Billige Entschuldigung

Vom deutsch-namibischen »Aussöhnungsabkommen« haben die Nachfahren der Völkermord-Opfer nichts

  • Christian Selz, Kapstadt
  • Lesedauer: 4 Min.

Deutschland und Namibia stehen vor dem Abschluss eines »Aussöhnungsabkommens«. Das bestätigen Außenminister Heiko Maas und der namibische Verhandlungsführer Zedekia Ngavirue. In dem Abkommen geht es um die Aufarbeitung des Völkermordes, den die kaiserliche »Schutztruppe« zwischen 1904 und 1908 an den Volksgruppen der Herero und der Nama in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika verübt hat. 80 Prozent der Herero und 50 Prozent der Nama, insgesamt 80 000 bis 100 000 Menschen, kamen damals um - in die Wüste getrieben, verdurstet, verhungert oder in deutschen Konzentrationslagern. Die Nachfahren der Opfer zeigen sich über das »Aussöhnungsabkommen« nun allerdings alles andere als erfreut. Sie verlangen eine uneingeschränkte Entschuldigung und Reparationen, um die wirtschaftlichen Folgen des Völkermords zu kompensieren. Doch die will Deutschland nicht liefern.

Die enorme Ungleichheit der namibischen Gesellschaft springt bei einer Fahrt durch das dünn besiedelte Land sofort ins Auge. Links und rechts der meist schnurgeraden Schotterstraßen begrenzen lange Zäune riesige Farmen. In der spärlichen Buschlandschaft des trockenen Südens werden meist Ziegen und Schafe gehalten. Weiter nördlich, wo die Niederschläge etwas üppiger ausfallen, dominiert die Rinderzucht. Einen Kontrast zum weiten Land bilden die kleinen Siedlungen, in denen die Arbeiter leben, die sich auf den Farmen verdingen - wenn sie denn einen Job finden können. In winzigen Wellblechhütten oder Steinhäuschen, die in der gleißenden Sonne backen, leben ganze Familien auf engstem Raum.

Die Ursachen dieses Dilemmas liegen mehr als ein Jahrhundert zurück. Im Zuge von Kolonialisierung und Völkermord durch das Deutsche Reich verloren die Nama und Herero weite Teile ihres Landes. Die Nachfahren der Opfer von damals sind in der großen Mehrheit bis heute landlos und können so der Armut kaum entfliehen. »Wenn man kein Land hat, gibt es nichts zu tun«, erklärte bereits 2017 Johannes Matroos, Oberhaupt des Nama-Clans der Bondelswarts. »Es geht also in erster Linie um Land, damit wir unsere Kinder auch auf Hochschulen schicken können.« Geändert hat sich an der Situation seitdem wenig. Und Veränderung versprechen sich Nama und Herero auch von dem Abkommen nicht, das nun durch die Medien geistert, dessen Details aber selbst den Betroffenen noch immer unbekannt sind.

»Alles über uns, ohne uns, ist gegen uns!«, lautete seit Jahren die Parole, mit der Herero- und Nama-Verbände ihre Einbeziehung in die seit 2015 laufenden Verhandlungen verlangten. Erhört wurden sie nicht. Berlin verweigerte jeden offiziellen Dialog mit den Nachfahren der Völkermordopfer. Stattdessen verhandelte sie die Rahmenbedingungen einer offiziellen Entschuldigung für den Genozid mit der Zentralregierung in Windhoek, die ihrerseits auf deutsche Entwicklungshilfe angewiesen ist. Gestellt wird diese namibische Regierung seit der Unabhängigkeit des Landes 1990 zudem von der ehemaligen Befreiungsbewegung SWAPO, deren wichtigster Rückhalt die Volksgruppe der Owambo ist. Letztere waren vom Völkermord nicht betroffen und bilden seitdem die zahlenmäßig stärkste Ethnie in Namibia.

Entsprechend ausgegrenzt fühlen sich Herero und Nama. Ihre höchsten traditionellen Vertretungen, die Ovaherero Traditional Authority und die Nama Traditional Leaders Association, üben deshalb deutliche Kritik an dem Abkommen. »Das Hauptproblem ist, dass die traditionellen Vertretungen der Nama und Herero nicht in die Verhandlungen eingebunden waren«, erklärte Deodat Dirkse, Generalsekretär der Nama Traditional Leaders Association, im Gespräch mit »nd«. Wichtige Themen wie die Landfrage würden deshalb nicht im Interesse der Betroffenen angegangen. In einer gemeinsamen Stellungnahme forderten die Nama- und Herero-Vertretungen zudem die UN und die Afrikanische Union auf, den Völkermord offiziell und eindeutig als solchen anzuerkennen. Die Bundesregierung will sich stattdessen laut einem Bericht des Deutschlandfunks auf die abgeschwächte Formulierung zurückziehen, die Gräueltaten seien »aus heutiger Sicht« als Völkermord anzuerkennen. Juristischer Hintergrund der Wortklauberei: Berlin will Reparationsforderungen vermeiden, deren Höhe es nicht beeinflussen könnte.

Stattdessen sollen nun »Kompensationszahlungen« an soziale Projekte fließen. Darin sehen die Nama- und Hereroverbände jedoch lediglich eine Fortsetzung der Finanzierung von Entwicklungsprojekten der namibischen Regierung. Sie kritisieren zudem den Begriff »Aussöhnungsabkommen« (anstelle eines Reparationsvertrags) und sehen darin einen »PR-Coup Deutschlands« sowie einen »Verrat durch die namibische Regierung«. Das Abkommen sei »das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben ist«, zitierte die Tageszeitung »Informanté« den Generalsekretär der Ovaherero Traditional Authority, Mutjinde Katjiua. »Entwicklungshilfen sind keine Reparationen«, sagt auch Nama-Vertreter Dirkse. Die Zahlungen von mehr als einer Milliarde Euro seit 1990, auf die die Bundesregierung immer wieder verweist, hätten bisher überdies »absolut keinerlei Auswirkungen auf die Lebensumstände der Nama« gehabt. »Wir wissen nicht, wo dieses Geld verwendet wurde, wir haben davon nichts, es gibt nicht einmal Arbeitsplätze für Nama in den Regierungsprogrammen, wir werden daran nicht beteiligt.«

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