Immunglobuline helfen - nur verordnen darf der Arzt sie nicht

Patienten mit Multipler Sklerose fühlen sich von den Krankenkassen im Stich gelassen

  • Daniela Hähre
  • Lesedauer: ca. 7.0 Min.

Bei der Diagnose »Multiple Sklerose« sehen sich die meisten Patienten bereits im Rollstuhl. Ihre Hoffnung sind Medikamente, die den Krankheitsverlauf verlangsamen und mildern können. Seit Juli zahlen die Krankenkassen in Berlin für rund 1200 Patienten gerade diese Arzneien nicht mehr und die Behandlungen wurden abgebrochen. Jacqueline Schubert ist eine der Betroffenen.

Das Haus ist so geplant, dass das Leben auch nur im Erdgeschoss stattfinden kann.« Als ihr Mann ihr das erklärt hatte, wäre sie am liebsten weggerannt und hätte geheult. Jacqueline Schubert sitzt in der Diele mit Blick auf den Rohbau ihres zukünftigen Hauses. »Das sind diese Momente, in denen ich spüre, dass nicht ich den Finger auf dem Drücker habe, sondern die Krankheit«, sagt sie leise. Von diesen Momenten gibt es viele in den letzten Wochen, denn seit Juli zahlt ihre Krankenkasse nicht mehr für die benötigten Medikamente.
Dass sie krank ist, sieht man der 38-jährigen blonden Bankkauffrau mit Kurzhaarschnitt nicht an. Vor wenigen Wochen brachte sie ein gesundes Baby zur Welt. Sie und ihr Mann hatten sich die Schwangerschaft wegen ihrer Krankheit gut überlegt. Jacqueline Schubert weiß seit zwei Jahren, dass sie Multiple Sklerose (MS) hat. »Natürlich war es erst ein Schock, ich dachte, ich muss sofort in eine behindertengerechte Wohnung ziehen«, erinnert sie sich. »Mit der Zeit wurde mir klar, dass viel in der Forschung getan wird, MS ist keine seltene Krankheit.« Auf Anraten der MS-Expertin Judith Haas aus dem Jüdischen Krankenhaus in Berlin wurde sie von Anfang an mit Immunglobulinen behandelt. Sie wollte sich die Option offen halten, schwanger zu werden. Kein anderes Medikament darf während der Schwangerschaft und Stillzeit genommen werden. Immunglobuline sind körpereigene Eiweiße, die im Immunsystem eine wichtige Rolle spielen. Mit ihnen hat Jaqueline Schubert die Krankheit recht gut in den Griff bekommen. Die anfänglichen Rückenschmerzen, das Kribbeln im ganzen Körper, das Taumeln und die Sehstörungen besserten sich.

Krankenkassen entdecken plötzlich das Gesetz
»Ich hatte während der Arbeit in der Bank immer Angst, die würden mich alle für betrunken halten, da ich überall gegengelaufen bin«, erinnert sie sich. Ihren Job musste sie nicht aufgeben. Monatlich bekam sie eine Infusion mit Immunglobulinen und war bald wieder voll einsatzfähig. »Auch ein leichter Krankheitsschub Anfang des Jahres ist nur mit einer Extra-Portion Immunglobulinen verschwunden.«
Immunglobuline wurden seit 20 Jahren in bestimmten Fällen von Multipler Sklerose erfolgreich eingesetzt und von den Krankenkassen bezahlt, obwohl sie nicht speziell für diese Erkrankung zugelassen sind. »Im Rahmen der so genannten Richtgrößenprüfung der Krankenkassen in Berlin,« erklärt die Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung, Annette Kurth, »zahlen die Kassen diese Rezepte nicht mehr. Sie führen auch Regressverfahren gegen niedergelassene Ärzte durch. Diese gehen ein hohes finanzielles Risiko ein, wenn sie weiter Immunglobuline bei MS verordnen.« Auch Jacqueline Schuberts Neurologe Peter Lust ist davon betroffen. Im Juli des letzten Jahres konnte er ihr zum letzten Mal eine Infusion verabreichen. Die Barmer Ersatzkasse fordert sogar, dass er die Medikamente aus eigener Tasche nachbezahlt. »Dabei haben Frau Professor Haas und Dr. Lust der Barmer Krankenkasse bereits vor zwei Jahren die Therapie angezeigt. Und jetzt merken die, dass sie das nicht zahlen? Das ist doch zynisch!« sagt Jacqueline Schubert mit aufgeregter Stimme. Sie ist wütend und hilflos zugleich: »Ich fühle mich der Krankheit jetzt so ausgeliefert.«
Die Barmer Ersatzkasse übernimmt die Kosten der Immunglobuline seit Juli nicht mehr. Sprecher Andreas Aderhold erklärt die Problematik mit einem unzureichenden Nachweis der Wirksamkeit der Medikamente. »Immunglobuline sind zwar zugelassene Medikamente, aber nicht für die Behandlung von Multipler Sklerose.« Entsprechende Studien der Hersteller lägen noch nicht vor, sie müssten auch die Kosten einer Erprobungsphase übernehmen. »Ob es sich bei einer Verordnung um die Teilnahme an einer Studie handelt, oder einen individuellen Heilversuch, können wir nicht beurteilen. Diesen Nachweis müssen die betroffenen Ärzte im Verfahren vor einem Prüfungsausschuss führen.« In Berlin gibt es seit Oktober 2001 Prüfverfahren mit Vertretern von Ärzten und Krankenkassen, bisher ohne Ergebnis. Die betroffenen Patienten verbleiben ohne Verschreibung ihrer Medikamente.

Cortison birgt Gefahr für das Kind
Jacqueline Schubert hat wieder große blaue Flecken auf dem Oberschenkel »Die sind von der Kommode im Flur, gegen die ich in den letzten Tagen wieder geschwankt bin. Ich habe auch wieder mehr Probleme mit den Augen«, erklärt sie ernst. Die Unsicherheit, die ein generelles Problem der MS-Patienten ist, belastete sie in den letzten Monaten verstärkt. Dabei wusste sie oft nicht, welche Ausfälle von der MS kamen und welche von der Schwangerschaft. Ihr Augenarzt meinte, es könnte auch durch die hormonelle Umstellung Sehstörungen geben. Aber tun konnte sie dagegen in der Zeit der Schwangerschaft relativ wenig - sie wollte und durfte das Kind nicht mit Cortison oder anderen Medikamenten schädigen. Cortison-Infusionen bekommen MS-Kranke kurzzeitig zur Behandlung von akuten Entzündungen, wenn es zu Ausfallerscheinungen kommt. Die Dauer dieses so genannten Schubes will man dadurch verkürzen und die MS-Symptome sollen schneller zurückgebildet werden.
Jacqueline Schubert ist Mitglied der Deutschen Multiplen Sklerose Gesellschaft, um informiert zu sein, was sich in der Forschung tut. An Orten, wo MS-Kranke zusammentreffen und man sieht, wie viel sich nur noch mittels Gehhilfen oder Rollstühlen fortbewegen können, wird Jacqueline Schubert immer sehr nachdenklich. Sie ist dankbar, dass es ihr im Verhältnis so gut geht. »Das Schlimme an der Krankheit ist, nicht so zu können, wie man will, und das zu akzeptieren.« Daran leidet auch sie, die eher der Typ »Power-Frau« ist. Sie sagt von sich selbst, dass sie, wenn sie etwas macht, es mindestens 100prozentig macht. Sie hasst es auch, Verabredungen abzusagen. Man fühle sich fast als Langeweiler, aber oft sei sie so erschöpft, dass sie nur Ruhe haben wolle.
Während ihrer Schwangerschaft, erzählt Jacqueline Schubert beim Kaffee, habe sie einmal fast drei Tage durch geschlafen. Staubsaugergeräusche kommen aus dem Nebenraum. Sie braucht Unterstützung im Haushalt, sonst schafft sie es nicht. »Es gibt auch so viel beim Hausbau zu tun, aber es ist mir einfach nicht möglich. Diese ständige Müdigkeit und Trägheit, immer dieses Gefühl völlig ausgepowert zu sein.«

