene Strukturwandel in der Lausitz gelingt, und der Bund nicht anfängt, bei den dafür zugesagten Fördermitteln etwas abzuzwacken. Görke weiß, wovon er spricht. Bis Ende 2019 war er Finanzminister von Brandenburg.

»Es wäre beruhigend zu wissen, einen Bundestagsabgeordneten zu haben, der sich mit dem Thema auskennt«, sagt der Linke-Kreisvorsitzende Matthias Loehr. Den Wahlkreis zu gewinnen, ist für Görke allerdings unter den gegenwärtigen Bedingungen so gut wie unmöglich. Allerdings soll er auf dem Parteitag der Brandenburger Linken am 24. April in Paaren/Glien ohnehin ganz vorn auf der Landesliste platziert werden. »Wir wollen nicht nur, dass Christian Görke unser Direktkandidat wird. Wir wollen, dass er Spitzenkandidat wird«, sagt Matthias Loehr.

Für Platz eins der Landesliste bewirbt sich indessen auch der Bundestagsabgeordnete Norbert Müller. Er hat das bereits am 12. Oktober öffentlich gemacht. Da die Listenplätze zwei und drei für Frauen reserviert sind, bliebe ihm ansonsten nur Platz vier, den er schon bei der Bundestagswahl 2017 besetzt hatte. Damals genügte Platz vier für einen Einzug ins Parlament. Bei den derzeitigen politischen Kräfteverhältnissen würde es mit aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr reichen.

Auf diese Dinge geht Görke in Neuhausen gar nicht ein. Er bleibt bei sich. »Ich würde gern mit dem, was ich kann und was ich bisher gemacht habe, diese Region im Bundestag vertreten«, sagt er. Zu Beginn seiner Bewerbungsrede liefert Görke einige biografische Eckdaten: »Ich bin 59 Jahre alt. Ich bin ein Kind der DDR, stamme aus einem christlichen Elternhaus.« Sein 2017 gestorbener Vater war bis zum Tod CDU-Mitglied. Doch Christian Görke entschied sich in den Wendejahren 1989 und 1990 für die SED-PDS. Durch sein politisches Engagement habe er zu wenig Zeit für seine Familie gehabt, bedauert er im Rückblick. Inzwischen sei er geschieden, die beiden Kinder seien erwachsen, seit vergangenem Jahr sei er Opa.

Als brandenburgischer Finanzminister sammelte Görke sechs Jahre lang Regierungserfahrung in einer rot-roten Koalition. Auf Bundesebene sei die Linke »regierungsfähig und regierungswillig«, wenn sich dadurch etwas verändern ließe, versichert er. Aber aktuell sollte das kein Thema sein, da die Grünen Liebesbotschaften an CDU und FDP schickten und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) nun wirklich nicht für einen »linken Aufbruch« stehe.

Mit Scholz würde es Christian Görke im Bundestagswahlkampf zu tun bekommen, wenn beide von ihren Parteien wie vorgesehen zum Spitzenkandidaten in Brandenburg gekürt werden.

Ausführlich widmet sich Görke seiner alten Spezialstrecke, der Finanzpolitik. Die Spree-Neiße-Kreisstadt Forst sei durch Kassenkredite in Höhe von 40 Millionen Euro belastet, bei der Stadt Guben seien es 17 Millionen. Er habe als Finanzminister einiges zur Verbesserung der Haushaltslage der Kommunen getan. Doch die Möglichkeiten auf Landesebene seien begrenzt. Der Bund müsste die Schulden tilgen. Görke ahnt schon die Reaktionen: »Unbezahlbar!« oder »Träum weiter!« Aber zehn Prozent der Bundesbürger besitzen 65 Prozent der privaten Vermögen in Höhe von 2,4 Billionen Euro. Görke nennt das eine »bizarre« Verteilung des Reichtums und regt eine zehnprozentige Sonderabgabe für Vermögen ab 2,5 Millionen Euro an.

Während draußen leise der Schnee rieselt, spricht der Politiker drinnen immer lauter. Zehn Euro Kaltmiete pro Quadratmeter, die in Cottbus für eine Neubauwohnung verlangt werden, »das ist doch heftig«, entrüstet er sich beispielsweise - und entschuldigt sich zwischendurch, dass er sich so aufregt. Seine Genossen stört das wenig. Sie sehen es genauso und spenden Beifall.

Den Strauß Blumen zur Nominierung als Direktkandidat überreicht der Kreisvorsitzende Loehr mit den Worten: »Alles Gute! Auf in den Wahlkampf!« In diesem Wahlkampf möchte Görke der AfD »in den Arm fallen, die glauben, sie habe die Lausitz schon gewonnen«. Und am 26. September will er im Wahlkreis ein möglichst gutes Ergebnis einfahren.

Ein Genosse erzählt allen, was er bei der Anfahrt im Autoradio hörte: Das Rotkehlchen sei zum Vogel des Jahres gekürt. Wenn das kein gutes Omen sei.

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