Mit Spritze in den Problemkiez

Impfangebote für »soziale Brennpunkte« werfen Fragen und Kritik auf

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Patricia Hänel hat eine klare Vorstellung, wie es laufen könnte. »Es wäre super, wenn wir ein Impfmobil bekommen und für Kühlmöglichkeiten und eine vernünftige Vergütung unserer Pflegekräfte und Ärzt*innen gesorgt wird«, sagt Hänel zu »nd«. Und möglichst unbürokratisch müsse es sein, das mobile Impfangebot. »Aber die Logistik darf auch nicht den Engagierten vor Ort überlassen werden«, fordert Hänel eine ausgewogene Zusammenarbeit mit der Gesundheitsverwaltung. Nur ein Zelt aufzustellen, würde nicht reichen.

Die Koordinatorin des Berliner Gesundheitskollektivs hat die Mitteilung des Senats, dass ab kommender Woche in sogenannten sozialen Brennpunkten geimpft werden soll, zunächst erfreut zur Kenntnis genommen. Angekündigt wurde, mobile Impfteams mit 10.000 Dosen des nur einmal zu verabreichenden Vakzins von Johnson & Johnson auszustatten und in Familien- und Stadtteilzentren zu schicken. Wohnortnah soll so ein Impfangebot für Menschen entstehen, die man glaubt, über andere Wege der Impfkampagne nicht zu erreichen.

»Weil es uns darauf ankommt, dass möglichst schnell möglichst viele Menschen geimpft werden, finden wir das prinzipiell gut«, sagt Hänel. Aber jetzt käme es auf die Umsetzung an, so die Gesundheitsaktivistin. »Wir führen bei unseren mobilen Beratungen viele Gespräche, in denen deutlich wird, dass die Menschen Ängste und Bedenken vor Impfungen haben«, erklärt die Medizinerin. Diese müssten zunächst ausgeräumt werden - mit Zeit und Geduld für Gespräche und nicht mit der aufgezogenen Spritze in der Hand. Es reiche deshalb nicht, zu sagen, es werde jetzt eine Maßnahme durchgeführt - so wie derzeit in Gemeinschaftsunterkünften für Obdachlose oder Flüchtlinge. »Wir erleben Menschen in Flüchtlingsunterkünften, die haben die nachvollziehbare Befürchtung, dass sie als eine Art Versuchskaninchen herhalten müssen, weil der Impfstoff von Johnson & Johnson erst kürzlich zugelassen wurde.«

Hänels Verein will noch in diesem Jahr ein Zentrum im Neuköllner Rollberg-Kiez eröffnen, das sich am Modell der DDR-Polikliniken orientiert und in dem stadtteilbezogene und bedarfsorientierte Gesundheitsversorgung stattfinden soll. Seit fast zehn Jahren ist das große Team aus Kinder-, Allgemein- und Fachärzt*innen, Psycho- und Physiotheratpeut*innen aber auch Sozial- und Gemeinwesenarbeiter*innen schon im Kiez unterwegs, um gemeinsam mit den Menschen und sozialen Akteuren vor Ort herauszufinden, wie diese bestmöglich aussehen kann. »Wir stehen hier in Neukölln in engem Austausch mit sozialen Akteuren wie dem Kiezanker, den Stadtteilmüttern und dem Community-Zentrum Morus 40«, erklärt die Koordinatorin. In der Pandemie habe man versucht, nach dem Prinzip »Train the Trainer« Menschen, die ohnehin schon im Kiez aktiv sind, für die Aufklärung über das Coronavirus und Impfungen zu gewinnen. »Darüber und über unsere mobilen Beratungen erreichen wir auch Menschen mit anderen Muttersprachen oder Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, an denen viele Informationen vorbeigehen.«

Auch der Reinickendorfer Amtsarzt Patrick Larscheid kritisiert die Ankündigung des Senats. Es gebe Bevölkerungskreise, die die Corona-Maßnahmen ablehnten und nicht bereit seien, Einschränkungen zu akzeptieren. Der Einsatz eines Impfmobils reiche in diesen Fällen nicht, erklärte Larscheid. Es gebe Menschen, die sich gar nicht impfen lassen wollten, weil sie »krude Vorstellungen« hätten. Seine Mitarbeiter im Gesundheitsamt hätten sehr gute Erfahrungen gemacht, was Aufklärung angeht. »Wir kennen unsere Pappenheimer in den Bezirken sehr genau«, sagte der Amtsarzt mit der ihm eigenen unangenehmen Wortwahl.

Auf gezielte Aufklärung setzt auch die Integrationsbeauftragte Katarina Niewiedzial. Sie bestärkte am Donnerstag gemeinsam mit dem Islamforum die Berliner Moscheegemeinden darin, in den kommenden Freitagsgebeten für Corona-Impfungen zu werben und aufzuklären. »Aus ihrer religiösen Überzeugung heraus möchten Imame Ängste nehmen und falschen Informationen entgegentreten. Das Leben und die Gesundheit sind hohe Güter, die aktiv geschützt werden müssen«, so Niewiedzial. Auf diesem Weg will sie erreichen, dass möglichst viele Berliner*innen das Angebot zur Impfung annehmen.

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