Janine Wissler: »Solche Investoren möchte ich verschrecken«

Die Linke-Vorsitzende Janine Wissler über Geschäftsmodelle, die bezahlbaren Wohnraum vernichten und die Chancen für einen bundesweiten Mietendeckel

  • Katharina Schwirkus
  • Lesedauer: 6 Min.

Frau Wissler, das Bundesverfassungsgericht hat den Berliner Mietendeckel für nichtig erklärt. Er war die radikalste Realpolitik, die die Linkspartei je versucht hat. Was heißt das nun für die Linke auf Bundesebene?

Wir bedauern, dass es dieses Urteil gibt. Das ist eine schlechte Nachricht für die Mieterinnen und Mieter, nicht nur in Berlin. Der Mietendeckel wurde durch die Berliner Linke maßgeblich vorangebracht. Es war ein Akt der Notwehr gegen den Mietenwahnsinn in der Stadt, weil die Mieten immer weiter angestiegen sind. Immer mehr Menschen konnten ihre Miete nicht mehr zahlen und sind aus ihren Stadtteilen verdrängt worden. Bei einer solchen Mietenentwicklung darf eine verantwortungsvolle Regierung nicht tatenlos zusehen.

Janine Wissler
Janine Wissler ist seit Februar 2021 gemeinsam mit Susanne Hennig-Wellsow Parteivorsitzende der Linken. Sie ist seit 2008 Abgeordnete im Hessischen Landtag und seit 2009 dort Fraktionsvorsitzende. Wissler engagiert sich seit Langem dafür, ihre Partei in Betrieben, Gewerkschaften und Klimaschutzbewegungen zu verankern.

Und was folgt jetzt daraus?

Die Konstruktion eines Mietendeckels war richtig. Jetzt sagt das Verfassungsgericht, dass man den Mietendeckel auf Landesebene nicht einführen darf. Er ist also nicht per se verfassungswidrig, sondern er muss auf Bundesebene beschlossen werden. Das hat Die Linke sowieso gefordert: einen bundesweit geltenden Mietendeckel. Nach diesem Urteil gilt: jetzt erst recht. Wir brauchen bundesweit einen Mietendeckel. In vielen Städten – aber auch im Umland – steigen die Mieten immer weiter an und davor müssen wir die Menschen schützen. Aktuell in der Coronakrise umso mehr.

Glauben Sie, dass Sie es schaffen könnten, wenn Sie auf Bundesebene mit Grünen und SPD in die Regierung kommen, so ein Gesetz zu verabschieden?

Das muss sich zeigen. In Berlin ist es so gewesen. Wir haben uns in Berlin stark gemacht für den Mietendeckel, aber wir haben ihn nicht alleine beschlossen, sondern gemeinsam mit SPD und Grünen. Bezahlbare Mieten sicherzustellen – da ist der Mietendeckel nicht das einzige Instrument –, müsste ganz oben auf der Agenda einer Bundesregierung stehen, an der die Linke beteiligt wäre.

Es gab in Berlin zu Anfang aus der SPD Kritik am Gesetzesvorhaben. Wenn man sich die Parteiprogramme auf Bundesebene anschaut, sieht man: Die SPD will ein Moratorium für Mieten, sodass Mieten noch proportional zur Inflation steigen dürften. Die Grünen schreiben etwas von »Mietbegrenzung«, definieren es aber nicht genau. Da ist Skepsis angebracht, ob diese Parteien ein Gesetz auf Bundesebene mittragen.

Deswegen ist es so wichtig, dass es Druck gibt aus den Mieterinitiativen, den sozialen Bewegungen, der »Recht auf Stadt«-Bewegung. Dass der Mietendeckel in Berlin durchsetzbar war, lag auch an dem enormen gesellschaftlichen Druck in der Stadt. Längst sind nicht nur Menschen mit niedrigen Einkommen betroffen, auch Menschen mit mittleren Einkommen haben große Probleme, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Das zeigt auch der große Zuspruch für das Volksbegehren »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«.

Könnte es diesen Druck bundesweit geben?

Das ist eine ganz entscheidende Frage. Ich wohne in Frankfurt am Main, einer Stadt, in der die Mieten auch durch die Decke gegangen sind. Wir brauchen eine bundesweite Bewegung der Mieterinnen und Mieter, sonst wird sich nichts verändern.

Warum nicht?

Immobilien sind ein lukratives Geschäft und es geht um Kapitalinteressen. Konzerne wie Deutschen Wohnen, Vonovia und andere verdienen gut daran, dass die Mieten immer weiter steigen. Ihre Verbündeten in der Politik verhindern wirksame Maßnahmen dagegen.

Was muss also passieren?

