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Freiheit für neun Katalanen
Spanien will mit Begnadigung von Unabhängigkeitsaktivisten befrieden
Die neun katalanischen Politiker und Aktivisten, die für die Durchführung des Unabhängigkeitsreferendums im Oktober 2017 zu Haftstrafen verurteilt wurden, werden in den nächsten Tagen die Gefängnisse verlassen. Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez hatte bei einem Besuch in Barcelona ihre Begnadigung am Montag angekündigt und am Dienstag wurde die Maßnahme im Ministerrat in Madrid beschlossen. Der Sozialdemokrat begründete den Schritt am Dienstag mit dem Ziel der »Versöhnung«, um eine »neue Etappe im Zusammenleben zwischen Spanien und Katalonien« einleiten zu können. Die Begnadigungen beträfen zwar nur neun Personen direkt, darüber hinaus aber zahllose Menschen, die mit ihnen solidarisch seien. Die Verurteilungen stellte Sánchez ausdrücklich nicht infrage.
Von ungefähr kamen weder der Schritt noch die unübliche Ankündigung in der Oper von Barcelona vor 300 geladenen Gästen am Montag, unter denen kein Mitglied der katalanischen Regierung war. Sánchez’ Auftritt fiel damit zusammen, dass Spanien gleichzeitig im Europarat in Straßburg wegen der Behandlung der Katalanen abgewatscht wurde. Das Land wurde mit der Türkei und deren Umgang mit den Kurden verglichen. Trotz »heftigsten Widerstands« auch von Sánchez’ spanischen Sozialdemokraten, wie Andrej Hunko (MdB, Die Linke) dem »nd« erklärte, wurde der Bericht mit 70 Stimmen, bei 28 Gegenstimmen und zehn Enthaltungen verabschiedet. Spanische Anträge zur Abschwächung wurden allesamt abgelehnt. »In der Debatte wurde klar, dass Spanien die Justiz für politische Probleme vorschiebt, die nur politisch gelöst werden können«, erklärte Hunko, der Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ist. Die bisherige Inhaftierung der Katalanen sei ein »Skandal sondergleichen«. Der spanische Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo sieht in Sánchez’ Begnadigungen »keine Option, sondern eine Notwendigkeit«.
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Der Europarat hat ein Ende der Repression gefordert. Er regte eine »Begnadigung oder anderweitige Freilassung« derer an, die wegen »Aufruhrs« zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt wurden. Dafür wäre aber massive »tumultartige Gewalt« nötig, die es nicht gab, kritisierte der Europarat die Urteile, von denen sich Sánchez nach wie vor nicht distanziert. Der Europarat unterstreicht, dass die verurteilten Politiker »nicht zur Gewalt aufgerufen« haben. Sie hätten im Gegenteil stets gefordert, »jeglicher Gewalt« zu entsagen, weshalb die Massenproteste »stets friedlich« blieben. Gefordert wird von Spanien nicht nur eine Reform des Strafrechts, sondern auch die »Einstellung von Auslieferungsverfahren« gegen Exilanten wie den »Exilpräsidenten« Carles Puigdemont. Noch laufen in Spanien Strafverfahren gegen rund 3300 am Unabhängigkeitsreferendum beteiligte Aktivisten. Der Europarat mahnte für alle die Einstellung an.
Massiver Widerstand gegen die Begnadigungen kommt von rechts. Von der ultrarechten Vox über die rechte Volkspartei (PP) bis zur nationalliberalen Ciudadanos-Partei wurden Klagen angekündigt. Sie werfen Sánchez auch Wortbruch vor, da er Begnadigungen vor den Wahlen ausgeschlossen hatte. Ihre »Massendemonstration« erwies sich vor gut einer Woche in Madrid aber als Flop, da sich daran nur etwa 25 000 Menschen beteiligten. Laut Umfragen soll es in Spanien im Gegensatz zu Katalonien eine absolute Mehrheit geben, auch in der Partei von Sánchez, die sich gegen die Begnadigungen ausspricht.
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Die Regierung hat mit Blick auf die Rechte keine vollständigen Begnadigungen verfügt. Ausgeschlossen bleiben auch Exilanten wie Puigdemont. Zudem bleiben die in Urteilen ausgesprochenen Amtsverbote bestehen. So kann Oriol Junqueras, Chef der Republikanischen Linken (ERC), bis 2031 kein Amt bekleiden. Zudem hängen die Haftstrafen weiter wie Damoklesschwerter über den neun Katalanen, da sie die Reststrafen bei einem Erfolg der Klagen wieder antreten müssten. Das wird den geplanten Dialog mit der katalanischen Regierung und die Regierungsfähigkeit von Sánchez beeinträchtigen, da seine Minderheitsregierung auf die ERC-Stimmen angewiesen ist. Die katalanische Regierung, die von Pere Aragonès (ERC) geführt wird, hält die Begnadigungen auch nur für eine »Geste«. Sie seien »ein Schritt auf dem Weg zum Dialog, aber keine Lösung«. Kataloniens Regierung fordert, wie etliche Demonstranten vor der Oper am Montag, eine vollständige Amnestie und das Recht Kataloniens, über seine Zukunft selbst entscheiden zu können.
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