Die Hassmaschine im Wahlkampf läuft

Seit die Grünen Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin präsentierten, wird die Politikerin im Netz verstärkt mit Hass, falschen Behauptungen und Sexismus attackiert. Dahinter steckt eine gezielte Kampagne

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 6 Min.

»Grünen-Kandidatin fordert ein Verbot der Haustierhaltung«, »Baerbock will die Witwenrente abschaffen« - seit die Grünen Annalena Baerbock zu ihrer Kanzlerkandidatin bei der Bundestagswahl im September erklärten, verbreiten sich über die sozialen Netzwerke und in Chat-Gruppen, wie etwa bei Telegram, vermehrt angebliche politische Aussagen der 40-Jährigen. Die Forderungen sind inhaltlich zugespitzt, sollen provozieren und die Leser*innen emotionalisieren, doch vor allem sind sie eines: von Baerbock nie gesagt worden.

Es handelt sich um frei erfundene Zitate, nie geäußerte Forderungen oder aus dem Kontext gerissene Aussagen der Grünen-Politikerin, die gezielt gestreut werden, um die Kanzlerkandidatin in Misskredit zu bringen. Neu sind solche Methoden nicht, aber Angriffe dieser Art nehmen zu. »Nach der Verkündung der Kanzlerkandidatur haben wir noch einmal ein völlig neues Ausmaß festgestellt. Sowohl Annalena Baerbock als auch Robert Habeck werden im Netz schon lange attackiert. Aber seit der Nominierung von Annalena Baerbock haben gefälschte Zitate und gefakte Bilder noch mal einen Schub bekommen«, berichtet eine Pressesprecherin der Bundespartei gegenüber »nd«.

Was die Grünen beobachten, kann auch Andre Wolf von Mimikama bestätigen, einem Verein aus Österreich, der zum Ziel hat, über Internetmissbrauch aufzuklären und deshalb Gerüchte wie jene über die Grünen-Politikerin Baerbock Faktenchecks unterzieht. »Das Bashing besteht in den meisten Fällen aus ungerechtfertigten Vorwürfen oder aus Falschmeldungen. Grünen-Politiker*innen werden immer wieder falsche Zitate in den Mund gelegt oder angebliche Forderungen nach Verboten erfunden«, erklärt Wolf.

Feindbild »Jung, weiblich, akademisch ausgebildet«

Der Experte erzählt, dass das »Grünen-Bashing« wie Wolf es nennt, im Vorfeld von Wahlen immer wieder auftritt. »Jetzt kommt noch verstärkend hinzu, dass die Grünen eine Kanzlerkandidatin aufgestellt haben«, betont der Experte.

Baerbock ist nicht nur die erste Kanzlerkandidatin der Grünen überhaupt, sondern wird von vielen Konservativen und der extremen Rechten als eine Reizfigur und Feindbild betrachtet: Jung, weiblich, akademisch ausgebildet.

»Gerade von Konservativen wird über Social Media versucht, das alte, klassische, traditionelle Frauenbild zu errichten. Dementsprechend werden junge, gebildete Frauen abgewertet und erniedrigt«, so Wolf. Im Fall von Baerbock ging diese Kampagne sogar so weit, dass in den sozialen Netzwerken ein angebliches Nacktfoto der Politikerin aus Jugendjahren verbreitet wurde.

Auch Mimikama wurde auf den Fall aufmerksam und fand nach einer kurzen Recherche schnell heraus: Natürlich zeigt die Aufnahme nicht Baerbock. In Wahrheit handelt es sich um ein russisches Model, das optisch der Grünen-Politikerin in Jugendjahren höchstens ähnelt.

Frauen werden auf ihr Aussehen reduziert

Hass, Hetze, Sexismus, aber mit welchen Ziel? »Bei dieser Strategie geht es darum, Frauen gezielt zu attackieren und ihnen zu drohen, um ihren politischen Willensbildungsprozess zu brechen«, erklärt Wolf.

Bei den Grünen beobachtet man solche Kampagnen mit großer Sorge. »Auffällig bei den Debatten im Netz ist, dass Frauen häufiger auf ihr Geschlecht, ihr Aussehen reduziert oder ihnen die Kompetenz abgesprochen wird. Das passiert bei männlichen Kollegen so nicht«, sagt die Grünen-Sprecherin. Baerbock sei dabei aber nur eines der prominentesten Beispiele.

