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Hochburg der rechten Szene
Report über Neonazi-Umtriebe und Rassismus in Thüringen vorgelegt
Wer einen Blick in die polizeiliche Statistik werfe, der könne »die gesamtgesellschaftliche Bedrohung durch den Rechtsextremismus nicht mehr unterschätzen«, schreibt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) in einem Grußwort zur jetzt erschienenen Publikation »Thüringer Zustände 2020«. Vorlegt wurde sie am Dienstag von der Mobilen Beratung (Mobit), der Opferberatung Ezra, dem Zentrum für Rechtsextremismusforschung an der Uni Jena und dem Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ). Alle vier Einrichtungen wollen mit ihrer »faktenbasierten Darstellung und kritischen Einordnung« behördliche Darstellungen wie die polizeiliche Statistik ergänzen, die den Phänomenbereich aus ihrer Sicht nur unzureichend erfassten.
Die Autoren haben eine weiterhin sehr starke Verbreitung rechtsextremer Einstellungen festgestellt. Deshalb überrasche es nicht, dass »migrationsfeindliche, antiliberale und autoritäre Politikangebote« in den vergangenen Jahren erfolgreich waren. Die Aussage zielt in Richtung der Thüringer AfD, der die Studie nicht nur völkisch-rassistischen Nationalismus und Antiliberalismus attestiert. Sie habe zudem zahlreiche Verbindungen in die neonazistische Szene, die in dem Bericht aufgezeigt werden.
In der Neonaziszene wiederum seien zahlreiche Parteien, Organisationen und Kleinstgruppen aktiv, die davon profitierten, dass Akteure aus anderen Bundesländern nach Thüringen gezogen sind. Der Freistaat sei inzwischen eine Rechtsrock-Hochburg mit einer etablierten extrem rechten Kampfsportszene und mindestens 35 Immobilien, die im Besitz von Neonazis sind oder auf die sie problemlos zugreifen können. Romy Arnold von Mobit nannte Thüringen bei der Vorstellung »eine Hochburg der rechtsextremen Szene, die seit Jahrzehnten etabliert ist«. Trotz der Pandemieeinschränkungen habe diese sich bei Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen ein neues Rekrutierungsfeld erobert.
Die »rechte Mischszene«, die sich deutlich radikalisiert habe, sorgte dafür, dass die Zahl extrem rechter Aktionen in Thüringen auf dem hohen Niveau der Vorjahre blieb – trotz Corona-Einschränkungen. Auch bundesweit avancierte der Freistaat 2020 zu einem »Ort bundesweiter Vernetzung der Pandemieleugner*innen«, halten die Verfasser fest.
Dass diese Radikalisierung ganz konkrete Folgen hat, zeigen Interviews mit zwei Menschen mit Migrationsgeschichte in der Studie. Neben ihren teils physischen Rassismuserfahrungen ist ihnen gemein, dass sie sich von der Polizei nicht ernst genommen und durch Racial Profiling diskriminiert fühlen. Auf Anzeigen verzichten sie deshalb inzwischen. Franz Zobel von Ezra resümiert: »Die massiven Probleme bei der Strafverfolgung rechtsmotivierter Gewalttäter durch Ermittlungsbehörden und Justiz führen dazu, dass sich viele Menschen durch den Rechtsstaat nicht geschützt fühlen.« Würden doch Anzeigen erstattet, komme es nicht nur oft zur Einstellung der Ermittlungen. Viel mehr richteten sich diese häufig auf einmal gegen die Geschädigten. Vorwürfe, dass es bei der Thüringer Polizei ein strukturelles Rassismusproblem gebe, häuften sich, heißt es im Bericht. Davon seien besonders Frauen betroffen, wie das Beispiel einer Geflüchteten in Erfurt aus dem vergangenen Jahr zeigt. Nachdem sie und ihre Kinder von ihrem Lebenspartner massiv bedroht worden waren, habe die Polizei ihr lediglich einen Zettel ausgehändigt. Darauf eine Telefonnummer und ein Text, den sie nicht verstand.
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Laut Bericht gibt es zudem eine konstant hohe Zustimmung zu Israel-bezogenem Antisemitismus, vor allem in der Mitte der Bevölkerung. Axel Salheiser vom IDZ sagte, Antisemitismus äußere sich häufig »in der Zerstörung, Beschädigung oder Schändung von Gedenkorten, -zeichen oder -initiativen sowie der absichtlichen Störung von Gedenkfeiern, die an die nationalsozialistischen Verbrechen erinnern«.
Die »Thüringer Zustände 2020« sind mithin erschreckende. Und doch ist die Mischung aus Fakten, kritischer Einordnung und Analyse ein wichtiges Werkzeug zur Aufklärung der aktuellen Entwicklung und damit zur Bekämpfung des Rechtsrucks. Ob sich die Zustände bessern, werden die nächsten Jahre zeigen, wenn neue Ausgaben des Berichts erscheinen.
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