Amazon in den USA: Promi-Beifall reicht nicht

Versuch der Bildung einer ersten US-Gewerkschaftsvertretung bei Amazon gescheitert

  • Jörn Boewe und Johannes Schulten
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Ende war es deutlicher als von den meisten Beobachtern erwartet. Bei der Abstimmung über die Gründung der ersten Gewerkschaftsvertretung bei Amazon in den USA hat die Gewerkschaft RWDSU eine deutliche Niederlage erlitten. Laut der Auszählung sprachen sich 1798 Beschäftigte gegen die Gewerkschaftsvertretung aus, 738 stimmten mit Ja. Etwas mehr als 55 Prozent der fast 6000 Beschäftigten des Logistikzentrums in Bessemer bei Birmingham, Alabama, hatten sich an der Briefwahl beteiligt. Stimmzettel von weiteren 505 Beschäftigten wurden entweder von Amazon oder der Gewerkschaft angefochten. Weil diese Stimmern das Ergebnis nicht mehr ändern können, ist die Wahl gelaufen. Doch der Konflikt ist damit noch lange nicht vorbei.

Der Kampf der mit 100 000 Mitgliedern vergleichsweise kleinen Handelsgewerkschaft RWDSU für das Recht auf gewerkschaftliche Vertretung beim zweitgrößten Arbeitgeber der USA hatte nicht nur ein enormes landesweites Medieninteresse ausgelöst. Er hat auch Hoffnungen befeuert, die über 25 Jahre andauernde gewerkschaftliche Bedeutungslosigkeit bei Amazon beenden zu können. Für eine Analyse der Folgen der deutlichen Niederlage ist es noch zu früh. Doch ein Blick auf die vergangenen Monate erlaubt es zumindest, einige Lehren zu ziehen, die auch für die gewerkschaftliche Auseinandersetzung bei Amazon außerhalb der USA von Bedeutung sein könnten.

Wenn der RWDSU-Vorsitzende Stuart Appelbaum ankündigt, das Wahlergebnis anzufechten und dem Onlineriesen Wahlbehinderung vorwirft, ist das sicherlich richtig. Dass Amazon Millionen in eine Anti-Gewerkschaftskampagne investiert hat, steht außer Frage. Ebenso bekannt ist, dass Beschäftigte mit allerlei Methoden direkt und indirekt unter Druck gesetzt wurden. Doch mit dem alleinigen Verweis auf das sogenannte Union-Busting macht es sich die Gewerkschaft zu einfach. Nicht nur, weil viele von Amazons Maßnahmen in den USA weder verboten sind noch unerwartet waren.

Vor allem verstellt die Kritik den Blick auf die strategischen Fehler der Gewerkschaft. Die RWDSU setzte von Beginn an auf eine klassische Top-down-Kampagne. Die Kommunikation mit den Beschäftigten fand vor allem vor dem Logistikzentrum oder über die Medien statt. Dabei zählte die RWDSU zwar auf viel prominente Unterstützung. Schauspieler, beliebte Politiker wie Bernie Sanders oder Aktivisten der Black-Lives-Matter-Bewegung kamen nach Bessemer. Sogar US-Präsident Joe Biden bekannte sich auf Twitter zum Recht auf die Gründung einer Gewerkschaftsvertretung.

Entschieden wurde die Angelegenheit aber im Logistikzentrum, wo Amazon das Kommando hat. Draußen kritisierten große Teile der Medien das Vorgehen von Amazon und berichteten fasziniert über den Mut der Beschäftigten. Drinnen hörten diese über Monate dagegen nur eine Botschaft: Amazon ist gut, die Gewerkschaft ist schlecht.

Amazon-Mitarbeiter Chris Smalls, gefeuert, nachdem er öffentlich unzureichende Schutzmaßnahmen vor dem Coronavirus in einem Warenhaus auf Staten Island, New York, anprangerte, brachte das Problem gegenüber dem britischen Guardian auf den Punkt. »Es ist gut, diese politische und öffentliche Unterstützung zu haben, aber ich denke nicht, dass sie bei den Arbeitern Anklang findet.« Nach einer Zehneinhalb-Stunden-Schicht, so Small, »gehst du nicht nach Hause und schaust dir die lokalen Nachrichten an, du gehst schlafen.«

Das gilt vor allem, weil die Gründe für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht so auf der Hand liegen, wie es viele Beobachter gern hätten. Amazon zahlt einen Stundenlohn von 15,30 US-Dollar – mehr als das Doppelte des nationalen Mindestlohns von 7,25 US-Dollar, der in Alabama gilt. Natürlich ist die Arbeit bei Amazon anstrengend, es fehlen Pausenzeiten, um auf die Toilette zu gehen und der Druck, die durch Algorithmen kontrollierten Leistungsvorgaben zu erfüllen, ist enorm. Doch dass die Stimme für die Gewerkschaft daran etwas ändert, ist zunächst nur ein Versprechen. Gerade um Beschäftigte ohne Bezug zu Gewerkschaften zu überzeugen, reicht es nicht, sie am Autofenster vor oder nach der Arbeit anzusprechen.

Laut US-amerikanischer Rechtsprechung haben Gewerkschafter kein Recht, das Firmengelände zu betreten und mit Arbeitnehmern zu sprechen. Viele Gewerkschaften reagieren darauf, indem sie die die Familien der Beschäftigten zu Hause besuchen. Doch auf solche Haustürbesuche verzichtete die RWDSU aufgrund der Corona-Pandemie.

All das bedeutet nicht, dass die Niederlage in Bessemer das Ende der seit etwa zwei Jahren beginnenden gewerkschaftlichen Gegenwehr bei Amazon markiert. Vor allem die Diskrepanz zwischen den riesigen Gewinnen von Amazon seit Beginn der Corona-Pandemie und den offensichtlichen Problemen beim Gesundheitsschutz haben zu einer deutlichen Zunahme von Beschäftigtenprotesten geführt. Noch am letzten Donnerstag legten Amazon-Beschäftigte in Chicago spontan die Arbeit nieder. Dass sich lediglich 16 Prozent der 6000 Beschäftigten in Bessemer für die Gewerkschaft ausgesprochen haben, sollte anregen, die Bedeutung von PR-Kampagnen und gewerkschaftsfreundlicher Medienberichterstattung nicht zu überschätzen. Gewerkschaften müssen wieder stärker in die Lebensrealität jener Menschen eintauchen, die sie vertreten wollen.

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