Spielfeld für Separatisten

Im Baskenland ist der Fußball emotionale Kulisse für das Streben nach Unabhängigkeit. Athletic Bilbao ist der wichtigste Verein - und kann nun den spanischen Pokal gewinnen.

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 6 Min.

Im San Mamés, dem Stadion von Athletic Bilbao, gehört das Vereinsmuseum zu den Attraktionen. Auf einer Videowand scheppert eine Dampflok durchs Bild. Hochöfen, Schiffsirenen, hart arbeitende Männer. Der Film erinnert an das späte 19. Jahrhundert, als Bilbao zu den wichtigsten Industriestandorten zählte. Britische Einwanderer gründeten Athletic 1898 mit einem englischen Klubnamen, erzählt Museumsdirektor Asier Arrate: »Die Welt hat sich seit der Vereinsgründung enorm verändert, aber Athletic bleibt seiner Kultur treu: Wir müssen nicht unbedingt die Besten sein, aber wir wollen in den Spiegel schauen können.«

Spanien ist eines der vielfältigsten Länder Europas. Seine autonomen Gemeinschaften haben regionale Parlamente. Aber im Gegensatz zu den deutschen Bundesländern sind ihre Befugnisse höchst unterschiedlich. Ihre Selbstverwaltung und kulturellen Unterschiede haben sich über Jahrhunderte herausgebildet. In einigen Landesteilen streben Menschen nach Unabhängigkeit - im Norden im Baskenland oder im Nordosten in Katalonien. Eine der wichtigsten Bühnen dafür: der Fußball. An diesem Sonnabend trifft Athletic Bilbao im Finale der Copa del Rey auf den FC Barcelona, den Vertreter Kataloniens. Es geht um den Pokal des spanischen Königs, mit dem sich viele Basken nicht identifizieren wollen.

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Diese ablehnende Haltung hat Tradition. Bereits in den 1930er Jahren nutzten baskische Politiker die Vernetzungskraft von Athletic. Der ehemalige Spieler José Antonio Aguirre wurde 1936 Regionalpräsident des Baskenlandes. Er unterstützte den Aufbau eines baskischen Nationalteams, auch als Werbung für eine mögliche Loslösung von Spanien. Doch nach dem Spanischen Bürgerkrieg 1939 war es damit vorbei. »Diktator Franco drängte regionale Traditionen zurück«, sagt Asier Arrate. »Auch ausländisch klingende Vereinsnamen wurden verboten.« So musste sich der Klub umbenennen: aus Athletic wurde Atlético.

Auch im Baskenland lebten Faschisten. Es heißt sogar, Franco habe Sympathien für den Fußball in Bilbao gehabt, wegen der lokalen Verwurzelung. In den Jahrzehnten der Diktatur entwickelten jedoch viele Basken eine große Abneigung gegen die Regierenden in Madrid. Anfang der 1970er Jahre spielte Bilbao öfter mit Trauerflor, offiziell im Gedenken an gestorbene Vereinsmitglieder - tatsächlich aus Protest gegen Todesurteile. 1976, kurz nach Francos Tod, trafen im baskischen Derby die Teams aus Bilbao und San Sebastián aufeinander. Vor dem Anpfiff steckten beide Kapitäne die Flagge des Baskenlandes in den Anstoßpunkt. »Dieses Bild kennt heute jedes Kind in Bilbao«, erzählt José Maria Etxebarria, der als Jugendlicher das Derby auf der Tribüne verfolgte. »Fast 40 Jahre waren unsere Symbole verboten. Dieses Spiel war wie eine Wiedererweckung.«

José Maria Etxebarria gehört zur PNV, zur einflussreichsten Partei im Baskenland. Ihr übergeordnetes Ziel ist die Trennung von Spanien. Die PNV war stets um gute Kontakte zu den baskischen Vereinen bemüht, etliche ihrer Spitzenkräfte waren in Vorständen aktiv. So war es vor der Diktatur - und erst recht danach: Athletic nutzte nun wieder den englischen Klubnamen. 1977 übernahm der PNV-Politiker Jesús María Duñabeitia das Präsidentenamt bei Athletic. Baskische Musiker traten wieder im Stadion auf. Auch immer mehr Fans forderten mehr politische Autonomie. Mit Erfolg: In Spanien wurde Baskisch als eine Nationalität festgelegt und zu einer Amtssprache erhoben. Durch neue Selbstverwaltungsrechte konnte sich das Baskenland finanziell besser entwickeln als andere Regionen.