Pharmaindustrie scheut Kosten für Neuzulassung
Jacqueline Schubert steht auf, ihr Mann ist ins Haus gekommen. Er hat Brötchen mitgebracht. »Alles in Ordnung bei euch?« fragt er mit einem freundlichen Lächeln und streichelt sanft seine Frau und das Baby. Er ist Elektro-Meister und muss gleich weiter. »Ich komme mir vor wie ein Spielball der Krankenkasse. Ich habe keine Wahl«, setzt seine Frau ihre Gedanken fort. Die Medikamente selbst zu bezahlen, kommt für sie nicht in Frage. Eine Infusion kostet 1500 Mark im Monat. Auch die zugelassenen Medikamente sind nicht billiger, im Gegenteil, sie kosten sogar bis 2200 Mark im Monat, hat sich Jacqueline Schubert erkundigt. Sie hofft, dass die Krankenkassen und Ärzte sich noch einigen, oder eine Zwischenlösung finden bis die Pharmaindustrie die notwendigen Studien für eine Neuzulassung der Immunglobuline liefert. Darauf drängt auch die Berliner Senatsverwaltung. Sprecher Klaus-Peter Florian sagt: »Die beteiligten Partner müssen sich an einen Tisch setzen und einen Konsens im Sinne der Patienten und auch der in Regress genommenen Ärzte erarbeiten. Rechtlich ist gegen die Handlungsweise der Krankenkassen nichts einzuwenden.« Die Ursache der verfahrenen Situation sieht er bei der Pharmaindustrie: »Aus Kostengründen halten sie die Indikation auf engem Rahmen. Wenn die Medikamente zugelassen wären, gäbe es die Probleme nicht. Die Behandlung der Patienten mit den zugelassenen Medikamenten ist gesichert.«
Jacqueline Schubert hat bis zur Geburt von Max durchgehalten. Erst sechs Wochen vorher hat sie sich von ihrer Arbeit als Vermögensberaterin in der Bank zurückgezogen. Erfahrungsgemäß wird die MS während der Schwangerschaft etwas inaktiver. Für die erste Zeit nach der Geburt hat sie eine Lösung gefunden. Sie nimmt an einer Studie teil, bei der es darum geht, den oft auftretenden Schub im Wochenbett mit Hilfe von Immunglobulinen zu mindern. »Aber was mache ich danach?« fragt sie und schaut traurig aus dem Fenster.
Was ist MS?
Multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung, bei der es zu Entzündungen des Nervensystems kommt. Die Krankheit kann ganz unterschiedlich schwer verlaufen. Das Auftreten von einem oder mehreren (multiplen) Entzündungsherden mit entsprechenden körperlichen Störungen und Ausfällen nennt man Schub. Nach dem Schub kann eine Rückkehr zur normalen Funktion eintreten oder das entzündete Nervengewebe vernarbt (sklerosiert) und es bleiben Beeinträchtigungen zurück. Häufige Symptome sind Empfindungs- und Sehstörungen, Lähmungen, Spastiken, Blasenstörungen, Schwindelanfälle und chroni-sche Müdigkeit. Die Ursache der Krankheit ist bisher nicht bekannt und diese ist auch nicht heilbar. Aber es gibt Medikamente, die regulierend oder unterdrückend in das Immunsystem eingreifen. Man erhofft sich von diesen Medikamenten, dass sie die Fehlsteuerung des körpereigenen Abwehr-systems unterdrücken. Dadurch wird bei vielen Patienten das Fortschreiten der MS verlangsamt. In Deutschland sind etwa 120 000 Menschen an MS erkrankt. Frauen sind dreimal häufiger betroffen als Männer. Die Krankheit beginnt meist im jungen Erwachsenenalter. Da das Erscheinungsbild der MS sehr vielgestaltig sein kann, dauert die Diagnose der Erkrankung zum Teil Monate bis Jahre.

