- Politik
- Rechtsradikalismus
Zielscheibe Politiker
70 Prozent der politisch motivierten Straftaten in Sachsen-Anhalt haben einen rechtsradikalen Hintergrund. Die Gefahr von rechts wächst
Als Katharina Zacharias eines Tages im Januar 2020 ihren Briefkasten öffnete, erschrak sie. Die junge SPD-Politikerin, die im Kreis Haldensleben für die Landtagswahl am 6. Juni antritt, fand dort die Abbildung eines langhaarigen Strichmännchen, das an einem Galgen hängt. Ihr war sofort klar: Das ist eine Drohung! »Ich habe das sofort öffentlich gemacht. Daraufhin hat sich der Staatsschutz eingeschaltet«, sagt Zacharias - allerdings habe sie von diesem »bis heute nichts gehört«. Sie vermutet, dass die Zeichnung im Zusammenhang mit ihrer Kritik an einer offenbar rassistischen Büttenrede steht, die zu Beginn des letzten Jahres die Gemüter in Haldensleben erregte. Von »Negern« und »Asylanten« soll damals die Rede gewesen sein.
Zacharias ist eine von vielen Politikerinnen und Politikern, die zunehmend ins Visier von Antidemokraten geraten. Wie das Innenministerium Sachsen-Anhalt am Montag auf einer Pressekonferenz mitteilte, sind im vergangenen Jahr deutlich mehr politisch motivierte Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger sowie Repräsentanten von Parteien erfasst worden als im Jahr zuvor. Insgesamt wurden 79 solcher Straftaten registriert und damit fast doppelt so viele wie im Vorjahr (42). Vorrangig habe es sich, wie im Falle von Katharina Zacharias, um Beleidigungen und Bedrohungen gehandelt: 38 derartige Straftaten seien erfasst worden. Rund die Hälfte der Beleidigungen seien via Internet erfolgt. Den Angaben zufolge richteten sich 35 Angriffe gegen CDU-Politiker, 18 gegen SPD-Mitglieder und 13 Delikte gegen Personen mit AfD-Parteizugehörigkeit.
Innenminister Michael Richter (CSU) zeigte sich angesichts der Zunahme besorgt: »Die Gesamtzahlen bewegen sich etwa auf dem Niveau des Vorjahres. Jedoch beobachte ich mit Sorge die Anzahl der Straftaten zum Nachteil von Amts- und Mandatsträgern sowie Parteirepräsentanten. Diese treffen unsere Gesellschaft im Kern, da ohne politisches Engagement keine Demokratie funktionieren kann«, sagte der neue Ressortchef, der das Amt im Dezember von Holger Stahlknecht übernommen hatte, nachdem dieser von Ministerpräsident Reiner Haseloff wegen einer umstrittenen Äußerung in einem Zeitungsinterview entlassen worden war.
Die Botschaft, die Richter am Montagmittag in Magdeburg der Presse überbrachte, blieb derweil die gleiche wie in den Vorjahren: Die Gesamtzahl der politisch motivierten Straftaten stieg auf 2353 Fälle (2019: 2232), davon sind weiterhin die allermeisten rechtsmotiviert. Insgesamt stiegen die rechtsmotivierten Straftaten um 201 auf 1642 Fälle, während die linksmotivierten um 12 auf 406 Fälle sanken. Ebenso stieg die Zahl der Straftaten bei Versammlungen, was hauptsächlich mit der Thematik Corona zusammenhängt. Straftaten mit religiöser Ideologie, also beispielsweise im Zusammenhang mit dem islamistischen Terrorismus, spielen in Sachsen-Anhalt kaum eine Rolle.
Wie genau sieht nun der Plan von Innenminister Richter aus, die deutliche Zunahme der Straftaten gegen Politiker und die weiterhin hohe Fallzahl im Bereich der politisch motivierten Kriminalität rechts einzudämmen? Konkret werden wollte man diesbezüglich im Innenministerium nicht.
Konkreter wurde da schon Innenexperte Sebastian Striegel von den Grünen, der die Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft gegen Hasskriminalität fordert: »Die vorgestellten Zahlen sprechen eine klare Sprache: Rechtsextreme Straftaten bewegen sich nahe des Allzeithochs aus dem Jahr 2015«, erklärte Striegel. Beunruhigend sei auch der deutliche Anstieg antisemitischer Straftaten, so Striegel.
Auch die Linke-Innenpolitikerin Henriette Quade fordert zu handeln, anstatt bloß zu beobachten: »Die Zahlen dürfen nicht nur alarmieren - sie müssen umso mehr zu der Frage führen, wie Polizei und Justiz mit diesen Straftaten umgehen, welche Bedürfnisse die Betroffenen haben und wie ihnen entsprochen wird.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.