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Überzeugungsarbeit statt Impfevent
Einladungen per Flugblatt helfen nur bedingt, um benachteiligte Gruppen in den Kiezen zu erreichen
»Flugblätter allein reichen nicht«, sagt der Neuköllner Amtsarzt Nicolai Savaskan. Das ist der Kern seiner Bilanz zu den Schwerpunktimpfungen im Bezirk, mit denen vor Kurzem besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen erreicht werden sollten. Der nüchterne Blick deckt sich mit dem Fazit von Ärzt*innen und anderen Akteur*innen im Neuköllner Gesundheitswesen. Savaskan sagt: »Beratungen und Impfangebote müssen nun kleinteiliger und individueller werden.« Der Amtsarzt will mit mehr Sozialarbeit vor Ort mehr Menschen für das Impfen gewinnen. »Schon bald wird es ein Überangebot an Impfstoffen geben. Dann wird die Herausforderung sein, die letzten 30 Prozent der Bevölkerung auch zu erreichen.« Das werde viel Zeit und Mühe kosten. »Aber darum müssen wir schon jetzt anfangen.«
Mit dem Gesundheitskollektiv Berlin gibt es in Neukölln einen weiteren Akteur, der bereitsteht. »Wir haben aus unserer bisherigen Arbeit im Rollberg-Quartier gelernt, dass nicht sehr viele Menschen zu uns kommen, sondern dass wir rausgehen müssen«, sagt Patricia Hänel zu »nd«. Sie arbeitet mit dem Verein seit mehreren Jahren daran, im Bezirksnorden ein Stadtteil-Gesundheitszentrum aufzubauen.
Das Konzept sieht vor, möglichst mehrere Berufsgruppen an der ambulanten Pflege der Patient*innen zu beteiligen – neben Ärzt*innen auch Pflegekräfte, Psycholog*innen und Sozialarbeiter*innen. Sie alle sollen möglichst unter einem Dach arbeiten, »weil wir davon ausgehen, dass Gesundheit nicht nur biologisch bedingt ist, sondern auch immer etwas mit den Umständen zu tun hat, in denen du lebst«, so die Ärztin.
In Berlin kann man das sehen. Menschen aus strukturell benachteiligten Vierteln haben eine geringere Lebenserwartung und erkranken häufiger. »Eine Ursache hierfür ist, dass das Leben in prekären Situationen sehr anstrengend ist«, sagt Hänel. Das mache die Menschen empfänglich für Krankheiten. »Deshalb brauchen sie auch eine bessere Versorgung, in der soziale, physische und körperliche Aspekte zusammen stattfinden«, betont die Ärztin.
Schon vor der Corona-Pandemie habe man den Kontakt zu lokalen Trägern gesucht und auf mobile Angebote gesetzt – zum Beispiel in Mütter- und Elterncafés, auf Plätzen und Spielplätzen oder in Moscheevereinen. Es gehe darum, »dort zu sein, wo die Leute eh sind«, so Hänel. »In einem ersten Schritt wollen wir mit Trägern und Initiativen vor Ort niedrigschwellig informieren.« Durch ihre Arbeit in den Kiezen ergeben sich gute Kontakte zu Gruppen, die von den bisherigen Informations- und Impfangeboten nicht erreicht werden. Ab kommendem Dienstag plane man solche Veranstaltungen auf öffentlichen Plätzen im Rollbergviertel.
Aber auch über die Kinderarztpraxis des Gesundheitskollektivs seien bereits gute Kontakte zu Eltern etabliert. Für Hänel steht fest: »Überzeugen kann man nur, wenn man eine Beziehung hat.« Die Ärztin kennt die Fragen und die Verunsicherung, die Vorbehalte und das Misstrauen aus ihrer täglichen Arbeit. Da werde gesagt: »Ärmere Leute bekommen die schlechten Impfstoffe und die Reichen bekommen die besseren«, berichtet sie. »Solche Sorgen sind da, und die muss man Stück für Stück ausräumen.«
Im nächsten Schritt plant das Kollektiv in Kooperation mit anderen sozialen Trägern Impfungen an verschiedenen Orten im Kiez – »Im kleinen Rahmen, zunächst 30 bis 40 Impfungen pro Tag«, so Hänel. »Die Menschen tragen hoffentlich ihre positiven Erlebnisse und die Information dann weiter.« Mit dem Vorschlag hat sich das Kollektiv auch an die Senatsgesundheitsverwaltung gewandt, um an den Impfstoff zu kommen. Senatorin Dilek Kalayci (SPD) ist immerhin nicht abgeneigt, den Bezirken mehr Möglichkeiten beim Impfen zu geben. »Wenn die Bezirke dieses Impfen in den sozial benachteiligten Stadtteilen übernehmen wollen, bin ich dafür offen. Ziel muss es bleiben, schwierig zu erreichende Menschen und Gruppen zu impfen«, so Kalayci.
Genau das fordern Neuköllns Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) und Amtsarzt Nicolai Savaskan. »Die Gesundheitsämter müssen Impfstoff erhalten und im Regelbetrieb impfen«, sagt Liecke. Der Versuch mit der Schwerpunktimpfung sei richtig gewesen. »Das Ziel, sozial und gesundheitlich benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu erreichen, wurde aber leider verfehlt.« Noch diese Woche sind nun weitere Gespräche mit den Akteuren und Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) geplant.
Derweil plant die Senatsgesundheitsverwaltung Massenimpfungen in weiteren Bezirken. Nach Lichtenberg und Steglitz-Zehlendorf am Pfingstwochenende, laufen nun Gespräche mit Spandau und Friedrichshain-Kreuzberg. »Wir befinden uns noch in Abstimmungen mit der Senatsgesundheitsverwaltung«, erklärt der Friedrichshain-Kreuzberger Gesundheitsstadtrat Knut Mildner-Spindler (Linke) zu »nd«. Ein konkretes Datum könne er aber momentan noch nicht nennen.
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