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Auf dem Weg zur Willkommensbehörde

In Verwaltungen wächst das Bewusstsein für interkulturelle Kompetenz. Davon profitieren nicht nur Migranten

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 6 Min.

Für Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, ist es oft schwierig, sich in deutschen Behörden zurechtzufinden. Zumal der Paragraphen-Dschungel auch nicht wenigen Einheimischen Probleme bereitet. Die Ausländerbehörde im thüringischen Weimar wollte dem Vorwurf ein Ende setzen, Menschen nur zu verwalten, und kündigte vor ein paar Jahren an, eine »Willkommensbehörde« zu werden. Das Modellprojekt wurde zuerst auf Spanisch vorgestellt. Die Anwesenden sahen sich ratlos an. Denn kaum einer verstand diese Sprache. Und genau das war das Ziel. Die Behördenmitarbeiter sollten sich für einen Moment so fühlen wie die Menschen, die ohne Deutschkenntnisse eine Behörde in der Bundesrepublik betreten. Bei dieser Gelegenheit wurde auch betont, wie wertvoll Migration für Deutschland sein kann. Weimars damaliger Oberbürgermeister Stefan Wolf (SPD) ergriff das Wort und erklärte, dass Goethe und Schiller doch auch Migranten gewesen seien, »als sie ihre Koffer in Weimar auspackten«.

Vorwürfe gegen die Ausländerbehörde

Interkulturelle Kompetenz ist vor allem Neugier

Nach Einschätzung der Leiterin des Admint-Projekts der Bauhaus-Universität Weimar, Susanne Wille, zeichnet sich interkulturelle Kompetenz vor allem durch Neugier aus. »Interkulturelle Kompetenz hat letztlich ganz viel mit der Frage zu tun, wie ich mit unvorhergesehenen Situationen umgehe«, sagt sie. Solche Situationen könnten zum Beispiel dadurch entstehen, dass sich jemand mit seinem Gegenüber nicht verständigen könne oder dass der sich völlig anders verhalte, als man das erwartet habe. »Da ist die Frage dann immer: Blocke ich ab oder bleibe ich neugierig und versuche trotzdem Kontakt herzustellen?«, sagt Wille.

Wille und auch der Leiter der Migrationsagentur des Burgenlandkreises, Thomas Postleb, sagen, tendenziell sei es für Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung tatsächlich schwerer als für Beschäftigte in Unternehmen, flexibel auf derartige, unvorhergesehene Situationen zu reagieren. Verwaltungsprozesse seien in der Regel sehr stark strukturiert und die Hierarchien dort seien oft sehr starr, sagen sie. sh

Seitdem hat sich einiges verändert. In den Jahren 2015 und 2016 kamen immer mehr Geflüchtete nach Deutschland. Auch in Weimar trafen so viele Asylbewerber ein wie niemals zuvor. Seitdem sind einige Vorwürfe gegen die selbst ernannte »Willkommensbehörde« laut geworden. Eine besonders perfide Szene soll sich hier im April 2019 abgespielt haben. Herr S. wurde in die Ausländerbehörde Weimar bestellt, um seine Duldung zu verlängern. Der Mann war entsprechend schockiert, als er stattdessen vor Ort von der Polizei abgeführt und im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Frankreich abgeschoben wurde. Seine hochschwangere Frau musste die Szene mit ansehen. Auch sie war schockiert. Noch in der Behörde wurde der Notarzt gerufen. So stellt es jedenfalls der Flüchtlingsrat Thüringen dar. Dafür verlieh die Organisation den Negativpreis für Grundrechtsverletzung. Sie warf der Verwaltung vor, in mindestens zwei Fällen 2019 und 2020 Menschen rechtswidrig abgeschoben zu haben.

Die Stadtverwaltung hat derartige Vorhalte stets zurückgewiesen. Sie erklärte, man setze geltendes Recht durch und handele richtig. Freilich ist das nur ein Beispiel dafür, wie deutsche Behörden oft mit Migranten umgehen, die nicht immer Flüchtlinge sind. Migranten sind Menschen, die vor Krieg, Gewalt, Hunger und dem Klimawandel fliehen, ebenso wie polnische Krankenschwestern, niederländische IT-Spezialisten oder polnische Logistikmitarbeiter.

Interkulturell weiterbilden

Allerdings zeigt das Weimarer Beispiel, wie sehr bei vielen deutschen Behörden und Verwaltungen Anspruch und Wirklichkeit auseinander klaffen. Sie alle wollen eigentlich Willkommensbehörden sein, sind es aber oft nicht. In einzelnen Fällen liegt die Sache anders. In den vergangenen Jahren ist es Verwaltungen und Behörden auch gelungen, offen gegenüber Nicht-Deutschen zu sein. Sie werden dafür unter anderem vom Thüringer Zentrum für Interkulturelle Öffnung als beispielhaft gelobt. Das Zentrum arbeitet seit Ende 2018 als ein vom Freistaat gefördertes Pilotprojekt und will Berater für all jene sein, »die sich interkulturell weiterentwickeln möchten«.

