Keine weiteren Deals für deutsche Unternehmen

Eine Million Menschen und ein Bündnis von 50 Nichtregierungsorganisationen fordern die Aufkündigung des Energiecharta-Vertrags

  • Katharina Schwirkus
  • Lesedauer: 4 Min.

Bei strahlendem Sonnenschein sitzt eine Polizistin neben ihrem Kollegen in einem Bus, um das Bundeswirtschaftsministerium abzusichern. Am Mittwochmorgen versammelten sich dort etwa 50 Menschen, größtenteils Mitarbeiter*innen von Nichtregierungsorganisationen (NGO). Sie demonstrierten gegen die neu aufgenommenen Verhandlungen von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zum Energiecharta-Vertrag. Von diesem haben die beiden Polizist*innen noch nie gehört, wie sie auf Nachfrage erklären. Namentlich genannt werden wollen sie in der Zeitung nicht, doch der Polizist sagt: »Die Demo hat ja gerade erst angefangen. Vielleicht erfahre ich noch ein bisschen.« Die Fenster der Polizeiwanne sind halb heruntergekurbelt, etwa 20 Meter weiter stehen die NGO-Vertreter*innen.

Dass Beamt*innen das Abkommen, in dem Deutschland seit den 1990er Jahren mit allen Ländern der Europäischen Union und weiteren Staaten Mitglied ist, nicht kennen, liegt daran, dass selten über die Inhalte berichtet wird. Der Vertrag ermöglicht es Energiekonzernen, die Mitgliedsstaaten auf Milliarden zu verklagen, sofern durch deren Politik ihre Interessen verletzt werden. Das kann passieren, wenn Unternehmen mit Staaten eine Laufzeit für ihre Herstellung von Energie in dem Land vereinbaren und das Land innerhalb der Laufzeit entscheidet, diese Energie nicht mehr fördern zu wollen.

Deutsches Recht wird umgangen

Fabian Flues von Power Shift gibt ein Beispiel: »Deutschland wurde bereits zwei Mal von Vattenfall verklagt. Einmal für das Kohlekraftwerk in Moorburg und einmal für den Atomausstieg. Jedes Mal hat Vattenfall hohe Milliardenentschädigungen gefordert«. Für die Summen müssen letztendlich die Steuerzahler*innen aufkommen, ohne dass sie - wie die beiden Polizist*innen - davon überhaupt etwas mitbekommen. Denn dank des Vertrags müssen die Unternehmen nicht vor deutsche Gerichte ziehen, sondern können sich an internationale Schiedsgerichte wenden. »Diese sind total einseitig und entscheiden normalerweise im Sinne der Unternehmen. Das ist gefährlich für die Demokratie«, erklärt Flues. Bei den aktuellen Verhandlungen soll es genau um diese Klagemöglichkeiten gehen, es soll nachgebessert werden. Die Organisationen haben die Entwürfe gesehen, die Ansätze gehen ihnen nicht weit genug.

In einem Bündnis mit mehr als 50 Gruppen und Organisationen fordert Power Shift deshalb, Deutschland solle aus dem Vertrag ganz austreten. Wenngleich die Europäische Union eine offizielle Position bezüglich des Chartavertrags veröffentlicht hat, haben einzelne Mitgliedsstaaten davon abweichende Stellungnahmen. Frankreich und Spanien haben erklärt, den Austritt aus dem Abkommen in Erwägung zu ziehen. Denn der Vertrag ist unvereinbar mit dem Pariser Klimaabkommen. Sofern die Länder die damit beschlossene Klimaschutzpolitik verfolgen, laufen sie Gefahr, von den Unternehmen auf Schadenersatzsummen in Milliardenhöhe verklagt zu werden.

Altmaier will am Wirtschaftsabkommen festhalten

Die NGOs wollen deshalb Druck auf das Wirtschaftsministerium aufbauen und fordern Deutschland auf, sich ebenfalls für den Austritt der EU aus dem Vertrag stark zu machen. Doch bisher wehrt sich Altmaier vehement. Hintergrund ist, dass deutsche Unternehmen regelmäßig andere Mitgliedsstaaten des Abkommens verklagen und so Milliarden einnehmen. Der Vertrag ist somit also ein Aufputschmittel für die deutsche Wirtschaft, die der Bundeswirtschaftsminister letztendlich vertritt. »Zum Beispiel verklagt RWE die Niederlande wegen des dortigen Kohleausstiegs und fordert zwei Milliarden Euro Entschädigung«, erklärte Yves Venedey, von Campact in einem Redebeitrag.

Passend dazu haben die NGO-Mitarbeiter*innen einen überdimensionalen Menschen aus Pappmasche gebastelt, der Altmaier gleicht. Auf einer Wiese vor dem Ministerium verschenkte er große Geldscheine an Vertreter*innen der Energieunternehmen RWE und LEAG, die ebenfalls durch NGO-Mitarbeiter*innen dargestellt wurden. Neben der Polizei wurde die Szene von politisch interessieren Menschen beobachtet. Wenngleich sich insgesamt nicht mehr als 50 Menschen vor dem Wirtschaftsministerium einfanden, verwies der Campaigner Venedey darauf, dass mehr als eine Million Menschen die Aufkündigung des Chartavertrags fordern. So viele Menschen haben bisher eine entsprechende Petition unterschrieben, die man bei den verschiedenen Nichtregierungsorganisationen online findet.

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