Teilzeitstudium für alle, Studiengebühr für keinen
Studierende machen Vorschläge für die geplante Neufassung des brandenburgischen Hochschulgesetzes
Forschung bedeutet Fortschritt, aber Fortschritte machen in der Menschheitsgeschichte auch die Kriegskunst und die Waffentechnik. Die meisten Wissenschaftler müssen jedoch heute die Konsequenzen ihrer Forschungsergebnisse und Neuentwicklungen nicht hautnah erleben, sondern befinden sich weitab der Krisengebiete in Sicherheit. Die Studierenden in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schlagen deshalb gemeinsam mit der Brandenburgischen Studierendenvertretung vor, ins Hochschulgesetz des Bundeslandes eine Mitbedenkungsklausel einzufügen. Die soll alle an Forschung und Lehre Beteiligten dazu anhalten, »die gesellschaftlichen Folgen ihrer Arbeit zu berücksichtigen«.
So steht es in ihrem Positionspapier »Her mit der schönen Hochschule«. Auf 33 Seiten finden sich noch viele andere Ideen zur geplanten Novelle des Hochschulgesetzes. Soziologiestudentin Sabrina Arneth erklärt, worum es den GEW-Studis geht: »Mehr Demokratie und Transparenz wagen, eine echte Anbindung an die Gesellschaft herstellen, Klimaschutz ernst nehmen und Forschung an friedliche Zwecke binden.« Wenn etwa mindestens ein Prozent der Studierenden das beantragt, sollen sich Hochschulgremien mit bestimmten Themen befassen müssen. Das würde mehr Basisdemokratie bedeuten.
Ende Februar hatte das Wissenschaftsministerium um Vorschläge für das Hochschulgesetz gebeten. Ein erster Entwurf soll voraussichtlich Anfang 2022 vorliegen. Die GEW-Studis schlagen beispielsweise vor: Neben den Präsidenten, die Professoren sind, soll es an allen Hochschulen auch studentische Vizepräsidenten geben - so wie jetzt schon an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde und an der Fachhochschule Potsdam. Für die Kantinen werden ausreichend vegetarische und vegane Mahlzeiten verlangt. Der Campus soll mittelfristig klimaneutral sein - und darüber hinaus frei für studentischen Protest. Es soll also nicht, wie vor Jahren an der Universität Potsdam geschehen, die Polizei gerufen werden. Nur im Ausnahmefall sollen die Beamten alarmiert werden - wenn beispielsweise Angehörige der Hochschule vor rassistischen, antisemitischen oder diskriminierenden Angriffen geschützt werden müssen.
Studiengebühren sollen ausgeschlossen werden, auch solche, die sich als Verwaltungsgebühr tarnen. Zwangsexmatrikulationen wollen die GEW-Studis abschaffen. Die Regelstudienzeit soll nicht so knapp bemessen sein, ein Teilzeitstudium für jeden möglich. Ein Urlaubssemester soll nicht nur bei »wichtigen Gründen« ermöglicht werden. Nicht bestandene Prüfungen sollen kein Grund mehr sein, aus der Hochschule exmatrikuliert zu werden. Die Zahl der erlaubten Nachprüfungen soll dazu nicht weiter begrenzt werden. Auch die Anwesenheitspflicht und die Anwesenheitskontrolle in den Seminaren gehören in die Mottenkiste, heißt es.
Ein wichtiges Stichwort lautet: gute Arbeit in der Wissenschaft. Da geht es um die Bezahlung nach Tarif, vor allem aber auch darum, dass die Beschäftigung mit befristeten Verträgen völlig ausgeufert ist.
»Die Arbeitsbedingungen an Hochschulen sind katastrophal, und gute Lehre für die Studierenden beruht meist auf Selbstausbeutung der Beschäftigten«, beklagt Erik Zander von den GEW-Studis. Er will Lehrer für Mathematik und Politische Bildung werden und studiert die Fächerkombination in Potsdam.
»Mit ihrem Positionspapier haben die Studierenden einen starken Debattenaufschlag für die anstehende Novellierung des Hochschulgesetzes vorgelegt«, sagt die Landtagsabgeordnete Isabelle Vandré (Linke). Das Papier zeige: Die Ergebnisse der letzten Novelle von 2014 »gehören auf den Prüfstand«. So sei es fraglich, ob die damals getroffene Regelung für das Teilzeitstudium der Lebensrealität entspreche. »Wir wollen die Novelle des Hochschulgesetzes vor allem nutzen, um die Arbeitsverhältnisse an den Hochschulen zu verbessern«, kündigte Vandré für die Linke an. »Natürlich müssen die versteckten Studiengebühren in Höhe von 51 Euro endlich abgeschafft werden«, fügte sie hinzu.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!