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Das große Impfen

Sieben Tage, sieben Nächte

Der eine konnte sich gar nicht erklären, warum er eine Impfeinladung bekam. Die andere hat einen Arzt gefunden, der noch Astra-Zeneca übrig hatte. Einer, der es durch Hartnäckigkeit geschafft hat, beim Hausarzt geimpft zu werden, ohne zu einer der priorisierten Gruppen zu gehören, lästerte zuvor noch über jemanden, der auch nicht vorrangig dran gewesen wäre, aber jemanden bei der Hotline so lange bequatscht haben soll, bis er einen Termin bekam.

Während man im Freundeskreis in den ersten Monaten des Jahres freudig Anteil nahm, wenn betagte Eltern oder Vorerkrankte immunisiert wurden, lösen Nachrichten über Impfungen inzwischen nicht mehr nur positive Reaktionen aus. Die geimpfte Bekannte arbeitet zwar im Krankenhaus, aber doch nur in der Verwaltung. Und er? Ist er etwa systemrelevant?

Manche fühlen sich schon belästigt von all den freudigen Posts in den sozialen Netzwerken über Besuche in den Impfzentren. Versuch doch dies oder das, wird da geraten und müssen auch jene unfreiwillig mit anhören, die sich vorgenommen hatten abzuwarten, bis sie an der Reihe sind. Oder aber: Was, so spät? Natürlich will auch niemand der Letzte sein, der die Spritzen erhält und sich endlich wieder sorgloser im Alltag bewegen kann oder in den Urlaub fahren darf.

Intensivmediziner forderten flächendeckende Impfungen an sogenannten sozialen Brennpunkten, weil auf den Intensivstationen überdurchschnittlich viel ärmere Menschen liegen. Die Familienministerkonferenz forderte die zügige Impfung von Jugendlichen, weil die in die Schule gehen sollen. Der Bestatterverband von NRW forderte, bei der Priorisierung nicht übergangen zu werden, weil auch der Umgang mit infektiösen Verstorbenen gefährlich sei.

Trotz der mittlerweile beeindruckenden Zahl von rund einer Million Impfungen täglich scheint die Impfgerechtigkeit keineswegs größer zu werden. Auch nd-Redakteurinnen und -Redakteure, die nun Impftermine vereinbaren dürfen, weil Journalisten in Berlin zur Prio-Gruppe 3 zählen, sind nicht alle gleichermaßen auf Demonstrationen unterwegs, wo Hygieneregeln missachtet werden.

Dass nun Menschen, die geimpft sind, Freiheiten genießen, die anderen noch verwehrt bleiben, mag vom Grundgesetz her betrachtet richtig sein und ist im Übrigen jedem und jeder Einzelnen herzlich zu gönnen. Aber ist das gerecht gegenüber denen, die ja gern würden, wenn sie nur könnten?

Die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland sinkt zwar, aber ist mit fast 18 500 am Freitag noch keineswegs beruhigend niedrig. Jeglicher Impffortschritt kommt zu spät für fast 85 000 Menschen allein in Deutschland, die bereits an der Krankheit gestorben sind oder mit dem Tod ringen. Von der Lage in Indien und vielen anderen Ländern ganz zu schweigen. Allein weil Indien weniger Impfstoff exportiert, müssen einige arme Länder ihre bescheidenen Impfziele noch weiter einschränken.

Die Zahl der zusammengesetzten Wörter, die mit Impf- beginnen, nimmt täglich zu. Impfdemut gehört noch nicht zu den gebräuchlichen. Regina Stötzel

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