Risikofaktor Jugend

Deutsche Experten bleiben bei ihrer Empfehlung, den Astra-Zeneca-Impfstoff nur an Ältere zu verimpfen

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) bleibt trotz der positiven Stellungnahme der EU-Arzneimittelbehörde (EMA) zum Impfstoff von Astra-Zeneca bei ihrer Empfehlung, das Vakzin weiter nur bei Menschen über 60 einzusetzen. Auch in Spanien empfahl jetzt das Gesundheitsministerium, den Astra-Zeneca-Impfstoff bis auf Weiteres nur an über 60-Jährige zu verimpfen. Und die britische Arzneimittelbehörde MHRA schlägt vor, Menschen unter 30 vorerst mit anderen Covid-19-Vakzinen zu immunisieren.

Für Normalverbraucher irritierend: Die genannten Gremien gehen allesamt davon aus, dass bei diesem Impfstoff als sehr seltene Nebenwirkung Blutgerinnsel auftreten können. Für die Stiko ist das kein Widerspruch. Kommissionschef Thomas Mertens sagte am Donnerstag im ZDF-»Morgenmagazin«, dass die EMA auf Grundlage des Public-Health-Gedankens bewerte - Maßstab sei also, was für die gesamte Bevölkerung der EU von Vorteil sei. In Deutschland sei die Situation etwas anders, hier sei man nicht so abhängig von Astra-Zeneca. Stiko-Mitglied Christian Bogdan, Immunologe am Universitätsklinikum Erlangen, sieht dabei die Notwendigkeit, Nutzen und Risiken abzuwägen. Da bei den 20- bis 50-Jährigen ohne Vorerkrankungen das Risiko eines schweren Verlaufs der Covid-19-Infektion vergleichsweise gering sei, wiege auch ein geringes Risiko einer schweren Impfnebenwirkung bei ihnen deutlich schwerer. Ähnlich sieht das offenbar die britische MHRA, allerdings liest die aus den Daten der bisherigen Impfungen eine andere Altersschichtung heraus: Laut MHRA wiegt der Vorteil des Infektionsschutzes schon bei den über 30-Jährigen den Nachteil des geringen Risikos auf.

Verhandlungen über Sputnik-Lieferungen

Köln. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat bilaterale Gespräche mit Russland über Lieferungen des Corona-Impfstoffs Sputnik V im Falle einer EU-Zulassung angekündigt. Man müsse aber sehr aufpassen, dass dies nicht zu einer »Fata-Morgana-Debatte« werde, sagte er am Donnerstag im WDR5-»Morgenecho«. Zunächst gehe es um die Zulassung durch die EU. »Dafür muss Russland Daten liefern.« Solange dies nicht geschehe, könne es keine Zulassung geben.

Die zweite Frage sei dann die der Bestellung, sagte Spahn. Die EU-Kommission habe erklärt, dass sie über Sputnik V nicht Verträge schließen werde wie mit den anderen Herstellern wie etwa Biontech. »Daraufhin habe ich auch im EU-Gesundheitsministerrat für Deutschland erklärt, dass wir dann bilateral auch mit Russland reden werden, und zwar erst mal darüber, wann überhaupt welche Mengen kommen könnten«, sagte Spahn.

Bayern unterzeichnete bereits am Mittwoch einen Vorvertrag mit einer Produktionsfirma im schwäbischen Illertissen, wie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mitteilte. Nach der Zulassung solle der Freistaat 2,5 Millionen Impfdosen erhalten. Auch Mecklenburg-Vorpommern hat sich nach Angaben von Landesgesundheitsminister Harry Glawe (CDU) eine Option auf eine Million dieser Impfdosen gesichert.

Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, sagte im ZDF zu Sputnik V, »wenn der Impfstoff geprüft und zugelassen wird, hätte ich persönlich dagegen nichts einzuwenden«. Von Alleingängen wie in Bayern sei er aber »nicht so sehr überzeugt«. dpa/nd

War anfangs unklar, ob die seltenen Fälle von Thrombosen mit gleichzeitigem Mangel an Blutplättchen tatsächlich mit der Impfung zusammenhängen, so scheint dies inzwischen sicher. Immunologe Bogdan sieht allerdings nicht den Impfstoff als eigentliche Ursache. Dazu sei das Auftreten dieser Thrombosen viel zu selten. Man müsse vielmehr vermuten, dass es bei den Betroffenen bereits eine Neigung zur Autoimmunität gegen eine Komponente zur Steuerung der Blutgerinnung gebe. Und da Impfungen bekanntermaßen auch andere vorhandene Immunreaktionen verstärken, werde diese sonst unbemerkte Reaktion bei manchen Geimpften so stark, dass es zu den atypischen Thrombosen komme.

Bereits im März hatten Greifswalder Forscher einen Mechanismus hinter der Entstehung dieser atypischen Blutgerinnsel nach Corona-Impfungen gefunden. Das Team um Andreas Greinacher fand heraus, dass ein vom Körper entwickelter Abwehrstoff Blutplättchen aktiviert, die dann ihrerseits eine Thrombose auslösen. Die Blutplättchen verhalten sich dann praktisch wie bei einer Wundheilung, sie verklumpen und lösen Gerinnsel aus. Vergleichbar ist das nach Angaben der Forscher mit einer bereits bekannten Komplikation bei der Gabe des Gerinnungshemmers Heparin - der heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT). Das Labor der Greifswalder Forscher konnte diesen HIT-Mechanismus bei vier Patienten mit einer Hirnvenenthrombose nach einer Astra-Zeneca-Impfung nachweisen. Wie bei der klassischen heparininduzierten Thrombozytopenie treten diese Antikörper demnach vier bis 16 Tage nach der Impfung auf. Mit einem in Greifswald entwickelten Testverfahren können solche Fälle von Gerinnungsstörungen nach der Impfung nachgewiesen werden. Diese lassen sich behandeln, indem den Patienten hoch dosierte Immunglobuline verabreicht werden. Diese würden den auslösenden Antikörper verdrängen und damit die Gerinnungsstörung stoppen, erläuterte der Thromboseexperte Robert Klamroth vom Vivantes-Klinikum Berlin-Friedrichshain.

Unklar ist bislang, warum diese Reaktion bislang nur bei dem Vektorimpfstoff von Astra-Zeneca beobachtet wurde, aber bei keinem der beiden zugelassenen mRNA-Impfstoffe. Die britische Zeitung »The Guardian« berichtet allerdings unter Berufung auf Informationen der EMA, dass bei dem erst kürzlich zugelassenen Einmalimpfstoff von Johnson & Johnson drei Fälle von Thrombosen mit Plättchenmangel beobachtet worden seien. Auch diese Vakzine ist ein Vektorimpfstoff. Es wird ein ähnlicher unschädlich gemachter Schnupfenvirus als Vehikel zum Einschleusen der Erbinformation von Corona-Bausteinen genutzt wie beim russischen Sputnik V.

Die Stiko empfiehlt Jüngeren, die bereits eine Erstimpfung mit Astra-Zeneca bekommen haben, eine Zweitimpfung mit dem Vakzin von Biontech oder Moderna. Noch sei die Datenlage aber zu schlecht, um eine Empfehlung dazu abgeben zu können, ob der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung verlängert werden sollte, sagte Mertens.

Wenn jetzt auch die Arztpraxen impfen, kommen schwierige Beratungsgespräche auf die Ärzte zu. Die Münchener Gynäkologin Marianne Röbl-Mathieu, ebenfalls Mitglied der Stiko, sieht ein besonderes Problem darin, dass bislang kein konkreter Risikofaktor für die gefährliche Nebenwirkung bekannt ist. Man könne nur auf das sehr geringe Risiko hinweisen und dem Patienten die Entscheidung selbst überlassen.

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