Das Haus ist so geplant, dass das Leben auch nur im Erdgeschoss stattfinden kann.« Als ihr Mann ihr das erklärt hatte, wäre sie am liebsten weggerannt und hätte geheult. Jacqueline Schubert sitzt in der Diele mit Blick auf den Rohbau ihres zukünftigen Hauses. »Das sind diese Momente, in denen ich spüre, dass nicht ich den Finger auf dem Drücker habe, sondern die Krankheit«, sagt sie leise. Von diesen Momenten gibt es viele in den letzten Wochen, denn seit Juli zahlt ihre Krankenkasse nicht mehr für die benötigten Medikamente.
Dass sie krank ist, sieht man der 38-jährigen blonden Bankkauffrau mit Kurzhaarschnitt nicht an. Vor wenigen Wochen brachte sie ein gesundes Baby zur Welt. Sie und ihr Mann hatten sich die Schwangerschaft wegen ihrer Krankheit gut überlegt. Jacqueline Schubert weiß seit zwei Jahren, dass sie Multiple Sklerose (MS) hat. »Natürlich war es erst ein Schock, ich dachte, ich muss sofort in eine behindertengerechte Wohnung ziehen«, erinnert sie sich. »Mit der Zeit wurde mir klar, dass viel in der Forschung getan wird, MS ist keine seltene Krankheit.« Auf Anraten der MS-Expertin Judith Haas aus dem Jüdischen Krankenhaus in Berlin wurde sie von Anfang an mit Immunglobulinen behandelt. Sie wollte sich die Option offen halten, schwanger zu werden. Kein anderes Medikament darf während der Schwangerschaft und Stillzeit genommen werden. Immunglobuline sind körpereigene Eiweiße, die im Immunsystem eine wichtige Rolle spielen. Mit ihnen hat Jaqueline Schubert die Krankheit recht gut in den Griff bekommen. Die anfänglichen Rückenschmerzen, das Kribbeln im ganzen Körper, das Taumeln und die Sehstörungen besserten sich.

Krankenkassen entdecken plötzlich das Gesetz
»Ich hatte während der Arbeit in der Bank immer Angst, die würden mich alle für betrunken halten, da ich überall gegengelaufen bin«, erinnert sie sich. Ihren Job musste sie nicht aufgeben. Monatlich bekam sie eine Infusion mit Immunglobulinen und war bald wieder voll einsatzfähig. »Auch ein leichter Krankheitsschub Anfang des Jahres ist nur mit einer Extra-Portion Immunglobulinen verschwunden.«
Immunglobuline wurden seit 20 Jahren in bestimmten Fällen von Multipler Sklerose erfolgreich eingesetzt und von den Krankenkassen bezahlt, obwohl sie nicht speziell für diese Erkrankung zugelassen sind. »Im Rahmen der so genannten Richtgrößenprüfung der Krankenkassen in Berlin,« erklärt die Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung, Annette Kurth, »zahlen die Kassen diese Rezepte nicht mehr. Sie führen auch Regressverfahren gegen niedergelassene Ärzte durch. Diese gehen ein hohes finanzielles Risiko ein, wenn sie weiter Immunglobuline bei MS verordnen.« Auch Jacqueline Schuberts Neurologe Peter Lust ist davon betroffen. Im Juli des letzten Jahres konnte er ihr zum letzten Mal eine Infusion verabreichen. Die Barmer Ersatzkasse fordert sogar, dass er die Medikamente aus eigener Tasche nachbezahlt. »Dabei haben Frau Professor Haas und Dr. Lust der Barmer Krankenkasse bereits vor zwei Jahren die Therapie angezeigt. Und jetzt merken die, dass sie das nicht zahlen? Das ist doch zynisch!« sagt Jacqueline Schubert mit aufgeregter Stimme. Sie ist wütend und hilflos zugleich: »Ich fühle mich der Krankheit jetzt so ausgeliefert.«
Die Barmer Ersatzkasse übernimmt die Kosten der Immunglobuline seit Juli nicht mehr. Sprecher Andreas Aderhold erklärt die Problematik mit einem unzureichenden Nachweis der Wirksamkeit der Medikamente. »Immunglobuline sind zwar zugelassene Medikamente, aber nicht für die Behandlung von Multipler Sklerose.« Entsprechende Studien der Hersteller lägen noch nicht vor, sie müssten auch die Kosten einer Erprobungsphase übernehmen. »Ob es sich bei einer Verordnung um die Teilnahme an einer Studie handelt, oder einen individuellen Heilversuch, können wir nicht beurteilen. Diesen Nachweis müssen die betroffenen Ärzte im Verfahren vor einem Prüfungsausschuss führen.« In Berlin gibt es seit Oktober 2001 Prüfverfahren mit Vertretern von Ärzten und Krankenkassen, bisher ohne Ergebnis. Die betroffenen Patienten verbleiben ohne Verschreibung ihrer Medikamente.

