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Der »einsame Wolf« als Strategie der Rechten
Die militante Rechte setzt mitunter auf Alleingänger und kleine Zellen, um ihre Ziele durchzusetzen. Doch den Wolf gibt es nur im Rudel
Wenige Tage bevor der Gerichtsprozess gegen ihn beginnt, gibt Franco A. dem russischen Staatssender RT Deutsch ein Interview. Franco A. wird vorgeworfen, getarnt als Flüchtling und »aus einer völkisch-nationalistischen Gesinnung« heraus eine staatsgefährdende Straftat vorbereitet zu haben. Im Interview geht A. nicht näher darauf ein. Er lenkt ab. Warum er Munition im Keller hortete, erklärt er nicht, sondern holt weit aus: Unter den Flüchtlingen, die ab 2015 nach Deutschland kamen, hätten sich Dschihadisten befunden, dazu seien Waffendepots von Terroristen angelegt worden.
In dem Kontext hätten sich viele gefragt »Wie kann ich meine Familie schützen?« und sich Sorgen gemacht, es könne zu einem konventionellen Konflikt kommen. Was er auslässt, aber worauf seine Aussage hinausläuft: Er plante Selbstjustiz. Als Angehöriger der Bundeswehr.
Was er außerdem auslässt, ist, dass er Teil eines Netzwerks war. Er tauschte sich Recherchen der »taz« zufolge in Chatgruppen aus, in denen auch ein Soldat Mitglied war, der sich Hannibal nannte und einen Verein namens Uniter gegründet hatte. Hannibal organisiert paramilitärische Trainings, wie die »taz« aufdeckt. Bei A. werden demnach auch Aufnäher von Uniter gefunden. In den Chatgruppen werden laut »taz« Hitlerbilder geteilt, man bereitet sich auf eine Katastrophe vor, ganz so, wie es A. im Interview beschreibt. Was wie die Vorbereitung zu rechtem Terror klingt, nennen sie selbst: Selbstverteidigung.
Von Franco A. zu Stephan Ernst
Das ist nichts Neues. Auch Stephan Ernst hat ähnlich argumentiert. Er erschoss in der Nacht zum 2. Juni 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und gestand den Mord. Im Januar 2021 wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Sein Kamerad Markus H. kam mit 18 Monaten auf Bewährung wegen unerlaubten Waffenbesitzes davon. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft wegen »psychischer Beihilfe« zum Mord neun Jahre und acht Monate gefordert. Die Familie Lübcke als Nebenklägerin war sogar davon überzeugt, dass H. in der Tatnacht mit Ernst vor Ort war.
Bewiesen war das aus Sicht des Gerichts nicht. Es hielt lieber an seiner Einzeltäterthese fest und interessierte sich wenig für das Netzwerk, in das Ernst und H. eingebunden waren. Dabei hatten Recherchen von Antifaschist*innen und Journalist*innen etliche Verbindungen der beiden in die rechte Szene von freien Kameradschaften über die neue Rechte bis zur AfD und dem Kasseler Ableger von Pegida offengelegt. Ernst war zudem wegen früherer Straftaten polizeibekannt, hatte bereits im Gefängnis gesessen und war zeitweise im Visier des Verfassungsschutzes gewesen.
Kontinuität der rechten Gewalt
»Das Attentat fügt sich in die Strategie der Gewalt des rechten Terrors und steht damit in einer langen, traurigen deutschen Tradition«, schreibt der freie Journalist Martín Steinhagen in seinem gerade erschienenen Buch »Rechter Terror - Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt«. Steinhagen zeigt, dass rechte Gewalt nach dem Zweiten Weltkrieg nie verschwunden war. Er erzählt vom bewaffneten »Technischen Dienst«, der 1952 zusammen mit einem riesigen Waffenarsenal in einem kleinen hessischen Dorf ausgehoben wird.
