»Ich habe Zidane gebrüllt - und dann ist nichts passiert«
»Französisch verlernen« - in Deutschland: Elisa Diallo hat ein Buch über Missverständnisse, Vorurteile und Rassismus geschrieben. Ein Gespräch mit der Autorin
Frau Diallo, Sie sind im Jahr 2018 deutsche Staatsbürgerin geworden. Vorher waren Sie Französin. Darüber haben Sie das Buch »Französisch verlernen« geschrieben. Wie hat Ihr französisches Umfeld darauf reagiert, wie Ihre Leser*innen?
Mein persönliches Umfeld war häufig etwas ungläubig, beleidigt fast. In Frankreich, das ist mein Eindruck, herrscht immer noch ein staubiges Bild von Deutschland vor: das ist ja Naziland. Da war dann oft die Frage: Warum machst du das? Gerade das hat mich irgendwann so frustriert und geärgert; diese Art der Franzosen, völlig unreflektiert sich selbst zu feiern und alles andere gering zu schätzen. Es gab entsprechend sehr viel Skepsis dem Buch gegenüber, manche Leser haben das auch als Angriff, teilweise sogar als Verrat empfunden. Ich habe mich auch, nachdem das Buch erschienen ist, direkt abgemeldet von Twitter, weil ich sicher war, ich ertrage die Reaktionen nicht. Vorhersehbarerweise war die Resonanz in den sozialen Netzwerken auch fürchterlich, hat man mir gesagt - weil die Franzosen sich Kritik nicht gern stellen mögen.
Elisa Diallo ist eine Tochter Frankreichs, und so heißt auch ihr Buch im Original: »Fille de France«. Die Tochter einer Bretonin und eines Guineers beschreibt darin, wie sie aus ihrem Geburtsland auswandert: zunächst in die Niederlande, später nach Deutschland. Und wie sie, in Mannheim angekommen und mit einem Deutschen verheiratet, inzwischen auch dreifache Mutter – die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt (und nach längeren Wirrungen durch die deutsche Bürokratie auch erhält).
Elisa Diallos »Französisch verlernen« (so der deutsche Titel) ist eigentlich ein Buch, das sich in erster Linie an Französ*innen wendet; darüber hinaus ist es aber auch ein Buch, das einen europäischen und übereuropäischen Blick auf die Fragen von Identitäten und Bürokratien wirft. Und von den Missverständnissen erzählt, die in Deutschland über Frankreich verbreitet sind.
Woher kommt diese Kritikunfähigkeit?
Vielleicht ist es ein Problem des politischen Systems Frankreichs, das ja stark von der Idee der Direktwahl beeinflusst ist: Entweder man ist für etwas oder total dagegen, es gibt keine Nuancen, keine Kompromisse. Und ein Teil der französischen Öffentlichkeit, gerade auch die Intellektuellen, versteht sich als letzte Bastion des Universalismus gegen die US-amerikanische Identitätspolitik. Das französische Ideal ist eine farbenblinde Republik: daran möchte man glauben wie an eine Religion. Es ist Ideologie, und was dieser Ideologie widerspricht, wird ausgeblendet. Deswegen ist es auch ein Hindernis für Diskussion und Kritik. Ich merke das persönlich stark daran, wie oft mir meine persönlichen Erfahrungen mit Rassismus abgesprochen werden. Das darf es nicht geben im universalistischen Frankreich, also gibt es das auch nicht.
Ist das in Deutschland nicht auch so? Hier denken ja auch viele: Wer reinen Herzens ist, kann gar kein Rassist sein.
