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Ein Dom für die ostdeutsche Seele
Die Stadt Frankfurt (Oder) will das »Zukunftszentrum Europäische Transformation und Deutsche Einheit« an die deutsch-polnische Grenze holen
Mit einem großen Aufschlag hat Frankfurt (Oder) seine offizielle Bewerbung als Standort für das künftige »Zukunftszentrum Europäische Transformation und Deutsche Einheit« verkündet. Entstehen soll ein Ort des Austausches, der Forschung und Wissenschaft. Vor allem aber soll es auch ein Ort der Würdigung der Lebensleistung von Ostdeutschen in den Zeiten des Umbruchs und ihres Weges in die deutsche Einheit werden. Es geht um ein repräsentatives Gebäude, gefördert vom Bund mit 200 Millionen Euro, das neue Arbeitsplätze schafft und geeignet ist, jährlich eine Million Menschen anzuziehen, so das Versprechen.
Frankfurts Oberbürgermeister René Wilke (Linke) gab am Freitag vor Journalisten im Potsdamer Landtag die Kandidatur seiner Stadt, ihre Wettbewerbsteilnahme, bekannt. Bereits am Vortag hatte er in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung leidenschaftlich für diesen Schritt geworben. Einstimmig hätten ihm die Mitglieder des Kommunalparlaments ihre Unterstützung für die Teilnahme am Ausschreibungsverfahren bekundet, sagt Wilke. »Frankfurt (Oder) wirft seinen Hut in den Ring.«
Die Initiative zu diesem Zentrum hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Frühjahr 2019 ausgelöst. Mit Blick auf den 30. Jahrestag der deutschen Einheit hatte die Bundesregierung eine »Kommission 30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit« und Brandenburgs ehemaligen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) mit der Leitung beauftragt. Im Dezember 2020 legte das Gremium seinen Abschlussbericht vor. In der vergangenen Woche hatte nun der ebenfalls vom Bund beauftragte Arbeitsstab sein Konzept für das »Zukunftszentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit« präsentiert. Nach Vorstellung der beiden Co-Vorsitzenden, neben Platzeck ausgerechnet der jüngst wegen diffamierender Äußerungen über seine Landsleute kritisierte Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU), soll ihr Vorhaben bis 2027 realisiert werden. Zur Standortfindung schlugen sie einen Wettbewerb vor. Voraussetzungen für den Zuschlag sollen ein Standort in einem ostdeutschen Bundesland, der Nachweis eigener Transformationserfahrungen, die Anbindung an eine wissenschaftliche Einrichtung sowie die Annahme sein, dass das Zentrum zur Entwicklung der Region positiv beitragen kann.
René Wilke rechnet damit, dass der Bundestag in seiner Sitzung am 7. Juli die Gründung eines solchen Zukunftszentrums beschließen und einen ergebnisoffenen Standortwettbewerb unter ostdeutschen Städten ausloben wird. Daher drückt er aufs Tempo, denn bereits jetzt zeichnet sich ein breites Interesse ab. So haben in den letzten Tagen die thüringischen Städte Eisenach und Mühlhausen - Letztere gemeinsam mit dem hessischen Eschwege - ihre Wünsche kundgetan. Auch das sächsische Plauen rechnet sich gute Chancen aus. Plauen, wo Bürgerrechtler 1989 bereits recht frühzeitig der DDR-Staatsmacht die Stirn boten, hatte bisher ein eigenes Informations- und Dokumentationszentrum geplant.
