Befristung – an der Uni ein Normalzustand

Auf Twitter prangern Wissenschaftler*innen ihre prekären Arbeitsbedingungen an

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.

In der Wissenschaft sind befristete Stellen Normalität. Seit Jahren kritisieren Wissenschaftler*innen ihre prekären Arbeitsbedingungen. Doch mit den Geschichten, die unter dem Hashtag #IchbinHannah auf Twitter erzählt werden, bekommt das Thema einen neuen Drive. Seit Donnerstagnachmittag berichten Tausende Akademiker*innen von ihren prekären Arbeitsverhältnissen, die das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ermöglicht.

Die Literaturwissenschaftlerin Silke Horstkotte schreibt dort: »Silke, 49, Literaturwissenschaftlerin, verstopft das System seit Oktober auf einer halben unbefristeten Stelle. Sonst hätte ich nach 20 Jahren Wissenschaft, 4 Monografien, 58 Aufsätzen und einer knappen Million eingeworbener Drittmittel auf der Straße gestanden. #IchbinHanna«

Hanna ist eine fiktive Physikerin aus einem Erklärvideo des Bundesministeriums für Bildung und Forschung von 2018. Dort werden die Grundlagen des Gesetzes erklärt. So sind Befristungen an der Universität für eine Promotion bis zu einer Dauer von sechs Jahren zulässig, wenn die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgt. Diese Definition gilt allerdings auch für wissenschaftliche Arbeiten im Postdoc-Bereich, also nach dem erfolgreichen Abschluss einer Promotion, zum Beispiel eine Habilitation. Ausgenommen sind davon Hochschullehrer*innen an staatlichen Hochschulen.

Doch Lehrstühle sind rar und auch Wissenschaftler*innen, die gerade an einer Doktorarbeit oder Habilitationsschrift arbeiten, übernehmen oft Aufgaben in der Lehre. In einer Befragung zum DGB-Hochschulreport 2020 gaben 78 Prozent der befragten Wissenschaftler*innen an, dass sie befristet beschäftigt sind. Weitere 16 Prozent sagten, dass sie in der Mitarbeit im Bereich Technik und Verwaltung befristete Arbeitsverträge haben. Nach 12 Jahren an der gleichen Hochschule ist Schluss mit solchen Verträgen. Dann kann es keine Befristung mehr geben. Das führt jedoch in den wenigsten Fällen zu einer festen Stelle, sondern überwiegend zu einer neuen unbefristeten Anstellung an einer anderen Hochschule.

Erklärt wird die Praxis in besagtem Video damit, dass verhindert werden soll, dass ältere Jahrgänge das System »verstopfen«. Auf diese Weise werde Innovation gefördert. Die Beitragenden unter dem Hashtag sehen das anders. Existenzängste und das Hangeln von einem Vertrag zum nächsten hinderten eher die Innovation, schildern Betroffene.

Der Anthropologe Gregor Dobler schreibt: »Ich bin Gregor und verstopfe das System auf einer W3-Stelle. Deshalb bin ich auch so wenig innovativ. Schließlich, @BMBF_Bund, fördert Fluktuation die Innovationskraft. #IchBinHanna und weiß nicht, wer sich solche Sätze ausdenkt. Prekarität fördert Unsicherheit, nicht Innovation.«

Ein Nutzer mit dem Namen Chukk Beslowair merkt an, dass nicht nur Unsicherheit, sondern auch Manipulation gefördert werde: »Denn nur blendende Ergebnisse sichern die Beschäftigung.« Auch wenn sich auf Twitter viele Geisteswissenschaftler*innen an der Erfahrungssammlung beteiligen, darauf begrenzt ist es nicht: Alina Zimmermann schreibt: »Ich bin Alina, 27. Bis 2050 könnten antibiotika-resistente Keime zur weltweit häufigsten Todesursache werden. Ich forsche im Rahmen meiner Promotion zu Antibiotika-produzieren Bakterien -> für neue Antibiotika. 2 Jahre steht die Finanzierung, danach ALG I? #IchBinHanna«

Im vergangenen Jahr gab es eine ähnliche Aktion gegen die Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb in den sozialen Medien, aus der Beteiligte 95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz gesammelt haben.

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Doch bisher bewegt sich wenig. Eine eher kreative Idee, um das zu verändern, äußert der Historiker Jürgen Zimmerer: »Die #IchbinHanna Tweets (...) zeigen auch eine Ressourcen-& Zukunftsverschwendung in Deutschland, die Scheuer'sche & Spahn'sche Dimensionen noch übertrifft. Die beiden sind zwar auch befristet, sie werden aber sicher versorgt. Würde man die 12 Jahres-Befristung konsequent auf die Politik anwenden, Bundestag etc, dies wäre ein Beitrag zur Beseitigung des Innovationsstaus.«

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