Ich bin oft gefragt worden im Freundeskreis, warum Deutschland bei mir so gut wegkommt. Aber für mich ist es andersherum: Frankreich kommt in Deutschland zu gut weg. Man hat hier ein romantisiertes, schönes Bild von diesem Land. Es gibt so viele Bücher über die französische Lebensart von deutschen Autoren, die schönsten Wanderwege und das beste Essen und all das, viel davon ist rein anekdotisch und Wohlfühlliteratur. Man sieht den Klassismus nicht, den Rassismus, die postkoloniale Gewalt. Ja, Frankreich wirkt bunter, gerade wenn man Paris-Gare de l'Est aussteigt aus dem Zug. Aber alle Schwarzen Menschen dort sind Leute, die auf Baustellen arbeiten oder die Busse fahren. Das ist nicht wie in London. Und ich habe eben gemerkt, als ich die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen habe, dass sich da ganz viele Konflikte herauskristallisieren, auch in mir.
Sie schreiben, dass es in Frankreich diese Hoffnung auf eine multikulturelle, fortschrittliche Gesellschaft einmal gegeben hat, gerade nach der WM 1998.
Ich habe auch »Zidane« gebrüllt und gedacht, das wäre vielleicht ein Wendepunkt; aber dann ist nichts passiert. Es sind nur ganz kleine Fortschritte, und sie sind immer bedroht davon, dass alles über den Haufen geworfen wird. Nächstes Jahr sind Präsidentschaftswahlen, und es gibt eine kleine, aber realistische Chance, dass Marine Le Pen diese Wahl gewinnt. Ja, Frankreich ist auch das Land von black-blanc-beur, aber es gibt auch konkurrierende Erzählungen, die stärker verwurzelt sind. Und die Linken in Frankreich sind derart unzufrieden mit Macron und gleichzeitig so zerstritten, dass es am Ende tatsächlich Marine Le Pen werden könnte. Es gibt schon große Kapitalgeber, die versuchen, eine Medienmacht aufzubauen, um am Ende Le Pen zu unterstützen. Die größte Gefahr in den französischen Medien und für die Politik geht momentan von Bolloré aus, der den Fernsehsender CNews besitzt und nun versucht, Europe 1 zu kaufen, einen der wichtigsten Radiosender Frankreichs.
Mein Eindruck ist, dass Frankreich im Grunde als der Vorhof von Paris behandelt wird. Es gibt aber auch Städte, in denen ein anderes Zusammenleben möglich scheint, Marseille zum Beispiel.
Ich bin in Paris aufgewachsen, wenn ich von Frankreich spreche, meine ich eigentlich diese Stadt. Mein Frankreich ist auch alt, ich bin 1998 weggezogen. Ich bin in den 70ern und 80ern dort aufgewachsen, das ist die Zeit, die mich geprägt hat. Ich weiß auch, dass je nach Ort die französische Gesellschaft viel inklusiver sein kann - aus Marseille wird mir das zum Beispiel auch erzählt, viele Freunde ziehen da hin - aber ich spreche aus meiner Erfahrung, und die ist Paris einerseits und das mediale Frankreich andererseits.
Wo sehen Sie die Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich?
Es gibt in den beiden Ländern unterschiedliche Idealvorstellungen: In Frankreich ist das Wichtigste die Republik, Deutschland aber ist demokratischer. Das klingt paradox, weil alle immer denken, die Deutschen wären so folgsam und die Franzosen kämpfen und streiken und gehen auf die Straße; aber die Franzosen tun das, weil es keinen anderen Weg gibt. In Deutschland redet man ewig, versucht Kompromisse zu finden, das ist sehr unsexy und unspektakulär; aber dieses Verhandeln ist auch weniger ideologisch und gerechter. Deutschland hat sich schneller entwickelt, da hat sich mehr bewegt.
Was braucht es jetzt?
Ich finde, es ist eine Tragödie, dass Großbritannien aus der EU raus ist, auch wegen des Erasmus-Programms. Was da alles verloren geht an Begegnungen und Verständnis! Ich bin nicht sehr gut darin, konkrete Dinge vorzuschlagen, aber meine Hoffnung ist, dass wir voneinander lernen.
Elisa Diallo: Französisch verlernen. Mein Weg nach Deutschland. A. d. Franz. v. Isabel Kupski. Berenberg, 240 S., br., 14 €.Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.