Cortison birgt Gefahr für das Kind
Jacqueline Schubert hat wieder große blaue Flecken auf dem Oberschenkel »Die sind von der Kommode im Flur, gegen die ich in den letzten Tagen wieder geschwankt bin. Ich habe auch wieder mehr Probleme mit den Augen«, erklärt sie ernst. Die Unsicherheit, die ein generelles Problem der MS-Patienten ist, belastete sie in den letzten Monaten verstärkt. Dabei wusste sie oft nicht, welche Ausfälle von der MS kamen und welche von der Schwangerschaft. Ihr Augenarzt meinte, es könnte auch durch die hormonelle Umstellung Sehstörungen geben. Aber tun konnte sie dagegen in der Zeit der Schwangerschaft relativ wenig - sie wollte und durfte das Kind nicht mit Cortison oder anderen Medikamenten schädigen. Cortison-Infusionen bekommen MS-Kranke kurzzeitig zur Behandlung von akuten Entzündungen, wenn es zu Ausfallerscheinungen kommt. Die Dauer dieses so genannten Schubes will man dadurch verkürzen und die MS-Symptome sollen schneller zurückgebildet werden.
Jacqueline Schubert ist Mitglied der Deutschen Multiplen Sklerose Gesellschaft, um informiert zu sein, was sich in der Forschung tut. An Orten, wo MS-Kranke zusammentreffen und man sieht, wie viel sich nur noch mittels Gehhilfen oder Rollstühlen fortbewegen können, wird Jacqueline Schubert immer sehr nachdenklich. Sie ist dankbar, dass es ihr im Verhältnis so gut geht. »Das Schlimme an der Krankheit ist, nicht so zu können, wie man will, und das zu akzeptieren.« Daran leidet auch sie, die eher der Typ »Power-Frau« ist. Sie sagt von sich selbst, dass sie, wenn sie etwas macht, es mindestens 100prozentig macht. Sie hasst es auch, Verabredungen abzusagen. Man fühle sich fast als Langeweiler, aber oft sei sie so erschöpft, dass sie nur Ruhe haben wolle.
Während ihrer Schwangerschaft, erzählt Jacqueline Schubert beim Kaffee, habe sie einmal fast drei Tage durch geschlafen. Staubsaugergeräusche kommen aus dem Nebenraum. Sie braucht Unterstützung im Haushalt, sonst schafft sie es nicht. »Es gibt auch so viel beim Hausbau zu tun, aber es ist mir einfach nicht möglich. Diese ständige Müdigkeit und Trägheit, immer dieses Gefühl völlig ausgepowert zu sein.«