Ein Beispiel hierfür ist die Verwaltung der Bauhaus-Universität Weimar. Dort sind in den vergangenen fünf Jahren über ein Projekt, das sich Admint nennt, Verwaltungsmitarbeiter gezielt für Begegnungen mit Menschen nicht-deutscher Herkunft geschult worden. »Nachdem an der Hochschule klar geworden ist, dass interkulturelle Kompetenzen nicht nur für die Studierenden und die Lehrenden, sondern auch für alle die Mitarbeiter im Hintergrund wichtig ist, sind verschiedene Angebote für sie entwickelt worden«, sagt die Leiterin des Projekts, Susanne Wille. Für Mitarbeiter seien Sprachkurse angeboten worden. Sie hätten die Möglichkeiten zu Auslandsaufenthalten bekommen. Studierende erzählten in kleinen Seminaren von ihren Heimatländern und -kulturen.

»Das ist wirklich gut angenommen worden«, bekräftigt Wille. Die Teilnahme an derlei Veranstaltungen sei zwar nicht verpflichtend gewesen, »aber es hat sich etwas daraus entwickelt, was viele wirklich auch machen wollten«, sagt sie. Etwa 180 der circa 400 Verwaltungsmitarbeiter der Universität hätten zwischen 2015 und 2020 an einer Veranstaltung oder sogar an mehreren teilgenommen. Hilfreich war, dass sich Mitarbeiter gegenseitig neugierig machten. Sie sahen das Thema nicht als verordnet an, sondern es herrschte der Tenor vor, dass interkulturelle Kompetenz für alle Beteiligten bereichernd sei. »Wir haben den Leuten immer gesagt: Wir möchten euch unterstützen und begleiten und ihr sollt selbst sagen können, was ihr tun wollt, um mehr interkulturelle Kompetenz zu erreichen«, erklärt Wille.

Nicht alle werden mitgenommen

Thomas Postleb kann das nur bestätigen. Im sachsen-anhaltischen Burgenlandkreis leitet er die Migrationsagentur, die etwa 60 Mitarbeiter hat und heute so ziemlich alle kommunalen Behörden unter einem Dach vereint, mit denen Nicht-Deutsche oft zu tun haben. Dort werden nicht nur asylrechtliche Fragen geklärt, sondern auch zum Beispiel Entscheidungen über Arbeitslosengeld-II-Leistungen getroffen. Die Mitarbeiter helfen Migranten bei der Suche nach Wohnraum und Sprachkursen. Um diese Verwaltungsleistungen unter einem Dach zu vereinen, sind die Mitarbeiter seiner Agentur inzwischen alle im gleichen Gebäudekomplex untergebracht. »Das war ein Zwei-Tages-Umzug, der nicht nur für die Ausländer, die zur Verwaltung kommen, sondern auch für die Beschäftigten vieles leichter gemacht hat«, erklärt Postleb. »Interkulturelle Kompetenzen können in Verwaltungen nicht angeordnet werden, sondern sie entstehen nur durch den Austausch zwischen den Mitarbeitern«, sagt er. So habe zwar inzwischen jeder Mitarbeiter der Agentur, »der schon länger dabei ist«, an einem Seminar oder einem Workshop zum interkulturellen Miteinander teilgenommen. »Aber eben nicht, weil der Chef das angeordnet hat, sondern weil sich die Leute gegenseitig Lust darauf gemacht haben«, berichtet Postleb.

Wille und Postleb plädieren in diesem Zusammenhang dafür, sich auch verwaltungsintern vor allem auf die Mitarbeiter zu stützen, die ein großes Interesse am Miteinander der Kulturen haben. »Es macht aber keinen Sinn, mit Menschen etwas anstellen zu wollen, was die nicht wollen«, sagt Postleb. Jemanden, der ein Problem mit Ausländern habe, werde man auch nach einem Dutzend Schulungen zur interkulturellen Kompetenz nicht von dieser Haltung abbringen, sagt er. Auch sei es oft schwierig, Menschen für das Thema zu begeistern, die kurz vor ihrem Ruhestand stünden und in den vergangenen Jahrzehnten nicht oder kaum mit Nicht-Deutschen zu tun gehabt hätten. Seine Devise sei: »Wenn jemand zum Beispiel ein Problem mit Ausländern hat, dann soll er das sagen, dann wird für ihn ein anderer Arbeitsplatz in der Verwaltung gefunden«, sagt Postleb.

Wille formuliert diesen Ansatz - der auf »Stärken stärken« hinausläuft - für das Projekt an der Bauhaus-Universität so: »In die Verwaltungsmitarbeiter, die erkennbar kein Interesse am Thema interkulturelle Öffnung haben, wurde keine große Energie investiert. Wir hatten nicht den Anspruch, alle mitzunehmen«, berichtet sie. Dass es jenseits dessen ein Gewinn für Verwaltungen aller Art ist, wenn Mitarbeiter dort nicht nur Deutsch und vielleicht noch - zu oft zu schlecht - ein bisschen Englisch sprechen, sondern zusätzlich so viele Sprachen und Dialekte wie irgend möglich, das versteht sich von selbst.

Postleb kann lange davon erzählen, wie sehr es den Nicht-Deutschen Ängste nimmt und sie auch kooperativer macht, wenn sie am Einlass zu seiner Agentur nicht auf Deutsch, sondern in einer Sprache begrüßt werden, die sie fließend und ganz selbstverständlich sprechen. »Deshalb ist es nur zu begrüßen, wenn in Zukunft noch mehr Menschen mit Migrationshintergrund und entsprechenden Sprachkenntnissen in der Verwaltung arbeiten«, sagt er. Auch das wäre ein Beitrag dazu, dass weniger Menschen - egal welcher Herkunft - nur Spanisch verstehen, wenn sie mit Behörden zu tun haben.

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