In Zukunft immer online

Kritische Aktionäre fürchten um ihre Aktionsmöglichkeiten - die Hauptversammlungen finden virtuell statt

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Corona hat auch die Welt der Aktiengesellschaften verändert. »Die rein virtuelle Hauptversammlung ist in Deutschland als Kind der Not entstanden«, erklärt die Juristenvereinigung VGR. Es sei darum gegangen, den Unternehmen während der Pandemie die Handlungsfähigkeiten zu erhalten und beispielsweise den Aktionären eine Dividende auszahlen zu können. Weniger erfreut von der jüngsten Entwicklung zeigen sich Konzernkritiker.

»Die Möglichkeit zur Ausübung der vollen Aktionärsrechte ist in virtuellen Hauptversammlungen stark eingeschränkt«, kritisiert Markus Dufner, Geschäftsführer des Dachverbandes der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre (DKAA) in Köln. »Die Konzerne übertragen die Hauptversammlung zwar online, aber wir können uns dort nicht wie vor Corona mit Redebeiträgen zu Wort melden.« Fragen müssen einen Tag vor der Hauptversammlung elektronisch eingereicht werden und werden dann dort von den Vorständen beantwortet. Aktionärstreffen verkommen so zu einer »reinen Roadshow« der Konzerne.

Seit Jahrzehnten war in Deutschland gesetzlich geregelt, dass Hauptversammlungen Präsenzveranstaltungen sind. Aktionäre oder ihre Vertreter, vor allem Banken, mussten vor Ort anwesend sein, wenn sie ihre Stimmrechte wahrnehmen wollten. Ein Drittel verzichtete darauf, ermittelte Barkow Consulting, aus Desinteresse oder Kostengründen. Auch institutionelle Anleger taten dies. Die Corona-Pandemie hat dann Veranstaltungen mit häufig Tausenden Aktionären unmöglich gemacht.

Schon im März 2020 reagierte die Bundesregierung mit Sondervorschriften, um virtuelle Hauptversammlungen rechtssicher durchführen zu können. Die schärfste Waffe der Aktionäre sind nämlich Anfechtungsklagen, die zu teuren Rechtsstreitigkeiten führen können und unter Umständen sogar zur Wiederholung einer Hauptversammlung. Ihre Sonderregelungen verlängerte die Bundesregierung dann für die zweite Online-Saison in diesem Frühjahr.

Die kritischen Aktionäre antworteten auf die neue Situation mit »Präsenz-Protesten«. Bei BASF, BMW oder Daimler zogen Aktivisten mit anderen Nichtregierungsorganisationen vor die Konzernzentralen. Besonders gelungen fand Dufner die Kundgebung »RWE: raus aus Kohle und Atom« vor der Zentrale des Energiekonzerns in Essen. Ein aufwändiges Programm gipfelte im Juni in einer Baggerschaufel-Performance der »Artists for Future« aus Aachen. Solche Aktionen verbreiten der DKAA und seine Mitgliedsinitiativen über sogenannte soziale Medien und eigene Webseiten, manchmal auch über Livestreams.

Virtuelle Aktionärsshow
Kritik war auf der Hauptversammlung der Bayer AG kaum hörbar

Die Aktionen haben Wirkung, ist Dufner überzeugt. »Unsere Kritik an den Unternehmen, die in der Pandemie Staatsgelder beantragen und dennoch Gewinnbeteiligungen ausschütten, ist gut aufgenommen worden.« Die virtuelle Welt birgt sogar Vorteile. Koordinierungstreffen, Seminare und Podiumsdiskussionen finden - wie in anderen Bereichen - auf Onlineplattformen statt. Referenten aus Südamerika, Afrika oder Asien haben dadurch nun keine lange Anreise mehr nach Deutschland. »De facto sind reine Onlinetreffen aber kein vollwertiger Ersatz für hautnahe Begegnungen von Menschen.« Nach Corona, erwartet Dufner, werden dennoch wohl weiterhin viele Treffen virtuell stattfinden. Aber es werde auch wieder Veranstaltungen mit direkten menschlichen Begegnungen geben.

Mit Blick auf die neue Legislaturperiode setzt sich der Industrieverband BDI nun für eine dauerhafte gesetzliche Verankerung der virtuellen Hauptversammlung ein. Anfang des Jahres scheiterten allerdings verschiedene Wirtschaftsverbände mit dem Versuch, der Politik einen abgestimmten Vorschlag zu unterbreiten. Der Grund waren unterschiedliche Interessen, die Konzernvorstände von aktiven Investoren, wie dem US-amerikanischen Vermögensverwalter Blackrock, trennen.

Die Juristenvereinigung VGR, die »Wissenschaftliche Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht« in Frankfurt am Main, erwartet zukünftig Hybrid-Veranstaltungen, die Präsenz und virtuelle Hauptversammlungen vereinen. Dazu sollten die Treffen, die sich oft über den ganzen Tag hinziehen, »entzerrt und entschlackt« werden. »Rechte, die ohne materielle Einschränkung durch die Aktionäre auch im Vorfeld der Hauptversammlung ausgeübt werden können, werden in das Vorfeld der Hauptversammlung verlagert.« Kritische Aktionäre fürchten, dass ihre Beiträge, die weniger auf betriebswirtschaftliche als auf soziale und ökologische Probleme zielen, dann bereits vorab, faktisch in Abwesenheit einer breiten Öffentlichkeit, abgehakt werden.

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