Der Fußball war eine Bühne für den Aufschwung. Real Sociedad aus San Sebastián gewann 1981 und 1982 die spanische Meisterschaft, Athletic Bilbao in den beiden Jahren darauf. Politik und Wirtschaft deuteten diese vier baskischen Titel als Mutmacher, denn die Region kämpfte mit zunehmender Arbeitslosigkeit und einem starken Rückgang an Industrie. 1984 standen mehr als eine Million Menschen an den Flussufern von Bilbao, als ihre Meister auf einer Barkasse Richtung Innenstadt schipperten. »Es besteht eine gewisse Konkurrenz zwischen Bilbao und San Sebastián«, sagt Sid Lowe, Fußballkorrespondent für den britischen Guardian. »Aber Gewalt gibt es bei den baskischen Derbys nicht. Es ist eher eine Art Bruderschaft.«

Auf Bilder der Meisterschaftsfeiern stößt man in Bilbao häufig, doch eine andere Strömung des Nationalismus wird eher verdrängt: Euskadi Ta Askatasuna, Baskenland und Freiheit, kurz: ETA. Die Untergrundorganisation tötete bis zu ihrer Auflösung 2018 mehr als 800 Menschen. Und sie vereinnahmte den Fußball: Im Januar 1986 entführte die ETA den Unternehmer Juan Pedro Guzmán, ein Vorstandsmitglied von Athletic, Tage später wurde er wieder freigelassen. Zudem verschickte sie Erpresserbriefe an wohlhabende Basken, auch an Bixente Lizarazu, geboren auf der französischen Seite des Baskenlandes. Der Vorwurf der ETA: Als Nationalspieler habe er sich für eine »feindliche Nation« entschieden, für Frankreich. Sie forderte von Lizarazu eine »Revolutionssteuer«, um seine Familie »vor Konsequenzen zu schützen«.

Die ETA hatte einige hundert Mitglieder, aber Zehntausende Sympathisanten. »Einige Fußballfans haben sich nicht klar vom Terrorismus distanziert«, sagt Sid Lowe. »Andere forderten die Freilassung von inhaftierten ETA-Mitgliedern.« Im März 2008 veranlasste Athletic eine Schweigeminute für Isaías Carrasco, der baskische Sozialdemokrat war zwei Tage zuvor ermordet worden. Ein Teil des Publikums störte die Stille mit Pfiffen.

Inzwischen geht es wesentlich harmonischer zu. Vor allem in der »Cantera«, dem so genannten Steinbruch von Lezama, einer idyllischen Gemeinde, zehn Kilometer von Bilbao entfernt. Umgeben von Hügeln und Wiesen liegt das Trainingsgelände von Athletic. Seit mehr als 100 Jahren setzt Athletic Bilbao ausschließlich auf Spieler mit baskischen Wurzeln. In Zeiten des sportlichen Misserfolgs stand diese Talentsuche bei Fans in der Kritik, sie fürchteten um die Wettbewerbsfähigkeit. 1959 kam für eine Verpflichtung Miguel Jones Castillo in Betracht, geboren in Äquatorialguinea, groß geworden im Baskenland. Jones wurde nicht für gut genug befunden. Manche denken noch heute: es lag an seiner schwarzen Hautfarbe.

Lange wurden nur gebürtige Spieler aus der Region zugelassen. Mittlerweile ist nicht mehr ihr Geburtsort zentral, sondern ihr »Aufwachsen im baskischen Fußball«. Diese Regeln sind in keiner Satzung festgeschrieben, vermutlich würden sie sonst das Verfassungsgericht auf den Plan rufen. Immer wieder kam es in den vergangenen Jahrzehnten zu Debatten über familiäre Hintergründe der Profis, vereinzelt auch zu Rassismus gegen Spieler mit afrikanischen Wurzeln. Der Durchbruch gelang 2014. Iñaki Williams, geboren in Bilbao, Sohn eines ghanaischen Vaters und einer liberianischen Mutter, war in der Europa League der erste schwarze Torschütze für Athletic. Bis ins Detail beschrieben die Medien seine Biografie: die Gelegenheitsjobs seiner Eltern oder die Unterstützung des Pfarrers mit dem baskischen Namen Iñaki.

Williams entwickelte sich zu einem treffsicheren Stürmer. Und er galt als Symbolfigur für das moderne Bilbao. Mit architektonischen Glanzlichtern wie dem Guggenheim-Museum hat sich die Stadt als Kulturmetropole neu erfunden. »Athletic arbeitet bei der Talentsuche mit vielen Partnervereinen und Scouts zusammen« erläutert José María Amorrortu, der bei Athletic als Spieler, Trainer und Manager tätig war: »Mit diesem Modell ist Athletic noch nie aus der ersten Liga abgestiegen.«

Viele Fans von Athletic Bilbao wollen nichts mit dem spanischen Nationalteam zu tun haben. Häufig sind die Einschaltquoten bei Länderspielen im Baskenland geringer als in anderen Regionen. Dennoch soll die spanische Mannschaft nun bei der Europameisterschaft ihre Vorrunde in Bilbao bestreiten. In Madrid oder Sevilla könnte sie wohl mit wesentlich mehr Unterstützung rechnen.

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