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Ein Stück Berlin, wie ein offenes Buch

Seit 140 Jahren gibt es den Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde - er erzählt Stadtgeschichte auch jenseits der »Gedenkstätte der Sozialisten«

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 5 Min.
Die »Gedenkstätte der Sozialisten« ist ein Ort großer Traditionen. Sie ist der bekannteste Bereich des Zentralfriedhofs Berlin-Friedrichsfelde. Inmitten seiner parkartigen Anlage erhebt sich die 2019 aufwendig sanierte Feierhalle.
Die »Gedenkstätte der Sozialisten« ist ein Ort großer Traditionen. Sie ist der bekannteste Bereich des Zentralfriedhofs Berlin-Friedrichsfelde. Inmitten seiner parkartigen Anlage erhebt sich die 2019 aufwendig sanierte Feierhalle.

Ein Jogger trabt in der Mittagssonne den Rundweg entlang, vorbei am Gedenkstein und den Gräbern für die Opfer und Verfolgten des Naziregimes. Das fühlt sich falsch an, der Würde des Ortes nicht angemessen. Doch es geschieht beinahe so selbstverständlich, wie abseits der üppig grünen Alleen Menschen miteinander schwatzen, während sie, mit bunten Gießkannen in der Hand, die Gräber ihrer Lieben wässern. Oder wie die zwei Männer auf einer Bank bei Sekt und belegten Broten eines Verstorbenen gedenken.

Eine gewöhnliche städtische Grabanlage wie so viele andere auch - das ist der Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde im gleichnamigen Ortsteil des Bezirks Lichtenberg aber seit jeher nicht. Daran erinnert der Historiker Jürgen Hofmann in seinem jüngsten Buch über diesen außergewöhnlichen Ort. »Ein Friedhof für alle Bekenntnisse« lautet der Titel. Und offen »für alle Bekenntnisse und sozialen Schichten« hätten ihn seine Begründer auch bereits in der Satzung angelegt, als er vor 140 Jahren eröffnet wurde, betonte er bei der Vorstellung der 149 Seiten umfassenden Neuerscheinung am Freitag bei der Veranstaltung des Kommunalpolitischen Forums.

Hofmann, Jahrgang 1943, ist Gründungs- und Vorstandsmitglied des Förderkreises Erinnerungsstätte der deutschen Arbeiterbewegung Berlin-Friedrichsfelde, zudem sei er Chef der Historischen Kommission der Linken, wie Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke), Vereinsvorstand des Forums, bei der Online-Präsentation betonte.

Am 21. Mai 1881 ist der Gemeindefriedhof für Berlin - damals aber noch außerhalb der Stadt - eingeweiht worden. Zu diesem Zeitpunkt waren die innerstädtischen Friedhöfe in der dynamisch wachsenden Industriemetropole des erst seit zehn Jahren bestehenden Kaiserreiches bereits an die Grenzen ihrer Kapazität gestoßen. Die Stadt sei mit diesem Friedhof neue Wege gegangen, heißt es im Klappentext des Buches. Wie Historiker Hofmann im Forum erläuterte, sei mit ihm weit vor den Toren der Stadt damals auch der erste Parkfriedhof der Region entstanden. Und Friedrichsfelde sei nicht, wie vielfach kolportiert, als Armenfriedhof angelegt worden, auch wenn die Stadt oft die Begräbniskosten übernahm. Er sei für Arme und Betuchte gleichermaßen, für Menschen auch unabhängig ihres religiösen Bekenntnisses geschaffen worden. Darüber hinaus sei er ein Vorreiter für die Urnen- oder Feuerbestattung in Deutschland gewesen. »Hier fand die erste Urnenbestattung im September 1887 statt, lange bevor das gesetzlich geregelt war«, so Hofmann. Dazu habe der Berliner Verein für Feuerbestattungen extra Regelungen mit dem Magistrat vereinbaren müssen.

Der auf dem 25 Hektar umfassenden Areal durch Berlins Stadtgartendirektor Hermann Mächtig, einem Schüler Peter Joseph Lennés, geschaffene Landschaftspark, in dem bald auch wohlhabendere Bürger, Intellektuelle und Künstler ihre letzte Ruhestätte fanden, ist eine grüne Oase. Die noch heute zu findenden Kinder- und Armengräber seien wie die Ehrengräber der Reichen von Anbeginn in der Anlage vorgesehen gewesen, wie vorliegende Pläne belegen. Arm und Reich sollten auf einem gemeinsamen Friedhof beieinanderliegen. Zunächst als Park mit breiten Alleen angelegt, »um die Schrecken des Todes abzumildern«, sei er inzwischen längst unverzichtbar für das Stadtklima, so Hofmann.

