- Berlin
- Siemensbahn
Gleisanschluss in die Zukunft
Grüne-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch wirbt für die Siemensbahn
Der alte S-Bahnhof »Wernerwerk« bietet einen trostlosen Anblick. Die eisernen Lettern des historischen Schriftzuges, der noch vor wenigen Monaten an der Fassade prangte, haben offenbar Eisenbahnfreaks mitgehen lassen. »Das waren sicher diese ›Pufferküsser‹«, sagt Bettina Jarasch, die Grünen-Spitzenkandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin. Beim Vor-Ort-Termin am Montag zeigt sie sich aber beeindruckt von der 92 Jahre alten, rostigen S-Bahnbrücke, die hier die Fahrbahn überspannt. »Würde man künftig beispielsweise auch U-Bahn-Strecken im Lückenschluss als Hochbahn bauen, so würde das sogar unsere ökologischen Probleme lösen. Das wäre günstiger, es erspart Zement, es erspart den Tunnelbau«, sagt sie. Gut 800 Meter lang ist das genietete stählerne Hochbahn-Viadukt der Siemensbahn in diesem Abschnitt.
Heute kündet über dem verschlossenen Bahnhofseingang nur noch der Schriftzug »Blumenladen« vom letzten Nutzer des verwitterten Klinkerbaus am Siemensdamm 54. Den letzten planmäßigen Zug auf der sogenannten Siemensbahn ließ die »Deutsche Reichsbahn« der DDR hier am 18. September 1980 fahren. Sie nahm den Westberliner Reichsbahnerstreik von 1980 zum Vorwand, den für sie unwirtschaftlich gewordenen Betrieb auf der Strecke einzustellen. Seit dem Mauerbau 1961 hatten ohnehin viele Westberliner die von der DDR betriebene S-Bahn boykottiert. »Hier erfolgt also auch so etwas wie ein letzter Schritt bei der Überwindung der Teilung«, findet Jarasch.
Ziemlich genau 38 Jahre währte der »Dornröschenschlaf«, in dem die 4,5 Kilometer lange Siemensbahn damals versunken war, die einst die Stationen Gartenfeld, Siemensstadt und Wernerwerk mit der Ringbahn und dem S-Bahnhof Jungfernheide verband. Nachdem die Siemens AG im Jahr 2018 beschlossen hatte, einen Innovationscampus mit Forschungseinrichtungen und rund 3000 Wohnungen auf ihrem Werksgelände zu errichten, hatten sich Senat und Deutsche Bahn für die Reaktivierung der Siemensbahn ausgesprochen.
Dass inzwischen Senat und Bezirk wieder Interesse an dem verwaisten Streckenabschnitt finden, hat allerdings, oberflächlich betrachtet, noch nicht allzu viel bewirkt. Denn der Rundgang führt Bettina Jarasch zunächst durch die marode Bahnhofshalle, in deren düsterem Schalterstübchen sogar noch ein alter Kachelofen die Zeiten überdauert hat. Der Bahnsteig samt den Resten seiner Überdachung wirkt sogar höchst besorgniserregend. Und doch verbreiteten Alexander Kaczmarek, der Konzernbevollmächtigte der Deutschen Bahn (DB) für das Land Berlin, und Sebastian Neie, zuständiger Projektingenieur der DB Netz AG, Optimismus. Die Siemensbahn wurde als Eisenbahnanlage nie entwidmet. »Wir haben hier den Bestandsvorteil - das ist bis heute eine aktive Eisenbahnstrecke«, sagt Kaczmarek.
Seit 2019 wurde das 1929 erbaute Stahlviadukt von wild wuchernder Vegetation, alten Holzschwellen und Tausenden Tonnen Schotter des Gleisbettes befreit. »Was derzeit läuft, ist die ›Nachrechnung‹, es wird also geschaut, ob es statisch überhaupt möglich ist, künftig wieder Verkehr über die Anlagen abzuwickeln«, erläutert Sebastian Neie. Die Substanz der vorhandenen Anlagen ist offenbar besser als gedacht. An den tragenden Stahlkonstruktionen gibt es vor allem viel Oberflächenrost, und auch die sogenannten Buckelbleche, die das Gleisbett tragen, sind in einem »ganz guten Zustand«.
Laut Alexander Kaczmarek bliebt es immerhin bei dem Plan, die Siemensbahn bis zum 100. Jubiläum ihrer Fertigstellung 2029 wieder in Betrieb zu nehmen. Das werde sicher einen Millionenbetrag im »mittleren dreistelligen Bereich« kosten. Über eine darüber hinaus diskutierte Verlängerung der Bahn in Richtung Wasserstadt Oberhavel und Hakenfelde müsse Berlin entscheiden, eine Machbarkeitsstudie liege vor. »Aber das kann dauern«, sagt der DB-Bevollmächtigte.
Bettina Jarasch sieht in der Siemensbahn großes Potenzial für die Anbindung der großen Wohn- und Higtech-Projekte Siemens-stadt2, Gartenfeld und Schumacher Quartier an den Öffentlichen Verkehr, weg vom Auto.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!