Die Schüler in der letzten Reihe

Experten berichten im Landtag, wie es Jugendlichen in Coronazeiten geht und was die Politik falsch gemacht hat

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Schere innerhalb der brandenburgischen Schülerschaft hat sich durch die Corona-Pandemie drastisch geöffnet. Einige Jugendliche seien für die Schule praktisch verloren, erfuhren die Landtagsabgeordneten am Donnerstag bei einer Anhörung im Bildungsausschuss.

Anne Nadif von Projektverbund kobra.net berichtete, dass ein Teil der Schüler gut betreut war und vergleichsweise unbeschadet durch die Pandemie gekommen sei. Sie sitzen tatsächlich oder im übertragenen Sinne in der ersten Reihe und haben wenig Nachteile erlitten. Andere besetzten die Reihen zwei bis vier und seien von starker Verunsicherung geprägt. Sie haben inzwischen Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, und verlieren rasch den Anschluss. Schon für diese Schüler müssten Konzepte entwickelt werden. Aber zu einem nicht unbeträchtlichen Teil der Schüler müsse überhaupt »der Kontakt erst einmal wieder aufgebaut werden«. Diese sitzen in der letzten Reihe, wenn sie überhaupt anwesend seien.

Verwirrend war, dass die Sommerferien 2020 weitgehend normal waren, während danach die Einschränkungen wieder einsetzten, erläuterte Dominik Ringler vom Kompetenzzentrum Kinder- und Jugendbeteiligung. Er forderte, Kontaktmöglichkeiten zu schaffen, die den meisten Kindern fehlen.

»Jugendliche sind systemrelevant«, betonte Anna Spangenberg vom Landesjugendring. Die Politik verenge ihren Blick auf die Schulpflicht. Es bestehe aber auch ein Recht auf außerschulische Bildung und Entwicklung, auf Schutzräume und darauf, Kinder und Jugendliche aus Isolationen zu befreien. Spangenberg wies darauf hin, dass es »kluge Hygienekonzepte« gebe.

»Die Prognosen sind eher düster«, sagte Stefan Zaborowski von der Stiftung SPI - die Abkürzung steht für Sozialpädagogisches Institut. Engagierte, die sich früher um Kinder kümmerten, die sich der Schule zu verweigern drohen und solche Kinder aufgesucht, begleitet und ihnen die Hausaufgaben vorbeigebracht haben, verlieren Zaborowski zufolge immer stärker den Kontakt zu ihnen. Der Hauptgrund: Es existiere »keine Hoffnung, dass es weitergeht«. Fachkräfte der Schulsozialarbeit, die früher Kindern zur aktiven Teilnahme am außerschulischen Leben ermunterten, müssen heute »gegen ihre innere Überzeugung« sagen: »Bleibt drin, spiel auf deiner Playstation.« Zaborowski weiß: »Das macht was mit den Menschen.«

Emotional bewegt erklärte die Abgeordnete Kathrin Dannenberg (Linke), sie müsse sich vorwerfen, einen verengten Blick gehabt zu haben. Der Fokus der Politik habe auf dem Offenhalten der Schulen und der Vermittlung des Schulstoffs gelegen und nicht auf der allgemeinen Kinder- und Jugendarbeit. Das sei nicht zuletzt auf den »Druck der Eltern« zurückzuführen gewesen.

Wenn durch Ausgangsverbote Jugendliche gezwungen werden, sich in privaten Räumen zu treffen, dann sei das wohl nicht im Sinne der Pandemiebekämpfung, sagte Grünen-Fraktionschefin Petra Budke. Sie wollte wissen: »Inwieweit sind Jugendliche offen für die derzeit kreisenden Verschwörungstheorien?«

»Das sorgt uns auch«, bekam sie von den Experten zur Antwort. Die Radikalisierung der Erwachsenen wirke als Vorbild auf Jüngere. Sich über Regeln hinwegzusetzen gehöre zum Jungsein. Doch der Verlust des Vertrauens in Institutionen sei gefährlich für die Demokratie.

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