Im gleichen Jahr wird die Sozialistische Reichspartei verboten, die an die NSDAP anknüpfte. Aus ihrer Jugendorganisation entwickelt sich die Wiking-Jugend, die erst 1994 verboten wird. Deren Mitglieder prägen die militante Szene über die Jahrzehnte: Der spätere Oktoberfest-Attentäter Gundolf Köhler gehörte ihr an, und der heutige Vize-Vorsitzende der NPD Thorsten Heise war Mitglied. Und es gibt eine Reihe weiterer Beispiele sowohl militanter Rechter als auch solcher, die teils gemäßigter auftraten und -treten und auf diese Weise dazu beitragen, rechtsextremistisches Gedankengut gesellschaftsfähig zu machen.
Auch das Framing rechter Morde als Taten von Einzelnen hat ihren Ursprung in der Rechten selbst, wie Steinhagen nachzeichnet. Heinrich Himmler propagiert zum Ende des Zweiten Weltkrieges hin die Gründung von »Werwolf«-Gruppen, kleine Einheiten, die autonom kämpfen sollen. Parallel verbreitet sich eine »kleine Fibel mit Anleitungen für den nationalsozialistischen Guerillakrieg«.
1970 wird sie nachgedruckt. Darin geht es um die »Auslöschung des deutschen Volkes«. Es ist die gleiche Ideologie, nach der heute von »Volkstod« oder dem »Großen Austausch« die Rede ist. Auch in anderen extrem rechten Schriften werden kleine Terrorzellen propagiert, die aus dem Untergrund heraus agieren - beispielsweise in den antisemitischen Turner-Tagbüchern, auf die sich mehrere Attentäter bezogen und die auch beim Kerntrio des NSU gefunden wurden.
Legitimation zum Handeln
»Es ist Vorsicht geboten bei Bezeichnungen wie ›einsamer Wolf‹ (…), weil sie eine verzerrte Vorstellung transportieren können, die mitunter vom Rudel ablenkt«, schreibt Steinhagen. Rechte Mörder morden nicht im luftleeren Raum, sie handeln nicht aus persönlichen, sondern aus politischen Gründen, die einer Ideologie entspringen, die sie sich im Austausch mit anderen Menschen aneignen und verbreiten. Steinhagen schreibt: »Sie hängen einer Weltsicht an, aus der sie offenbar eine Legitimation zum Handeln ableiten. Manche nehmen dabei Tote in Kauf.«
So auch Stephan Ernst. Er agitierte Kollegen, tauschte sich in Chatgruppen aus, in denen rechtsextreme Inhalte geteilt wurden, lernte schießen und kaufte und verkaufte schließlich Waffen. Dann tötete er.
Seine Tat reiht sich in die lange Tradition rechten Terrors in Deutschland ein. Doch sie war auch der erste rechtsextreme Mord an einem Politiker nach 1945. Viele sprachen daher von einer Zäsur. Folgte darauf auch ein Epochenwechsel, fragt Steinhagen zum Abschluss in seinem Buch. Ja und nein, lautet die Antwort. Auf der einen Seite rüttelte sie Konservative wach, da nun nicht mehr Flüchtlinge, Menschen mit Migrationsgeschichte oder Linke Ziel und Opfer war, sondern einer von ihnen, ein CDU-Politiker.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte sogar schließlich, dass vom Rechtsextremismus »die höchste Bedrohung für die Sicherheit in unserem Lande ausgeht«. Doch was ging seiner Aussage voraus? Nach dem Mord an Walter Lübcke folgte ein versuchtes Attentat auf eine Synagoge in Halle und der Mord an neun Menschen in Hanau aus rassistischen Motiven. Auch sie inszenierten sich als Einzeltäter oder wurden als solche - im Falle von Halle - verurteilt. Der Täter von Halle streamte seine Tat online, beide hinterließen eine Art Manifest. Sie waren zugleich Nachahmer und wollten Nachahmer anstiften. Sie mordeten allein. Doch hinter ihnen steht ein Netzwerk.
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