Die Mieterinnen und Mieter müssen auf die Straße gehen und deutlich machen, dass sie diese Mietpreisexplosion nicht akzeptieren, dass Wohnen ein Menschenrecht ist und nicht dem Markt überlassen werden darf. Mieterbündnisse, die es in ganz vielen Städten gibt, müssen sich vernetzen. Auch Bürgerbegehren und Volksbegehren für bezahlbares Wohnen können mobilisieren und Druck erzeugen.

Der Bund muss handeln. Aert van Riel zum Urteil über den Berliner Mietendeckel

Wie wird sich das Urteil zum Mietendeckel auswirken?

Die Mieten werden in Berlin sofort deutlich steigen. Die Menschen haben praktisch gesehen, was es für ihren Geldbeutel bedeutet, wenn man die Mieten deckelt. Dafür müssen wir jetzt auf Bundesebene kämpfen.

Denken Sie, dass die Wähler*innen noch auf Die Linke vertrauen? Es könnte doch auch sein, dass viele meinen: Der Mietendeckel war gut und schön, aber realitätsfern. Die haben keine Ahnung, die wähle ich nicht mehr.

Die Linke hat alles versucht, um die Mieten zu senken, damit einkommensschwache Mieterinnen und Mieter nicht verdrängt werden. Ich denke, dass die Menschen das sehr wohl wahrnehmen. Es ist nicht Die Linke, die sie im Stich gelassen hat, sondern es sind die Bundestagsabgeordneten von FDP und CDU, die gegen den Berliner Mietendeckel geklagt haben und die Einführung auf Bundesebene ablehnen. Die CDU erhält hohe Parteispenden aus der Immobilienwirtschaft und fühlt sich deren Interessen offenbar stärker verpflichtet als den vielen Millionen Mieterinnen und Mietern in diesem Land. Deshalb wird der Mietendeckel auch ein wichtiges Thema bei der Bundestagswahl werden.

Was sagen Sie zu der These, durch die Regulierung der Mieten verschrecke man Investoren?

Investoren, die massenhaft Wohnungen aufkaufen, um die Preise in die Höhe zu treiben, ihre Mieter schikanieren und ganze Häuser »entmieten«, möchte ich gerne verschrecken. Lieber solche Investoren verschrecken, als Mieterinnen und Mieter zu verdrängen. Viele dieser sogenannten Investoren, gerade die großen Immobiliengesellschaften, bauen gar nicht viele Wohnungen. In der Regel kaufen sie Wohnungen auf, sanieren sie oder auch nicht und treiben die Mietpreise in die Höhe. Damit schaffen sie keinen Wohnraum, sondern vernichten bezahlbaren Wohnraum. Diese Geschäftsmodelle abzuschrecken, sollte Ziel einer sozialen Wohnungspolitik sein. Wir brauchen stattdessen mehr sozialen Wohnungsbau, die Stärkung öffentlicher Wohnungsgesellschaften, die Bekämpfung des Leerstands und die Eindämmung der Bodenspekulationen.

Eingewendet wird auch: Mietenbegrenzungen verhinderten den Neubau.

Es wird gerne gesagt, das Mittel gegen hohe Mieten sei »Bauen, bauen, bauen«. Aber in Deutschland wird jede Menge gebaut, allerdings oft hochpreisiger Wohnraum für die Leute, die sich sowieso alles leisten können, oder neue Bürotürme. Man kann aber auch nicht immer mehr Flächen versiegeln. Die Wohnungen, die sich die Menschen in Berlin-Friedrichshain oder im Frankfurter Nordend nicht mehr leisten können, die sind ja nicht weg. Diese Wohnungen gibt es noch. Sie sind nur so teuer geworden, dass sie sich kaum noch jemand leisten kann. Wohnungen sind immer mehr zu einem Anlage- und Renditeobjekt geworden statt ein Zuhause für Menschen. Dieser Entwicklung muss man sich entgegenstellen. Es braucht natürlich auch Neubau, aber es hilft nichts, wenn immer mehr Wohnungen unbezahlbar werden und Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. So schnell kann man gar nicht hinterherbauen.

Der Vonovia-Konzern will von den Mieter*innen keine Rückzahlungen verlangen für den Zeitraum, in dem der Mietendeckel in Kraft war. Das ist doch nett, oder?

Ich würde sagen, das zeigt, dass das Unternehmen ziemlichen Respekt hat vor der Kampagne Deutsche Wohnen, Vonovia und Co. enteignen und sich im Vorfeld des Volksbegehrens um seinen ohnehin schon angekratzten Ruf sorgt. Die Kampagne wirkt also. Die Deutsche Wohnen hat allerdings bereits das Gegenteil angekündigt.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!