Vor allem aber als »Sozialistenfriedhof« hat Friedrichsfelde bis in die Gegenwart für sehr viele Berliner eine besondere Bedeutung. Das zeigt sich an der weiterhin großen Teilnehmerzahl beim alljährlich im Januar stattfinden Gedenken für die 1919 ermordeten Sozialisten und KPD-Gründer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Ziel der Demonstrationszüge von Kommunisten, Sozialisten, linken Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und vielen anderen Hauptstädtern ist seit Jahrzehnten vor allem die 1951 eingeweihte »Gedenkstätte der Sozialisten«.

Begründet wurde diese Tradition bereits mit der Beisetzung von Wilhelm Liebknecht am 12. August 1900. Bis zu 150 000 Menschen hatten damals dem Mitbegründer der SPD das letzte Geleit auf seinem Weg von Charlottenburg nach Friedrichsfelde gegeben. Der damals geprägte Ruf als »Sozialistenfriedhof« habe mit der Beisetzung der Führer der ermordeten Novemberrevolution 1919 seine Bekräftigung gefunden, schreibt Hofmann. »Die damit verbundene Tradition des Totengedenkens hat sich bis in die Gegenwart erhalten.«

Der Autor widmet der Entstehung der denkmalgeschützten Anlage und ihrer vor allem durch die Zerstörungen unter dem NS-Regime und als Folge des Krieges in seiner Schrift auf zehn Seiten eine »kleine Friedhofsgeschichte«. Kenntnisreich beschreibt er in den folgenden Abschnitten Bauwerke und Grabanlagen: einerseits bestehende wie etwa die Feierhalle, die Toranlage, den Pergolenweg, die Anlage für die Verfolgten des Naziregimes und natürlich die »Gedenkstätte der Sozialisten«, die Kriegs-, Kinder- und Künstlergräber; andererseits auch verloren gegangene wie das 1926 vom späteren Bauhausdirektor Ludwig Mies van der Rohe entworfene Revolutionsdenkmal für die Opfer der revolutionären Kämpfe von 1918/1919, das die Nationalsozialisten 1935 schleifen ließen.

Volle 99 Seiten widmet Hofmann den Biografien von Menschen, die auf dem Zentralfriedhof bestattet sind. Es sei ein biografischer Führer, aber eben nur eine Auswahl aus über 2000 Namen, sagte der Historiker. Zum Beispiel finde man die Lebensgeschichten aller in der »Gedenkstätte der Sozialisten« Beigesetzten, und alle Namen »aus der Künstlerabteilung«. Der Förderkreis will möglichst viele der Bestatteten wieder ins Bewusstsein rücken, nachzulesen auf der Vereinswebsite.

Einen ganzen Abschnitt widmet Hofmann dem Grab für Wilhelm Liebknecht, mit dem die Geschichte des »Sozialistenfriedhofs« begann. »Das 1904 eingeweihte Grabmal aus geschliffenem schwedischem Granit zeigt die Büste Liebknechts auf einem Sockel vor einem Bronzerelief, auf dem die Göttin der Weisheit Athene dem Eisenarbeiter den Lorbeerkranz reicht, die Verbindung von Wissenschaft und Arbeiterbewegung symbolisierend«, schreibt er. In seinem Umfeld sei in den Folgejahren auf einer kleinen Anhöhe ein »von Gräbern sozialdemokratischer Persönlichkeiten« dominiertes Quartier entstanden.

Das Grabmal ist in die Ringmauer der »Gedenkstätte der Sozialisten« integriert, fast am ursprünglich dafür ausgewählten Ort. Die in der DDR eingeweihte gemeinsame Gedenkstätte für Sozialdemokraten und Kommunisten geht übrigens, liest man bei Hofmann, auf einen Magistratsbeschluss vom Mai 1948, also vor der Spaltung Berlins, zurück.

»Friedrichsfelde blieb immer ein öffentlicher Friedhof für alle«, so Hofmann. »Er ist ein Park, und es lohnt sich, dort zu spazieren, selbst wenn man sich nicht für Gräber interessiert.« Im Büro am Haupteingang kann man, wenn es die Coronalage wieder zulässt, das Buch für 10 Euro erwerben.

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