Pharmaindustrie scheut Kosten für Neuzulassung
Jacqueline Schubert steht auf, ihr Mann ist ins Haus gekommen. Er hat Brötchen mitgebracht. »Alles in Ordnung bei euch?« fragt er mit einem freundlichen Lächeln und streichelt sanft seine Frau und das Baby. Er ist Elektro-Meister und muss gleich weiter. »Ich komme mir vor wie ein Spielball der Krankenkasse. Ich habe keine Wahl«, setzt seine Frau ihre Gedanken fort. Die Medikamente selbst zu bezahlen, kommt für sie nicht in Frage. Eine Infusion kostet 1500 Mark im Monat. Auch die zugelassenen Medikamente sind nicht billiger, im Gegenteil, sie kosten sogar bis 2200 Mark im Monat, hat sich Jacqueline Schubert erkundigt. Sie hofft, dass die Krankenkassen und Ärzte sich noch einigen, oder eine Zwischenlösung finden bis die Pharmaindustrie die notwendigen Studien für eine Neuzulassung der Immunglobuline liefert. Darauf drängt auch die Berliner Senatsverwaltung. Sprecher Klaus-Peter Florian sagt: »Die beteiligten Partner müssen sich an einen Tisch setzen und einen Konsens im Sinne der Patienten und auch der in Regress genommenen Ärzte erarbeiten. Rechtlich ist gegen die Handlungsweise der Krankenkassen nichts einzuwenden.« Die Ursache der verfahrenen Situation sieht er bei der Pharmaindustrie: »Aus Kostengründen halten sie die Indikation auf engem Rahmen. Wenn die Medikamente zugelassen wären, gäbe es die Probleme nicht. Die Behandlung der Patienten mit den zugelassenen Medikamenten ist gesichert.«
Jacqueline Schubert hat bis zur Geburt von Max durchgehalten. Erst sechs Wochen vorher hat sie sich von ihrer Arbeit als Vermögensberaterin in der Bank zurückgezogen. Erfahrungsgemäß wird die MS während der Schwangerschaft etwas inaktiver. Für die erste Zeit nach der Geburt hat sie eine Lösung gefunden. Sie nimmt an einer Studie teil, bei der es darum geht, den oft auftretenden Schub im Wochenbett mit Hilfe von Immunglobulinen zu mindern. »Aber was mache ich danach?« fragt sie und schaut traurig aus dem Fenster.
Was ist MS?
Multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung, bei der es zu Entzündungen des Nervensystems kommt. Die Krankheit kann ganz unterschiedlich schwer verlaufen. Das Auftreten von einem oder mehreren (multiplen) Entzündungsherden mit entsprechenden körperlichen Störungen und Ausfällen nennt man Schub. Nach dem Schub kann eine Rückkehr zur normalen Funktion eintreten oder das entzündete Nervengewebe vernarbt (sklerosiert) und es bleiben Beeinträchtigungen zurück. Häufige Symptome sind Empfindungs- und Sehstörungen, Lähmungen, Spastiken, Blasenstörungen, Schwindelanfälle und chroni-sche Müdigkeit. Die Ursache der Krankheit ist bisher nicht bekannt und diese ist auch nicht heilbar. Aber es gibt Medikamente, die regulierend oder unterdrückend in das Immunsystem eingreifen. Man erhofft sich von diesen Medikamenten, dass sie die Fehlsteuerung des körpereigenen Abwehr-systems unterdrücken. Dadurch wird bei vielen Patienten das Fortschreiten der MS verlangsamt. In Deutschland sind etwa 120 000 Menschen an MS erkrankt. Frauen sind dreimal häufiger betroffen als Männer. Die Krankheit beginnt meist im jungen Erwachsenenalter. Da das Erscheinungsbild der MS sehr vielgestaltig sein kann, dauert die Diagnose der Erkrankung zum Teil Monate bis Jahre.


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