Arbeitskampf statt Burgfrieden

Gewerkschaftsaktivist René Arnsburg über die Notwendigkeit, in der Pandemie in die Offensive zu gehen

  • Svenja Huck
  • Lesedauer: 4 Min.

Zum zweiten Mal in Folge sagt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die traditionelle 1. Mai-Demonstration im Zentrum von Berlin ab. Warum hat sich die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) im Bündnis mit dem klassenkämpferischen Block entschieden, die Demo dennoch stattfinden zu lassen?

Nach über einem Jahr Pandemie wird immer mehr Beschäftigten klar, dass die Maßnahmen zur Eindämmung nicht in ihrem Interesse getroffen werden. Die Regierenden schicken uns zum dritten Mal in den Privat-Lockdown, während wir weiter jeden Tag in überfüllten Bussen und Bahnen in den Betrieb fahren müssen. Bereits vor der Pandemie hat sich eine Wirtschaftskrise in der Industrie angekündigt und wir kriegen jede Woche neue Nachrichten über Standortschließungen und Stellenabbau.

René Arnsburg

ist Mitglied im bundesweiten und Berliner Koordinierungskreis der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) und Anmelder der 1.-Mai-Demonstration am Hackeschen Markt um 11 Uhr. Die VKG wurde vor einem Jahr als bundesweiter Zusammenschluss kritischer Kolleg*innen innerhalb der DGB-Gewerkschaften gegründet. Laut ihrem Selbstverständnis tritt sie dafür ein, dass die Gewerkschaften vor allem in Krisenzeiten die Beschäftigten gegen Stellenabbau und Sozialkürzungen mobilisieren. Svenja Huck hat mit dem Gewerkschaftsaktivisten darüber gesprochen, warum die Gewerkschaften für eine Pandemiebekämpfung im Interesse der Beschäftigten kämpfen sollten, statt die kapitalistische Krise als Sozialpartnerinnen mitzuverwalten.

Wer hat unter den Auswirkungen der Krise am meisten zu leiden?

Vor allem Frauen und migrantische Kolleg*innen sind am härtesten betroffen, aber spätestens nach der Bundestagswahl wird der gesamten Arbeiter*innenklasse die Rechnung für die Krise präsentiert werden. Schon jetzt ist klar, dass junge Menschen besonders leiden und es für sie keine Zukunftsperspektive in der kapitalistischen Krise gibt. Wir müssen uns auf die kommenden Auseinandersetzungen darüber, wer für die Krise zahlen wird, vorbereiten. Dass der DGB bereits im letzten Jahr Streiks aufgrund der Pandemie pausiert hat und sich damit in eine Art »Burgfrieden« mit der Regierung und den Unternehmen begeben hat, ohne eine Diskussion darüber in den eigenen Reihen zu führen, war ein großer Fehler. Das ist Ausdruck einer grundlegenden Orientierung in der DGB-Führung, die auf Absprachen mit der Regierung und Unternehmensverbänden, statt auf die Kampfkraft ihrer Mitgliedschaft setzt. Dagegen müssen wir auf die Straße gehen.

Was sind eure zentralen Forderungen?

Neben den bereits erwähnten Punkten nimmt das Gesundheitswesen einen großen Raum ein. Es geht darum, für die Rekommunalisierung der Krankenhäuser zu kämpfen und dafür, dass in ihnen das Wohl der Patient*innen und Kolleg*innen im Vordergrund steht und nicht die Profite von Anteilseigner*innen. Dazu müssen natürlich die Fallpauschalen abgeschafft, das Personal bedarfsgerecht aufgestockt und die Arbeitszeit verkürzt werden. Andere Bündnisteilnehmer haben eigene Schwerpunkte, wie beispielsweise die Eigentumsfrage. Wir als VKG Berlin haben eine eigene Erklärung zum 1. Mai verfasst, in der wir ausführlich auf die Frage der Verstaatlichung der Pharmaindustrie unter demokratischer Kontrolle der Arbeitenden eingehen - und auf einen Plan zur Herstellung und Verteilung von Impfstoffen. Eine zentrale Forderung der VKG ist die Arbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Darüber hinaus geht es um die Situation in der Bildung und Erziehung, um Antirassismus, sowie die Berliner Stadtpolitik und unsere Vorschläge, wie Gewerkschaften jetzt in die Offensive kommen können.

Wurde die Absage der Demo innerhalb der Gewerkschaften diskutiert ?

Die örtlichen 1. Mai-Aktionen werden normalerweise von den DGB-Strukturen geplant. Die Entscheidung, nur einen Fahrradkorso anzubieten und online vertreten zu sein, fiel auf der Bezirksebene. Innerhalb von Verdi bin ich in verschiedenen Gremien vertreten und kann nicht sagen, dass die Absage irgendwo zur Diskussion gestellt wurde.

Ohne die offizielle Beteiligung des DGB und linker Parteien wird die Demo vermutlich kleiner ausfallen als sonst. Wie mobilisiert ihr und erwartet ihr trotzdem eine Beteiligung von Einzelgewerkschaften?

Es wird ganz klassisch Plakate und Flugblätter geben, aber die Mobilisierung wird angesichts der Pandemielage vor allem online stattfinden. Wir haben nicht mehr viel Zeit und alle sind dazu aufgerufen, in ihren Betriebsgruppen oder Gewerkschaftsstrukturen über eine Beteiligung zu diskutieren. Ich sehe alle Einzelgewerkschaften in der Pflicht, den 1. Mai als Kampftag der Arbeiter*innen nicht so sang- und klanglos aufzugeben und Grund zu kämpfen haben wir mehr denn je.

Als Grund für die Absage der Demo in diesem und auch im letzten Jahr gibt der DGB das Infektionsrisiko an, obwohl Aerosolforscher sagen, im Freien liege dieses im Promille-Bereich. Warum ist linker Protest gerade jetzt auf der Straße wichtig?

Die einzigen, die gerade - von den Medien hofiert - als Kritiker*innen der Regierungspolitik laut werden, sind Corona-Leugner*innen und Rechte. Das ist brandgefährlich, weil sie das Potenzial haben, die berechtigte Wut auf die Umstände und die dafür Verantwortlichen von ihnen abzulenken. Wir haben Verständnis für alle, die unser Anliegen zwar teilen, aber unter den gegebenen Umständen der Corona-Pandemie nicht demonstrieren wollen. Natürlich haben wir ein Hygienekonzept und nehmen den Infektionsschutz sehr ernst. Doch der Infektionsschutz darf nicht zum Vorwand werden, eine kämpferische Politik aufzugeben. Proteste und Streiks sind nötig und sie bestehen in der gemeinsamen Arbeitsniederlegung und der Sichtbarmachung von Forderungen. Das ist auch unter den jetzigen Bedingungen möglich. Wir wollen ein Angebot für alle Kolleg*innen schaffen, die am 1. Mai auf die Straße gehen wollen. Denn die Lohnabhängigen sind die einzige Kraft, die für eine gesellschaftliche Alternative kämpfen kann.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -