Auf der Suche nach der eigenen Tradition

Die Bundeswehr plant die Umbenennung verschiedener Kasernen – die Entscheidungen für alte und neue Namen werfen jedoch Fragen auf

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Noch liegt das Aufklärungsbataillon 6 »Holstein« in der Rettberg-Kaserne in Eutin. Demnächst jedoch werden die gut 500 Soldatinnen und Soldaten – ohne den Standort zu wechseln – in der Oberst-Herrmann-Kaserne ihren Dienst verrichten.

2018 verkündete das Bundesverteidigungsministerium einen neuen Traditionserlass für die deutschen Streitkräfte. Natürlich wollte man mit den bis dahin geltenden, 1982 beschlossenen Richtlinien, nicht total brechen, wohl aber überprüfen, ob die bislang gepflegten Traditionen dem »werteorientierten Selbstverständnis der Bundeswehr« entsprechen und die so gebildete »geistige Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft« für die bundesdeutsche Demokratie tragfähig ist.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Dabei konnte es bereits seit Gründung der Bundeswehr eigentlich keinen Zweifel geben, dass man diesem Grundgesetz zu widerhandelt, wenn man die Namen von Nazi-Generälen oder die von dem Kaiser treu ergebenen Militaristen an die Kasernen-Tore und andere Bundeswehr-Liegenschaften schreibt. Das wusste man freilich auch, als man in Eutin Karl von Rettberg zum Namenspatron erhob.

Im Frühsommer 2019 hatte sich die »Initiative gegen falsche Glorie« an den Standortältesten gewandt und eine Umbenennung der Kaserne gefordert. Nicht nur die Erkenntnisse der Initiative, sondern auch ein internes Gutachten der Bundeswehr belegten, dass von Rettberg (1865 bis 1944) im Ersten Weltkrieg Gräueltaten befahl. Unter seinem Kommando wurden im August 1914 in den belgischen Ortschaften Herent und Leuven Häuser abgebrannt und Zivilisten erschossen.

Nach Ansicht des Verteidigungsministeriums wurden solche Verfehlungen bei Namensgebern in nur »wenigen Fällen« festgestellt. Noch in diesem Jahr, so teilte der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Thomas Silberhorn (CSU), jüngst mit, würden notwendige Umbenennungen abgeschlossen. Diese fänden »voraussichtlich in zwölf Liegenschaften« statt. In der Antwort auf eine Anfrage des Parlamentarischen Geschäftsführers der Linksfraktion im Bundestag, Jan Korte, bestätigte Silberhorn, dass Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) bereits der Umbenennung des Materiallagers Müritz (Waren) in Müritz-Kaserne zugestimmt hat, dass sie die Ostmark-Kaserne (Weiden) in Major-Radlof-Kaserne umwandeln lässt, aus der Feldwebel-Liliental-Kaserne entsprechend ihrem Standort die Delmenhorst-Kaserne machen lässt.

Auch dem Marinestützpunkt in Kiel nahm sie den Namen des Kaiser-Admirals Tirpitz. Mehr noch: Die »Umbenennungsprozesse für die Marsaille-Kaserne (Appen), die Mudra-Kaserne (Köln) sowie die Deines-Bruchmüller-Kaserne (Lahnstein) sind weit vorangeschritten«, erklärte Silberhorn, bat aber um Geduld, denn die Pandemie behindere raschere Aktionen.

Nun hatte Korte aber auch nach den Kasernen in Augustdorf und Dornstadt gefragt. Diese sind nach Erwin Rommel benannt und haben keine Umbenennung zu fürchten, denn: »Für die Bundeswehr sind Rommels Missachten verbrecherischer Befehle und die Ablehnung des vom NS-Regime geforderten ideologischen Feindbildes sowie sein Verantwortungsgefühl und soldatischer Mut, die Beendigung des Krieges gegenüber dem Diktator auch unter Gefahr für Leib und Leben persönlich einzufordern, unverändert sinn- und traditionsstiftend.« Wenn der Name von Hitlers Lieblingsfeldmarschall also weiter den Geist der Truppe bestimmt, so ist auch wohl auch nichts einzuwenden, wenn es in Eutin eine Oberst-Herrmann-Kaserne gibt.

Werner Herrmann (1917 bis 2002) war beliebt. Er gilt als Mann der ersten Stunde bei der Bundeswehr. Die Namensgebung entspricht also genau den Vorgaben des neuen Traditionserlasses, laut dem man Sinngebung vor allem aus dem eigenen Dasein schöpfen will. Klar, Mitglied in der Hitler-Jugend und in der SA waren viele Männer in Herrmanns Alter. Dass der Kavallerist bei Hitlers Feldzügen gegen Frankreich und die Sowjetunion mit ritt, ist auch nicht außergewöhnlich. Zwar bescheinigte ihm eine Beurteilung von Anfang 1944 eine einwandfreie »nat.soz. Haltung«, doch das sei »eine zeittypische, fast schon obligatorische Beurteilungsfloskel ohne substanzielle Bedeutung« gewesen, betonte das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). Die Militärhistoriker fanden zudem keine »keine Anhaltspunkte« dafür, dass der damalige Kavallerie-Schwadronschef »schuldhaft in Kriegsverbrechen verwickelt war«.

Sicher beabsichtigt man nicht, Herrmanns reichen Ordensschmuck, den er unter anderem für »besondere Tapferkeit vor dem Feind und für hervorragende Verdienste in der Truppenführung« sammelte, in Eutin auszustellen. Eher verweist man vielleicht darauf, dass sein »elterlicher Landwirtschaftsbetrieb in Dornstedt im Rahmen der Bodenreform in der SBZ enteignet worden war« – und nähert sich so vielleicht einem Motiv, mit dem Herrmann sich am 12. Juli 1954 bei der Vorläuferorganisation des BMVg für eine Einstellung als Offizier in den neuen westdeutschen Streitkräften bewarb.

Er brachte es bis zum Oberst, über den sich – laut Gutachten des ZMSBw – zusammenfassend sagen lässt: Obwohl Soldat »mit Leib und Seele«, war H. allem Anschein nach kein »Kommisskopf« und kein »Nur-Soldat«.

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