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Der Doktor ist weg, aber nicht der Ärger
Freie Universität entzieht SPD-Spitzenkandidation Franziska Giffey akademischen Titel
Die Freie Universität Berlin (FU) entzieht Franziska Giffey den Doktorgrad. Dies habe das Präsidium nach umfassender Beratung einstimmig beschlossen, heißt es am Donnerstag in einer Presseerklärung der Universität. Der Doktorgrad sei durch »Täuschung über die Eigenständigkeit ihrer wissenschaftlichen Leistung« erworben worden, so die Begründung. Es seien Texte und Literaturnachweise anderer Autorinnen und Autoren übernommen worden, ohne dass dies hinreichend gekennzeichnet worden sei.
»Diese Entscheidung akzeptiere ich«, lässt Franziska Giffey per Kurznachrichtendienst Twitter wissen. Nach wie vor stehe sie zu ihrer Aussage, dass sie die im Jahr 2009 eingereichte Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen verfasst habe, heißt es weiter. »Fehler, die mir bei der Anfertigung der Arbeit unterlaufen sind, bedaure ich. Diese waren weder beabsichtigt noch geplant«, erklärt die Co-Landeschefin der Berliner SPD und Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl im Herbst.
Die »Behauptung, die Arbeit ›nach bestem Wissen und Gewissen‹ verfasst zu haben, können wir damit wohl als reine Schutzbehauptung ignorieren. Ihr muss mindestens die Möglichkeit bewusst gewesen sein, dass es sich um Plagiate handelt«, twittert am Donnerstag der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch. »Schade, dass es für sie keine ›Herzenssache Anführungszeichen‹ gab, keine ›Herzenssache Quellenangabe‹, keine ›Herzenssache Ehrlichkeit‹«, kommentiert der FU-Professor sarkastisch das Verhalten Giffeys, bezugnehmend auf ihr Wahlkampfmotto »Herzenssache Berlin«.
Interessant wäre in diesem Zusammenhang ein Blick in die Masterarbeit der SPD-Frau. Titel: »Der Europapreis der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Eine vergleichende Betrachtung der Europapreisträgerschaft in drei europäischen Städten im Kontext der Förderung des europäischen Einigungsgedankens«, vorgelegt 2005 unter Giffeys Mädchennamen Franziska Süllke an der heutigen Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR). Indes hätte das Werk nach nd-Recherchen seit geraumer Zeit und noch bis Jahresende 2021 entliehen sein sollen. »Es ist möglich, dass Medien für einen längeren Zeitraum, der sich teilweise über mehrere Monate erstreckt, ausgeliehen werden«, antwortete die HWR kürzlich auf nd-Nachfrage. Nach Veröffentlichung einer ersten Onlineversion des Artikels erreichte schließlich ein Anruf der HWR die Redaktion des »nd«: Die Arbeit sei von nun an im Lesesaal einsehbar.
Die FU hatte sich bereits im Jahr 2019 erstmals mit Giffeys Doktorarbeit mit dem Titel »Europas Weg zum Bürger – Die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft« befasst. Das erste Prüfgremium stellte in seinem Bericht zwar eine »bedingt vorsätzliche Täuschung« fest, beließ es aber bei einer hochschulrechtlich eigentlich nicht vorgesehenen Rüge – ohne Entzug des Titels. Die Kommission war mit Personen besetzt, die eine enge Verbindung zu Giffeys Doktormutter hatten.
»Konsequenzen« bei der FU fordert der forschungspolitische Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, Adrian Grasse. Die Universität müsse klären, ob Giffeys Doktormutter »als Vorsitzende des Promotionsausschusses noch länger tragbar ist«. Der »Verdacht der Vetternwirtschaft« wiege schwer.
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Rücktritt von Franziska Giffey
Nach anhaltender, juristisch untermauerter Kritik, kündigte die FU im November 2020 eine weitere Prüfung an. Am 23. April 2021 lag das Ergebnis vor, wurde aber bislang nicht veröffentlicht, da Franziska Giffey noch eine Stellungnahme abgeben durfte. Am 19. Mai trat die SPD-Politikerin schließlich von ihrem Amt als Bundesfamilienministerin zurück. Sie hatte diesen Schritt für den Fall der Aberkennung ihres Doktortitels angekündigt. Als Spitzenkandidatin will sie dennoch weiter antreten.
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