- Brandenburg
- Politisch motivierte Kriminalität
Die größte Gefahr geht von Neonazis aus
Polizei registriert höchste Fallzahl politisch motivierter Kriminalität in einem Jahr ohne Wahlen
Es geschah am Bahnhof Bestensee. »Da steht die Zecke«, hat Joshua Deweller gehört, bevor mehrere Neonazis ihn anpöbelten. Einer warf eine Bierflasche nach ihm, die wenige Zentimeter neben seinem Kopf an einem Pfahl zerplatzte. Der laute Knall beeinträchtigte sein Hörvermögen. Deweller ist stellvertretender Kreisvorsitzender der Linkspartei in Dahme-Spreewald. Die Attacke auf den jungen Mann ist eine von 2250 politisch motivierten Straftaten, die im vergangenen Jahr in Brandenburg verübt wurden und in die Statistik der Polizei Eingang fanden.
1750 dieser Delikte wurden dem rechten Spektrum zugeordnet, 168 der linken Szene. 34 Straften gehen auf das Konto religiöser Fanatiker. Einer davon ist ein islamischer Fundamentalist, der in Cottbus seine Frau tötete, weil sie sich von ihm trennen wollte.
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Innenminister Michael Stübgen (CDU) stellte die Statistik am Dienstag zusammen mit Polizeipräsident Oliver Stepien vor und schilderte dabei auch einige Fälle. 290 Delikte ließen sich keinem politischen Spektrum zuordnen, da die Täter vorher nie einschlägig aufgefallen waren. Diese Schwierigkeit der Zuordnung ergab sich oft bei Straftaten im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen.
Insgesamt zählte die Polizei im vergangenen Jahr 728 Fälle politisch motivierter Kriminalität, weniger als im Jahr 2019. Doch 2019 war in Brandenburg ein Superwahljahr mit Kommunal-, Landtags- und Europawahlen. Allein 840 sogenannte Wahlstraftaten wie das Beschmieren und Herunterfetzen von Plakaten hat es damals gegeben. Rechnet man die heraus, so kommt man auf einen Höchststand. Anders gesagt: In Brandenburg gab es 2020 so viele politisch motivierte Straftaten wie noch nie in einem Jahr, in dem keine Wahlen stattgefunden haben.
»Gemessen an der Anzahl der im letzten Jahr registrierten Straftaten geht die größte Gefahr von Rechtsextremisten aus«, schätzte Innenminister Stübgen ein. Von den insgesamt 101 Gewalttaten wurden 69 durch Rechte verübt. 60 dieser Übergriffe hatten einen fremdenfeindlichen Hintergrund. Positiv kann der Minister vermerken, dass sowohl die Zahl der Gewalttaten insgesamt als auch die Zahl der von Rechten verübten Gewalttaten seit fünf Jahren stetig abnimmt. 2016 hatte die Polizei noch 260 politisch motivierte Gewaltakte registriert, von denen 167 auf das Konto von Neonazis gingen. Damals hatte es auch 72 rechte Übergriffe auf Asylheime gegeben. Das war ein trauriger Höhepunkt. In den Jahren zuvor hatten all diese Zahlen deutlich niedriger gelegen.
Stübgen erklärt die positive Entwicklung mit einer vergleichsweise hohen Aufklärungsquote, die in den vergangenen fünf Jahren regelmäßig über dem Bundesdurchschnitt gelegen hat. So konnte die Polizei in Brandenburg zuletzt bei 82 Prozent der Gewalttaten die Täter ermitteln - in den Jahren davor lag die Aufklärungsquote niemals niedriger als 76 Prozent. Auf Bundesebene kam dieser Wert über 60 Prozent nicht hinaus. Besorgniserregend - dieses Wort verwendet in diesem Zusammenhang auch der Innenminister - ist indessen der enorme Anstieg bei den antisemitischen Straftaten. 69 solcher Übergriffe hatte es im Jahr 2017 gegeben, darunter ein gewalttätiger. Nun sind es 147 Attacken, davon sechs gewalttätige. »Diese Entwicklung ist alarmierend und nicht tolerierbar«, meint Stübgen. »Schon allein aufgrund unserer historischen Verantwortung muss es uns als Gesellschaft darum gehen, Menschen jeglichen Glaubens ein unbeschwertes Leben in Brandenburg zu ermöglichen.« Der Innenminister verspricht: »Die Polizei wird nicht nachlassen, ihren Beitrag dazu zu leisten.«
Nach Ansicht der Landtagsabgeordneten Andrea Johlige (Linke) hat die starke Ausbreitung von Verschwörungserzählungen dafür gesorgt, dass die Zahl der antisemitischen Taten so stark gestiegen ist. Denn diese Verschwörungserzählungen seien in der Regel antisemitisch eingefärbt. »Wir brauchen dringend eine deutlich verstärkte faktenbasierte Aufklärung und Beratungsangebote für Menschen, die im Familien- und Freundeskreis mit Verschwörungsideologien konfrontiert werden«, meint Johlige. 1750 rechte Straftaten zeigen ihr, »dass es keine Veranlassung gibt, in der Bekämpfung des Rechtsradikalismus und rechter Gewalt nachzulassen«.
In die Statistik politisch motivierter Delikte ging auch ein, was sich Ende Dezember in Cottbus in der Wohnung der Stadtverordneten Monique Buder (AfD) ereignete. Von Nachbarn alarmierte Polizisten wollten Buders Geburtstagsfeier unterbinden - wegen Ruhestörung und weil die Party gegen die Corona-Regeln verstieß. Ein Gast ging auf einen Beamten los. Verbucht wurde dies als Delikt, das sich keinem Spektrum zuordnen ließ, erläuterte Polizeipräsident Stepien.
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