Doch auch Vorwürfe, die nur einen winzigen wahren Kern haben, werden im Netz zum großen Skandal aufgebauscht. Für kurzes, aber heftiges Aufsehen sorgten über mehrere Tage Zweifel an Baerbocks akademischer Vita. Der Vorwurf: Die Grüne habe in ihrem Lebenslauf gelogen oder zumindest die Realität zurechtgebogen. Konkret ging es dabei um ihren Masterabschluss an der angesehenen »London School of Economics & Political Science«. Diesen könne Baerbock gar nicht erlangt haben, weil sie über keinen dafür notwendigen Bachelor-Abschluss als Zugangsvoraussetzung verfüge. Zumindest der letzte Teil der Erzählung stimmt. Baerbock hat nie ein Bachelorstudium absolviert.

Baerbocks Zeugnisse veröffentlicht

Die Wahrheit ist allerdings banal: Weil es zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland flächendeckend noch keine Bachelor-Studiengänge gab, war ebenso auch ein Vordiplom als Voraussetzung für eine Bewerbung zulässig. Dieses hatte Baerbock absolut korrekt an der Universität Hamburg erworben. Weil die Unterstellungen in den sozialen Netzwerken Überhand nahmen, griffen die Grünen zu einer ungewöhnlichen Maßnahme. Wahlkampfsprecher Andreas Kappler veröffentlichte auf Twitter Fotos von Baerbocks Abschlusszeugnissen.

Der angebliche Skandal war damit aber nicht beendet. Im Netz wurden Stimmen laut, Baerbock dürfe sich nicht als Völkerrechtlerin bezeichnen, schließlich sei sie keine ausgebildete Juristin. Auch dieser Vorwurf ist inhaltlich dünn und lässt sich leicht durch eine kurze Internetrecherche entkräften. Baerbock schloss ihr Londoner Studium mit einem Master of Laws in Public International Law ab - selbst der Google-Übersetzer erkennt, dass sich diese sperrige akademische Bezeichnung problemlos als Master in Völkerrecht übersetzen lässt.

Auch die Union beteiligt sich

Wolf beobachtet bei all den Fake News und Hassattacken im anlaufenden Wahlkampf eine befremdliche Entwicklung. »Ich finde es sehr schade, dass jetzt auch die Union dieses Bashing betreibt. Das steht der großen Volkspartei nicht. Es wäre dringend notwendig, dass die Union von solcher Art Schmutzkampagne wieder wegkommt.«

Der Mimikama-Experte geht allerdings davon aus, dass Deutschland in den sozialen Netzwerken »einen noch sehr heftigen Wahlkampf« erlebt. Einerseits werde dieser von den Parteien befeuert, andererseits aber auch durch ihre Anhängerschaft. »Es gibt einerseits den offiziellen Wahlkampf, der von den Parteien betrieben wird. Dann gibt es auch noch diesen Guerilla-Wahlkampf, der von verschiedenen Gruppen auf unterschiedlichen Kanälen wie etwa in Telegram-Gruppen betrieben wird. Da weiß man oft nicht, wer genau dahintersteckt.«

Auch die Grünen haben weiter aufgerüstet, um dem zunehmenden Hassangriffen und Falschmeldungen etwas entgegensetzen zu können. »Wir haben eine zentrale Meldestelle für Fake-Zitate ins Leben gerufen, bei der Mitglieder solche Fakes und Lügen melden können. Hier werden die Zitate geprüft und eine entsprechende Reaktion entwickelt«, heißt es aus der Parteizentrale in Berlin. Ganz neu sind solche Unternehmungen nicht. Laut Grünen-Sprecherin verfügt die Partei bereits seit 2017 über eine »Netzfeuerwehr«, um Gegenrede zu leisten, Kampagnen zu erkennen und Hass melden zu können.

Falschmeldungen nehmen deutlich zu

Seit Baerbock Kandidatin ist, seien die im Umlauf befindlichen Falschmeldungen »um ein vielfaches in die Höhe geschnellt«. Deshalb gehen die Grünen auch juristisch dagegen vor. Laut Parteisprecherin hat man allein in den ersten drei Wochen nach der Kandidatenverkündung 15 Meldungen auf Grundlage des Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) gemacht. Die Regelung zwingt Plattformbetreiber*innen dazu, gegen Hassverbrechen vorzugehen. Es dürften in diesem Wahlkampf nicht die letzten Meldungen gewesen sein.

Wolf erklärt, dass digitale Schmutzkampagnen oft in Wellen auftreten. »Die erste große Welle gab es, als Baerbock zur Kanzlerkandidatin ernannt wurde. Ich gehe davon aus, dass die Angriffe jetzt erst einmal etwas abflachen«, so der Experte. Anlassbezogen dürfte es in den nächsten Monaten erneut zu Angriffen unter der Gürtellinien gegen Baerbock kommen. »In den Wochen vor der Bundestagswahl dürfte es noch einmal besonders heftig werden.«

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