Ringelpietz in Belgrad

BallHaus Ost: Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Und wieder ist eine Pandemiewoche ins Land gegangen, in der ich durch Erinnerungslandschaften des Fußballs traumwandelte. Mein innerer Finger auf der Landkarte machte in Serbien Stopp: Der Ringelpietz in Belgrad - Partizan gegen Roter Stern ist das heiße Derby Serbiens, das alle Fans schon Wochen vorher total kirre macht. Krawall und Remmidemmi, Pyrotechnik satt, geile Choreos und ohrenbetäubender Lärm.

Die Serben neigen dazu, gelegentlich ein paar Tage vor Spielbeginn noch an den Ansetzungen zu basteln. Das ist für den auswärtigen Besucher eine harte Nuss, die man nicht immer knacken kann. Ende Februar 2019 verursachten die Terminplaner also Tränenbäche bei uns, als sie kurzerhand einen Spieltag fachgerecht zerlegten und das Derby schließlich einen Tag nach unserem Abflug ohne uns stattfand. Es wäre mein drittes Večiti derbi (Ewiges Derby) gewesen, das auch unter Beogradski derbi firmiert.

2020 klappte dann aber alles, obgleich wir diesmal bis zuletzt zitterten. Das macht womöglich auch den Reiz dieser Fußballlandschaft aus: Man weiß nie, ob einen der Fußballteufel nicht doch noch fickt.

Partizan wie Roter Stern haben in ganz Serbien und der restlichen Welt eine große Anhängerinnenschar, die zum Derby regelmäßig austickt. Beide Gruppen können unterschiedlicher nicht sein: Roter Stern in Rotweiß, Partizan in Schwarzweiß. Roter Sterns Fanszene strukturiert und organisiert. Die Anhänger nennen sich Delije, was für sie ungefähr einen mutigen, starken, harten und gut aussehenden jungen Mann beschreibt. Ein Delije mag Heimatmusik, wäscht sich den Hals und ist ein stolzer Serbe.

Die Partizan-Fans, Grobari (Totengräber) genannt, zeichnen sich hingegen durch einen besonders hohen Wirrnisfaktor aus. Sie besingen ihre zerlumpten Fahnen, zahnlosen Münder und zerrissenen Klamotten. Sie mögen Punkmusik und sind etwa 25 Prozent weniger nationalistisch eingestellt als die Delije. Ob aus politischer Überzeugung oder dem Wunsch, den Delije eins auszuwischen, wissen sie wahrscheinlich selbst nicht so genau.

Die Grobari sind ein einziger Chaoshaufen. Ich tendiere selbstverständlich klar zum Chaos. Leider ist es so, dass die Anführer beider Fanszenen seit Jahren im kriminellen Milieu verwurzelt sind. Erst kürzlich wurde eine Gruppe Grobari einkassiert; ihnen wird Drogenhandel, Totschlag und ähnlich Unappetitliches nachgesagt. Nichtsdestotrotz ist die große Mehrheit der Fans einfach nur fußballverrückt und brüllt während des Derbys infernalisch ihre Mannschaft nach vorn - und beleidigt natürlich den Gegner in einem bunten Vokabular, das für aufgeklärte deutsche Ohren verstörend klingen muss.

Wir waren 2020 mit unserem Freund Boban unterwegs. Ein strammer Grobari, der seine Liebe ansonsten im schweizerischen Exil auslebt. Boban führte uns vorm Spiel in einer kleinen Kneipe mit Freunden und Familienmitgliedern zusammen. Erst im Lauf des Beisammenseins erkannte ich, dass es ein sehr gemischter Haufen war, halb Grobari, halb Delije. Weil Freundschaft und Familie über allem stehen, tauscht man sich nicht über das Fantum aus. Es gab genug andere Themen: Bier trinken, Schnaps trinken, Sprüche klopfen.

Kurz nachdem wir die Kneipe Richtung Stadion verlassen hatten, fiel dort eine große Gruppe händelsuchender Wüteriche ein. Dem Wirt zufolge nix Besonderes; nur ein paar zerschlagene Gläser, Scheiben usw. (wir besuchten die Kneipe nach dem Spiel wieder). Anscheinend untereinander rivalisierende Grobari, die sich ein wenig auf den Mund schlagen mussten. Das Spiel ging (wie gefühlt fast immer) 0:0 aus. Aber wen zur Hölle interessierte das Spiel?

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