Laute Proteste stören

Bürgerrechtler in Großbritannien sind wegen eines geplanten Polizeigesetzes alarmiert

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Tories sind auf dem besten Weg, von einer Regierung zu einem Regime zu werden«, sagte der Labour-Abgeordnete Clive Lewis letzte Woche im britischen Unterhaus. Man mag dies als Übertreibung eines Oppositionspolitikers abtun, zu dessen Aufgabe es nun mal gehört, die Regierung zu kritisieren. Aber Lewis bringt eine Sorge zum Ausdruck, die viele Britinnen und Briten umtreibt. Boris Johnson, einst hochgehalten als ein Tory mit »liberalem Instinkt«, verfolgt einen immer offensichtlicheren Autoritarismus, der Bürgerrechtsgruppen alarmiert.

Jüngster Schritt auf diesem Weg ist das Polizeigesetz, das Innenministerin Priti Patel kürzlich vorgelegt hat. Es läuft daraus hinaus, dass die Polizei weit größere Befugnisse erhält, gegen Proteste vorzugehen. So können die Behörden Anfangs- und Endzeiten von Demonstrationen und sogar einen bestimmten Lärmpegel vorschreiben - das heißt: Wenn der Protest zu laut ist, wird er verboten. Auch könnte eine Kundgebung beendet werden, wenn sie »absichtlich oder rücksichtslos stört«.

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Das Gesetz hat seinen Ursprung in der tiefen Frustration der Behörden wegen der Demonstrationen von Extinction Rebellion vor zwei Jahren. Damals wurden in britischen Städten wochenlang Knotenpunkte und zentrale Plätze besetzt - es waren die bislang medienwirksamsten Aktionen der britischen Klimabewegung. Aber die Polizei war richtig sauer, weil ihr die friedlichen Demonstranten kaum Anlass gaben, gegen sie vorzugehen. Cressida Dick, Chefin der Londoner Polizei, beklagte ihre Ohnmacht gegen »Proteste, die nicht in erster Linie gewaltsam oder wirklich undiszipliniert sind, aber in diesem Fall den Zweck hatten, die Polizei in die Knie zu zwingen und die Stadt lahmzulegen«. Das neue Gesetz - wenn es denn die Zustimmung des Unterhauses findet - gibt ihr die nötigen Mittel, gegen solche Protestaktionen vorzugehen. Gracie Bradley, Direktorin der Bürgerrechtsgruppe Liberty, warnte, dass es »abweichende Meinungen unterdrücken und es uns erschweren wird, die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen«.

Die Regierung Johnson fährt auch gegen Flüchtlinge schwere Geschütze auf. Ein neues Gesetz soll Menschen, die auf einer »illegalen« Route - etwa über den Ärmelkanal - nach Großbritannien kommen, das Recht auf Asyl vorenthalten. Das Asylsystem »kollabiere« unter der Last der Flüchtlinge, ließ das Innenministerium als Rechtfertigung verlauten. Zahlen erzählen allerdings eine andere Geschichte: Im vergangenen Jahr wurden in Großbritannien knapp 30 000 Asylanträge eingereicht - fast ein Fünftel weniger als 2019; in Deutschland lag die Zahl in diesem Zeitraum bei über 120 000 Anträgen.

Dabei sorgt schon die Behandlung von Flüchtlingen, die es nach Großbritannien geschafft haben, für Proteste: Hunderte Asylbewerberinnen und -bewerber werden in ehemaligen Militärkasernen untergebracht, unter Bedingungen, die Amnesty UK als »völlig unzumutbar« bezeichnet.

Zu den autoritären Maßnahmen Johnsons zählt weiterhin ein Gesetz, das Undercover-Agenten mehr Rechte einräumt. Das im Herbst erlassene Gesetz wird von Kritikern schlicht als »Spycops Bill« (Gesetz für Schnüfflercops) bezeichnet. Es schützt verdeckte Ermittler, die während der Arbeit Verbrechen begehen, vor strafrechtlicher Verfolgung. Das biete den Behörden die Möglichkeit, »ohne Einschränkung schwere Verbrechen abzusegnen - darunter Folter und Mord«, schreibt Kate Allen, Direktorin von Amnesty UK.

Zwar ist Johnson in wirtschaftspolitischer Hinsicht kein klassischer Tory - er sprach sich für mehr Investitionen in Nordengland und einen grünen Umbau der Wirtschaft aus. Aber gleichzeitig treibt er die Aushöhlung der Demokratie voran. Berüchtigt ist etwa die widerrechtliche Suspendierung des Parlaments 2019, als er dem Unterhaus die Möglichkeit nehmen wollte, seinen Brexit-Deal zu torpedieren. Seit Beginn der Pandemie hat der Autoritarismus noch einmal zugenommen - so dass Kritik daran zuweilen auch von ungewohnter Seite kommt. Ein Abgeordneter der rechtskonservativen nordirischen Democratic Unionist Party etwa sagte, dass das vorgeschlagene Polizeigesetz »einen Diktator erröten lassen würde.«

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