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IT-Branche prescht vor

Erste Firmen machen das Homeoffice zur neuen Arbeitsnormalität - trotz gewerkschaftlicher Bedenken

  • Michael Brehme
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Arbeitswelt von morgen erschien für die meisten Menschen bis zum Frühjahr 2020 als reine Utopie. Und wurde dann schlagartig Realität: Binnen weniger Tage drängte die Corona-Pandemie Millionen Arbeitnehmer ins Homeoffice. Inzwischen haben sich viele an die Heimarbeit gewöhnt. Angestellte wie Firmen haben die Vorteile zu schätzen gelernt. Einen Weg zurück in eine jahrzehntelang typische Fünf-Tage-Bürowoche dürfte es vielerorts auch nach der Pandemie kaum geben. Etliche Unternehmen haben ihren Mitarbeitern schon flexiblere Arbeitsmodelle für die Zukunft zugesichert - einige gehen noch weiter und wollen das Homeoffice dauerhaft als neue Normalität etablieren.

Zu sehen ist das besonders in der IT-Branche. So versucht Europas größter Softwarekonzern SAP, der seinen Beschäftigten schon vor der Pandemie die Möglichkeit von bis zu vier Homeoffice-Tagen pro Woche einräumte, nochmals an Flexibilität zuzulegen. »Bei den meisten SAP-Mitarbeitern spielt es keine Rolle, von wo aus sie arbeiten. Wenn es die Tätigkeit nicht zwingend verlangt, an einem bestimmten Ort präsent zu sein, haben die Mitarbeiter bei der Wahl ihres Standorts alle Freiheiten«, sagt Cawa Younosi, der als Deutschland-Personalchef bei dem Konzern für rund 25 000 Beschäftigte zuständig ist.

Noch etwas weiter geht das IT-Unternehmen Hewlett Packard Enterprise (HPE). Bei der US-Firma, deren deutscher Ableger in Böblingen rund 2000 Mitarbeiter beschäftigt, wird das Homeoffice generell zum neuen Standard-Arbeitsort für die meisten Mitarbeiter erklärt. Sofern es die Tätigkeit erlaubt, sollen die Beschäftigten künftig möglichst immer von daheim arbeiten, wenn sie nicht gerade unbedingt im Büro anwesend sein müssen. Sie müssen dieser Umstellung laut HPE vorab jeweils zustimmen.

Im Zuge des Konzepts sollen auch die Büros optisch umgestaltet werden - zu Orten »der Begegnungen und des Austauschs«, wie es heißt. »Man geht dort also vor allem hin, um an Besprechungen, Workshops, Trainings oder Feiern mit Kollegen, Kunden und Partnern teilzunehmen«, sagt ein HPE-Sprecher. Man wisse aus Mitarbeiterumfragen, dass ortsunabhängige Arbeit von einer großen Mehrheit nicht nur sehr geschätzt werde, sondern obendrein zu höherer Produktivität führe.

Der Wunsch nach flexibleren Modellen ist in der Arbeitnehmerschaft ausgeprägt. Vier von fünf Beschäftigten, die bisher regulär im Büro arbeiten, wollen einer Erhebung des Beratungsunternehmens EY zufolge künftig zumindest einen Teil ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen. 38 Prozent möchten pro Woche nur noch drei- bis viermal, 36 Prozent nur noch ein- bis zweimal ins Büro.

Hannah Schade vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der Technischen Universität Dortmund führt das auch auf eine gestiegene Job-Zufriedenheit der meisten Arbeitnehmer im Homeoffice zurück. Das liege zu einem Großteil daran, dass die Menschen sich ihre Arbeit daheim besser einteilen könnten als im Büro. Zudem sende eine Firma durch freimütige Homeoffice-Angebote Signale des Vertrauens und der Wertschätzung. »Man fühlt sich doch gleich viel ernster genommen, wenn man weiß: Mein Arbeitgeber traut mir und stellt mich nicht unter einen Generalverdacht, wonach ich vielleicht nicht genug arbeite, wenn man mich im Büro quasi nicht überwacht.«

Längst nicht nur in der IT-Welt setzt sich das Homeoffice dieser Tage durch. Auch in der bei Arbeitszeitmodellen als gestrig verschrienen Autobranche bewegt sich einiges. Beim Stuttgarter Sportwagenbauer Porsche können die Mitarbeiter beispielsweise künftig an bis zu zwölf Tagen im Monat mobil arbeiten, wenn sie nicht gerade in Bereichen wie der Produktion arbeiten. Vor der Pandemie waren zwei Homeoffice-Tage möglich.

Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter sehen den Hype ums Homeoffice nicht unkritisch, zumal das Arbeiten von zu Hause leichter zu unbezahlten Überstunden führen könne. Auch könnten neue Homeoffice-Modelle zu verstärkten Einsparungen bei Firmenräumlichkeiten führen, was vielen Mitarbeitern bei Bedarf den Weg zurück ins Büro erschweren könnte. VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo sagte zuletzt etwa, Volkswagen verbinde die Frage, »wo wir künftig arbeiten, durchaus auch mit einer möglichen Reduzierung von Büroraum und dem Einsparen von Kosten«.

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Obendrein lässt sich der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter im Homeoffice schlechter sicherstellen. Das Thema war in der alten Arbeitswelt wichtig - und dürfte es in der neuen bleiben. Denn wer wann und wie lange arbeitet, lässt sich bei mobiler Arbeit oft gar nicht mehr überprüfen. dpa/nd

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