Kein Test, keine Lieferung

Fahrradkuriere fordern Schutzmaßnahmen

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Erneut Kritik am Essen-Bringdienst Lieferando: Beschäftigte beklagen, dass sie nicht gemäß der geltenden Infektionsschutzmaßnahmenverordnung arbeiten können und teilweise falsch informiert würden. Es häufen sich die Beschwerden, dass die »Rider« von Lieferando, wie die Fahrradkuriere genannt werden, noch immer gezwungen würden, gegen die Infektionsschutzverordnung zu verstoßen. Ähnliche Beschwerden gibt es über den Lieferdienst Wolt.

Im Kern geht es darum, dass die Unternehmen ihren Fahrern keine Coronatests zur Verfügung stellen. Das ist mit der am 31. März in Kraft getretenen Infektionsschutzverordnung Pflicht. Laut Paragraf 6a müssen Unternehmen ihren Angestellten, »die ihre Arbeit mindestens zum Teil an ihrem Arbeitsplatz in Präsenz verrichten« oder die »in der Regel im Rahmen ihrer Tätigkeit körperlichen Kontakt zu Kundinnen und Kunden oder sonstigen Dritten haben« zweimal pro Woche einen Corona-Schnelltest zur Verfügung stellen. Unternehmen müssen demnach die Tests auch organisieren.

Klare Regeln, denen einige Lieferdienste nicht nachkommen oder nachgekommen sind. In internen Lieferando-Chats berichten Kuriere, dass sie von Kund*innen angesprochen wurden, ob sie getestet sind. Einer schreibt, ein Kunde hätte ihm sogar mit einer Anzeige gedroht, sollte er weiter ohne Test arbeiten. Der Kollege in der Disposition antwortete mit Verweis auf Anweisungen »von oben«, die Rider sollten »ganz normal« weiterarbeiten, bis das Unternehmen die Testkapazitäten aufgebaut habe. Das sei nicht illegal. Der Rider reagierte wütend und verunsichert und brach letztlich seine Schicht ab.

In der Infektionsschutzverordnung heißt es zwar auch, die Testpflicht gelte nur, »soweit ausreichend Tests zur Verfügung stehen und deren Beschaffung zumutbar ist«. Doch das hilft den Ridern wenig weiter, wenn sie von Kund*innen konfrontiert werden oder unsicher sind, ob sie gerade gegen Gesetze verstoßen. Schichtabbruch bedeutet für sie zudem Verdienstausfall, was bei in der Regel zehn bis zwölf Euro Stundenlohn wehtut. Rider hatten überdies kritisiert, dass ihnen der Gang zu den Bürgertestzentren als »Interimslösung« angeboten worden sei. Das Problem bei Lieferando ist auch bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) bekannt. »Wir haben gegenüber der Geschäftsführung die Einhaltung der Infektionsschutzverordnung angemahnt«, sagt der Berliner NGG-Chef Sebastian Riesner zu »nd«.

Ein wesentlicher Streitpunkt ist die Frage, ob Kund*innenkontakt besteht. Während Beschäftigte und Gewerkschaft die Frage deutlich bejahen, verneint dies Lieferando-Sprecher Oliver Klug gegenüber »nd«. Dieser läge - ebenso wie ein erhöhtes Infektionsrisiko - erst dann vor, wenn man sich gemeinsam mehr als 15 Minuten in einem geschlossenen Raum aufhalte. »Seit Einführung der kontaktlosen Lieferung im März 2020 gibt es höchstens einen Sekundenkontakt, und den auf Distanz. Das sind andere Bedingungen als im Einzelhandel«, so Klug.

Überhaupt stellt sich die Lage aus Sicht des Unternehmens ganz anders dar. Die Kritik sei überzogen und stellenweise sogar ungerecht. »Wir haben die in der Verordnung gewährte Zeit zur Umsetzung gebraucht«, so Klug. Tatsächlich bietet Lieferando in Zusammenarbeit mit einem großen Betreiber von Testzentren seit Mitte April regelmäßige Tests für seine Beschäftigten nach Anmeldung an. Die Tests seien bezahlt und würden als Arbeitszeit angerechnet. »Wir bieten damit ein besseres Testkonzept an als viele andere Unternehmen«, so Klug. »Es gibt immer die Möglichkeit, etwas noch besser zu machen, aber wir reden allein für Berlin von über 4000 Tests für unsere fest angestellten Fahrer*innen.«

Alles gut also? Nein, meint NGG-Chef Sebastian Riesner. »Dass die jetzt so tun, als seien sie ein ganz toller Vorzeigebetrieb, ist reine Augenwischerei. Die Probleme bleiben doch.« Und die wären? »Lieferando bewegt sich immer erst unter Druck. Das haben wir schon in der ersten Welle der Pandemie gesehen, als es am Anfang nicht ausreichend Schutzausrüstung für die Rider gab.«

Einen Betriebsrat, der für die Einhaltung bestehender Gesetze sorgen könnte, gibt es bei Lieferando in Berlin nicht. »Der Arbeitgeber hat in den letzten Jahren alles dafür getan, eine Wahl zu verhindern«, sagt Riesner. Die hohe Fluktuation in der Belegschaft erschwere überdies den Aufbau von Strukturen. Lieferando sei aber keine Ausnahme, sondern »in bester Gesellschaft«, so der Gewerkschafter weiter.

Wie zum Beweis hieß es am Sonntag auf dem Twitter-Account »Rider-Support«: »Tag 19, an dem Rider bei Wolt gezwungen werden, gegen die zweite Corona-Verordnung zu verstoßen. Kein Test? Keine Lieferung! Hört auf zu reden, fangt an zu testen!«

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