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Wachsende Ernährungsunsicherheit

Afrika ist stärker von den Kollateralschäden der Pandemie betroffen als von Covid-19 selbst

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

In den westlichen Industrieländern wird die Covid-19-Pandemie kaum mit Afrika assoziiert. Vielleicht mit Ausnahme der im Mai 2020 entdeckten südafrikanischen Variante des Coronavirus, die inzwischen die Bezeichnung »Sars-CoV-2 Beta« trägt. Im Vordergrund stehen aber noch immer andere Infektionskrankheiten wie das hochgefährliche Ebolafieber oder Malaria. Tatsächlich scheint Covid-19 Afrika bislang weniger hart direkt zu treffen: Bis Anfang Juni gab es knapp fünf Millionen bestätigte Infektionen und 132 346 Todesfälle - bei einer Gesamtbevölkerung von mehr als 1,34 Milliarden Menschen.

Die Gründe dafür sind nicht klar: Liegt es an mangelnden Ressourcen bei der Durchführung von Tests? Oder daran, dass die Bevölkerung im Durchschnitt jünger ist und damit häufiger asymptomatische Infektionen auftreten? Ins Spiel gebracht wird auch, dass die Bekämpfung von Seuchen in vielen afrikanischen Ländern schon eine Gewohnheit ist.

Vor dem Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin in dieser Woche in Berlin gibt jedoch Frank Mockenhaupt, Institutsleiter an der Charité, zu bedenken: »Die Strukturen im Gesundheitssektor sind insgesamt sehr fragil und störanfällig. Die Systeme sind schwach und mit dem Management altbekannter Infektionskrankheiten oftmals ausgelastet.« Zudem sei der Zugang der Bevölkerung zu Gesundheitseinrichtungen und -maßnahmen häufig eingeschränkt, erklärt der Tropenmediziner. Die Länder Afrikas hätten eher mit Kollateralschäden der Pandemie zu kämpfen, wobei natürlich die ärmsten Staaten am stärksten betroffen seien. »Für das subsaharische Afrika wird mit einer pandemiebedingten Senkung des Bruttoinlandsprodukts von zwei bis fünf Prozent gerechnet«, so Mockenhaupt. In diesem Zusammenhang verweist er auf Schätzungen, dass 190 Millionen Menschen zusätzlich unter die absolute Armutsschwelle einer Kaufkraft von 1,90 US-Dollar pro Tag fallen könnten.

Weil die Ärmsten das Einkommen vor allem für Lebensmittel brauchen, dieses aber durch Lockdowns und andere Maßnahmen reduziert ist, wächst die Ernährungsunsicherheit. Die Zahl der Menschen, die davon betroffen sind, hatte sich nach Angaben des Welternährungsprogramms vermutlich schon bis Ende 2020 auf 265 Millionen verdoppelt. Neben Einschränkungen der Lebensmittelherstellung und des Handels gibt es dafür noch weitere Ursachen: Unterbrechungen humanitärer Hilfe, Aussetzen von Lebensmittelprogrammen oder auch die Schließung von Schulen mit dem Wegfall von Speisungen.

Laut dem Kinderhilfswerk Unicef kommen über Ernährungsprogramme seit Beginn der Pandemie 30 Prozent weniger Hilfen an. Um 10 bis 50 Prozent könnten die Zahlen bei akuter kindlicher Unterernährung ansteigen, ergaben unterschiedliche Modellrechnungen. Ähnliche Zahlen kommen von der Weltbank: 6,7 Millionen Kinder zusätzlich litten in Afrika und Asien an Hunger und Unterernährung allein in den ersten zwölf Monaten der Pandemie, und in jedem dieser Monate gab es als Folge davon 10 000 zusätzliche Todesfälle bei Kindern.

Weltweit führte die Pandemie zu veränderten Prioritäten in den Gesundheitssystemen. Nicht überall verläuft das noch in relativ ruhigen Bahnen wie hierzulande, wo planbare Operationen und Behandlungen verschoben werden, Personal umgesetzt wird sowie Material und Medikamente, ohne groß auf Preise zu achten, global erworben werden. Afrika hingegen leidet darunter, dass Impfstoffe gegen das Coronavirus in der Produktion Vorrang haben, sodass es laut Unicef zu 70- bis 80-prozentigen Reduktionen bei der Lieferung von Vakzinen gegen die »normalen« Infektionskrankheiten kam. Bei bestimmten Krankheiten, deren Prävention und Bekämpfung auch von internationalen Organisationen unterstützt werden, wurden Kontrollprogramme heruntergefahren.

Beispiel Malaria: In einigen afrikanischen Staaten werden aktuell weniger Moskitonetze verteilt und weniger Insektizide eingesetzt. Nach einer Modellierung der Weltgesundheitsorganisation könnte eine Reduzierung von beiden Maßnahmen um 75 Prozent eine Verdoppelung der Malariasterblichkeit auf 770 000 Tote pro Jahr auslösen. Ähnlich beunruhigend sieht es bei Tuberkulose und HIV/Aids aus.

Noch während der Pandemie müsse es eine Repriorisierung in den Gesundheitssystemen geben, fordert Experte Mockenhaupt, jedoch mit notwendigen Anpassungen, zu denen auch Tests auf Sars-CoV-2 gehören. Geschehe das nicht, könne die Bekämpfung der genannten Infektionskrankheiten um Jahre zurückgeworfen werden.

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