- Kultur
- Intelligence
Weinend vorm Klospiegel
Die britische Spionage-Sitcom »Intelligence« berichtet von verwilderten Nerds, dockt aber auch hochaktuell an die MeToo-Debatte an
Was wohl, nur so ein Gedankenspiel, widerführe der nationalen Sicherheit, wenn jemand wie Bernd Stromberg ein tragendes Amt beim Geheimdienst bekleiden würde? Jerry Bernstein liefert dazu die Antwort: Immerhin wäre der chronisch kaputte Drucker wieder heil! Aber das war’s dann auch schon mit den Good News der Hauptfigur einer neuen Sitcom, die den schlimmsten aller Bürohengste ins Government Communication Headquarter (GCHQ) versetzt, einem britischen Regierungsapparat zur telekommunikativen Gefahrenabwehr: strengvertraulich, hochsensibel, also nichts für selbstgerechte Knallchargen à la Stromberg oder Bernstein.
Da Letzterer ein habituelles Abbild von Ersterem ist, gerät die Serie »Intelligence« folglich naturgemäß zum Fremdschämen komisch. In der Realität beschäftigt sich die GCHQ nämlich mit Datensicherheit, Hackerangriffen, Kryptographie. Als der Experte der US-amerikanischen National Security Agency (NSA, Nationale Sicherheitsbehörde) in die Londoner Zentrale wechselt, dreht sich hingegen alles um ihn, seine Marotten, die unreflektierte Selbstüberschätzung. Jerry Bernstein hält sich für eine Art US-amerikanischen James Bond, der die britischen Spionage-Laien mit seiner virilen Brillanz zu bereichern meint. Und so ganz daneben liegt er offenbar nicht - zumindest was Spionage-Laien betrifft.
Im vollverglasten Bürotrakt der resoluten Abteilungsleiterin Christine Cranfield (Sylvestra Le Touzel) tummelt sich ein Team, das dem Neuankömmling an Dilettantismus kaum nachsteht - allen voran Joseph Harries, gespielt vom Serienerfinder und -autor Nick Mohammed, ein inkompetenter Computeranalyst, der erst einmal googeln muss, wie man versehentlich gelöschte Dateien aus dem virtuellen Papierkorb holt und selbst an der Reparatur besagten Druckers regelmäßig scheitert. Hinzu kommt die flamboyante Hackerin Tuva (Gana Bayarsaikhan), die phlegmatische Bürokraft Evelyn (Eliot Salt), die verwahrloste Datenfresserin Mary (Jane Stanness) sowie eine Schar unscheinbarer Grottenolme ohne exakte Funktion. Gemeinsam hocken sie zwar tagein, tagaus vor einer vielsagend blinkenden Batterie retrofuturistischerer Hightechgeräte, gewinnen daraus jedoch nur selten Erkenntnisse von sicherheitsrelevanter Bedeutung. Und das wird durch die Ankunft des US-Amerikaners nicht besser. Im Gegenteil. Jerrys berufliche Kompetenz reicht nicht im Entferntesten an sein wolkenkratzergroßes Ego heran. Und dieses Missverhältnis spielt der gereifte »Friends«-Star David Schwimmer alias Ross Geller mit einer fragilen Hybris, die den realen Vorbildern dieser hinreißenden Figur durchaus nahekommt.
Showrunner Nick Mohammed versucht nie zu verbergen, wie sehr »Intelligence« sich am »Stromberg«-Original »The Office« orientiert und mit einem Update der 15 Jahre alten EDV-Komödie »The IT Crowd« verrührt. Vom dahinplätschernden Jazz als Hintergrundmusik bis zur unermüdlichen Drehtür im Eingangsbereich der GCHQ-Zentrale ist alles an dieser Serie eben ein bisschen Ricky Gervais. Macht aber nichts. Immer dann nämlich, wenn sich die gefühlte Weisungskompetenz des männlichen Alphatiers Bernstein an der faktischen Weisungskompetenz des weiblichen Alphatiers Cranfield reibt, docken ihre Geschlechtermachtspielchen an der MeToo-Debatte an und verleihen dem beliebten TV-Stoff knirschender Hierarchien überraschende Aktualität.
Dass Computercracks äußerlich und Geheimdienstler innerlich verwilderte Nerds sind, betoniert hier zwar bündelweise Klischees, die Serien wie »Homeland« mühsam dekonstruiert hatten. Doch hey - »Intelligence« sucht nicht nach allgemeingültiger Authentizität, sondern nach Punchlines, die Bernsteins Kollegium 22 Minuten pro Folge dutzendfach abschießt. Wenn der strafversetzte US-Agent im britischen Exil weinend vorm Klospiegel steht und »Yeah USA« proklamiert, sagt das demnach mehr aus übers »Land der Freiheit« im Jahr eins nach Donald Trump als manche Dokumentation. Schließlich repariert Jerry - wenngleich unfreiwillig - den Drucker. Ist ja nicht alles schlecht, was aus den USA kommt.
»Intelligence«, ab 1. Juni auf Sky
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.