Aus Sicht des Frankfurter Oberbürgermeisters erfüllt die Oderstadt die von der Arbeitsgruppe für das Zukunftszentrum formulierten Kriterien. Mit ihrer Lage im äußersten Osten der Republik könne sie deutliche Bezüge zu den Themen Transformation und Deutsche Einheit nachweisen. Auch verfüge sie mit der Europa-Universität Viadrina über eine wissenschaftliche Einrichtung mit entsprechendem Profil und Hunderten Studierenden aus zahlreichen Ländern. Eine Einrichtung, die mit dem Collegium Polonicum jenseits der Oder ihr wissenschaftliches Pendant habe. Nicht zuletzt sei die Nähe zum Hauptstadtflughafen BER ein Garant für gute Erreichbarkeit auch für internationale Gäste. Bei den Übernachtungsmöglichkeiten sieht Wilke gleichwohl Nachholebedarf. Doch da mit einer Standortentscheidung erst 2022 zu rechnen sei und das künftige Zukunftszentrum 2027 stehen solle, sei noch genügend Zeit, um Frankfurts Potenziale auf diesem Gebiet zu stärken. »Ich bin überzeugt davon, dass Frankfurt (Oder) der richtige Standort ist«, sagte sich Wilke. Die Stadt sei sehr gut, teils sogar hervorragend gerüstet. Im Prinzip sei die Ausschreibung wie für sie gemacht.
Ganz besonders hob Wilke das enge, längst freundschaftliche Zusammenleben mit der polnischen Nachbarstadt Słubice - bis 1945 Frankfurts Dammvorstadt jenseits der Oder - hervor. Beide Städte, die die sogenannte Friedensbrücke verbindet, kooperieren zum gemeinsamen Vorteil ihrer Bürger. Seit Jahren präsentieren sie sich auch international als Doppelstadt »Słubfurt«. Und sie halten gemeinsam den europäischen Gedanken, die Idee eines vereinten Europas hoch, wie Słubices Bürgermeister Mariusz Olejniczak in Potsdam betonte. Olejniczak sicherte seinem Freund René Wilke und allen Frankfurtern seine Unterstützung zu.
Für die Errichtung eines Zukunftszentrums, das nach den Worten von Platzeck durchaus den Stellenwert eines Doms oder beispielsweise der Hamburger Elbphilharmonie haben sollte, kann Frankfurt gleich mehrere prominente Bauflächen vorweisen. René Wilke nannte Areale am Rathaus oder auch am Universitätscampus der Viadrina. Am besten geeignet erscheint ihm aber wegen der großen Symbolkraft ein Standort in unmittelbarer Nähe zur Grenzbrücke zwischen Słubicer Straße und Oder.
Besuchern präsentiert sich Frankfurt (Oder) als grüne, lebendige Grenzstadt mit funktionierender Infrastruktur und einem sanierten Zentrum. Die nach der Wende auf Initiative des Neuen Forums neu gegründete Europa-Universität und der Gerichtsstandort bringen täglich viele Pendler in die Stadt. Doch die Wende hat Spuren hinterlassen, die sich auch im Stadtbild zeigen. In den 30 Jahren seit dem Vollzug der deutschen Einheit hat die Stadt an die 29 000 Einwohner verloren, wurden 3500 Wohnungen abgerissen. Als DDR-Bezirksstadt war sie ein Zentrum der Halbleiterindustrie und -forschung. Und obwohl sie vor 1989 selbst 88 000 Einwohner hatte, arbeiteten damals viele Hundert polnische Bürger in ihren Fabriken und Einrichtungen. Heute schätzen viele Frankfurter den preiswerten Einkauf in Polen. In großer Zahl schlossen nach 1990 Unternehmen und Einrichtungen, gingen viele Arbeitsplätze verloren, neue Industrie-Großprojekte wie die Chipfabrik scheiterten. Eine Zuzugskampagne, die sich an Pendler, Fachkräfte, Azubis, Studenten und Rückkehrer richtet, stagniert.
Das Land Brandenburg hat die Chance erkannt, die sich für die Oderstadt aus dem Standortwettbewerb ergibt. »In Osteuropa bröckelte der Eiserne Vorhang zuerst. Nur konsequent: Das neue Zukunftszentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit muss nach Frankfurt (Oder)«, erklärte Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD), selbst gebürtige Frankfurterin. Die Bewerbung sei Sache der Stadt, aber das Land unterstütze sie auch mit eigenen Mitteln, etwa für die Viadrina. »Frankfurt (Oder) und die Europa-Uni waren immer schon stark, wenn es darum ging, die breite Öffentlichkeit mitzunehmen. Besonders beim Thema Deutsche Einheit und Europa braucht es daher einen Ort, der qua Definition für grenzüberschreitende Kommunikation steht.«
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