- Brandenburg
- Rechter Terror
Auf den Spuren von Noël Martin
Blankenfelde-Mahlow erinnert mit Aktionswoche an rassistische Attacke vor 25 Jahren
Ringsum verdorrt das Gras, aber gegenüber von der Astrid-Lindgren-Grundschule gibt es am Glasower Damm einige Quadratmeter frisch verlegten Rollrasen, den zwei Arbeiter der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow gerade wässern. So sieht das Mahnmal für Noël Martin (1959-2020), an dem auch ein Strauß frischer Blumen steht, sehr gepflegt aus, wenn am Mittwoch, am 25. Jahrestag des Nazi-Anschlags auf Martin, an den Briten jamaikanischer Herkunft erinnert wird.
Am 16. Juni 1996 war er am Bahnhof Mahlow von Neonazis rassistisch angepöbelt und dann mit dem Auto den Glasower Damm hinunter verfolgt worden. Schließlich warf einer der Täter einen großen Stein in die Heckscheibe von Noël Martins Auto. Martin verlor die Kontrolle über sein Fahrzeug und fuhr gegen einen Baum. Von da ab war er querschnittsgelähmt und lebte pflegebedürftig in Birmingham.
Das Mahnmal besteht aus einem Stein in einem aus Metall geformten Baumstamm und aus einem aufgeklappten Buch, in dem auszugsweise ein Text aus dem Anzeigenblatt »Blickpunkt« vom Juni 2001 zu lesen ist. Darin heißt es: »Die beiden Täter wurden zu fünf und acht Jahren Haft verurteilt, einer ist bereits wieder auf freiem Fuß. Noël Martin, das Opfer, erhielt lebenslänglich. Eine lebenslange Existenz im Rollstuhl.« In dem Buch steht auch das Gedicht »Der Stein von Mahlow« von Noël Martin. Die Zeilen klagen rechte Gewalttäter an, rufen sie aber auch zur Umkehr auf: »Schaut Euch selbst an, sucht nicht nach Steinen oder Prügel, die Knochen brechen. Sucht nach Frieden und Gelassenheit, um mit anderen zusammen zu leben.«
Das Gedenken am 16. Juni soll der Höhepunkt einer Aktionswoche sein, mit der Blankenfelde-Mahlow an den Anschlag erinnert. Vier Mitarbeiter des Teams Jugendarbeit der Gemeinde entwickelten überdies eine Art Schnitzeljagd. Am Mahnmal für Martin kann per QR-Code eine App aufs Smartphone geladen werden, die Interessierte auf eine zwölf Kilometer lange Radtour mit 13 Stationen schickt. Unterwegs gibt es als Text oder Sprachnachricht Informationen darüber, wie Neonazis in den 1990er Jahren den Ort unsicher machten.
Am Montag sind Brandenburgs Integrationsbeauftragte Doris Lemmermeier, Bürgermeister Michael Schwuchow (SPD) und sein Sprecher Wolfgang Huth die ersten, die sich auf Spurensuche begeben. Lemmermeier, die im Rollstuhl sitzt, bewältigt die Strecke mit ihrem Handbike, was bei einigen Steigungen sehr anstrengend für sie ist. Das trübt aber nicht ihre Freude über die Idee dieser Schnitzeljagd, die sie »super« findet. »Das Attentat auf Noël Martin und sein Schicksal sind für mich eine tief empfundene Verpflichtung, mich für Vielfalt und gegen Rassismus im Land Brandenburg einzusetzen«, erklärt Lemmermeier. Sein Engagement für den Jugendaustausch als deutliches Zeichen gegen den Hass und die Art, wie er sein Leben nach dem Anschlag gemeistert habe, »können für uns alle Vorbild sein«.
Eine Station der Radtour ist der Bahnhof Mahlow, an dem in den 1990er Jahren nicht nur Martin beleidigt und bedroht wurde. Heute sieht alles friedlich aus. Ist dieser Ort noch ein Angstraum? Der Bürgermeister meint: »Nein.« Die Integrationsbeauftragte überlegt: »Vielleicht für Schwarze?«
In das Blumenrondell auf dem Bahnhofsvorplatz sind Schilder gesteckt, die an Todesopfer rechter Gewalt in Brandenburg erinnern. Es ist ein Opfer aus Blankenfelde-Mahlow dabei: Dieter Manzke, ein 61-Jähriger ohne festen Wohnsitz, der in einer Gartenlaube im Ortsteil Dahlewitz untergekommen war und dort am 9. August 2001 von fünf jungen Männern erschlagen wurde. Die Schilder sind ein Ausschnitt aus einer Wanderausstellung des Vereins Opferperspektive, die während der Aktionswoche im Vereinshaus Mahlow gezeigt wird.
Die App stellt bei der Radtour Quizfragen und vergibt für richtige Antworten Punkte. So lässt sich erfahren, dass in der schnell wachsenden Gemeinde Menschen 96 verschiedener Nationalitäten leben. Am Jugendclub Butze wird mitgeteilt, dass die Jugendarbeit in den 1990er Jahren von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Selbstverwaltung lebte, aber mittlerweile professionalisiert wurde. 15 Sozialarbeiter bemühen sich nun, die Jugend für Toleranz zu begeistern. Bürgermeister Schwuchow erklärt an der Strecke, die er vorher selbst nicht kannte, noch einige andere Orte. Er zeigt Doris Lemmermeier ein sowjetisches Ehrenmal und die Gräber von 1945 gefallenen Soldaten. Lemmermeier kann die kyrillische Inschrift unter dem roten Stern lesen: »Den Helden des Großen Vaterländischen Krieges 1941-1945«. Die Rote Armee befreite im April 1945 auch das nahe gelegene »Ausländerkrankenhaus«, in dem Ärzte, die selbst Zwangsarbeiter waren, Zwangsarbeiter behandelten, um sie wieder fit für die Ausbeutung durch die Faschisten zu machen. Das Areal wird zum Gedenkort entwickelt.
Gewalttätige rechte Übergriffe habe es in Blankenfelde-Mahlow schon sehr lange nicht mehr gegeben, sagt Bürgermeister Schwuchow. Doch 2006 lud die später verbotene Heimattreue Deutsche Jugend in den Gasthof »Zur Eiche« ein. Der damalige Schweriner NPD-Landtagsfraktionschef Udo Pastörs trat dort auf. »Der Betreiber ist aber mittlerweile ein anderer«, stellt Schwuchow klar.
Erst seit zwei Wochen gibt es an der Bahnstrecke am Glasower Damm eine Lärmschutzwand. Ein Graffitisprayer hat sogleich groß »Noel Martin« draufgesprüht. Doch der nächste übersprühte zwei Buchstaben. Nun ist dort »No Martin« zu lesen. Dürfte die Gemeinde dieses Ärgernis selbst entfernen, hätte sie es bereits getan, versichert Sprecher Huth. Doch die Deutsche Bahn sei informiert und wolle sich selbst kümmern. Huth findet, der Vorfall zeige, dass die Aktionswoche notwendig sei, weil es leider immer noch Rassisten gebe.
Und das können nicht wenige sein. Die AfD ist immerhin in der Gemeindevertretung die zweitstärkste Fraktion. Ihr Fraktionschef Daniel Freiherr von Lützow ist zugleich Vizelandesvorsitzender der AfD und wird zum extrem rechten Flügel der Partei gezählt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.