Streit um Truppenabzug

Libyer wollen Friedensprozess selbst in die Hand nehmen

  • Mirco Keilberth
  • Lesedauer: 5 Min.

Zwei Tage nach der zweiten Berliner Libyen-Konferenz sind die Reaktionen in Libyen und bei der angereisten Delegation gemischt. »Organisatorisch beeindruckend«, sagt der Sprecher von Premierminister Abdelhamid Dbaiba in der Lobby des Hotels Ritz Carlton am Potsdamer Platz und sortiert sein Gepäck für die Weiterreise nach London. Obwohl das zweite Treffen im Rahmen des sogenannten Berliner Prozesses dieses Mal im Auswärtigen Amt stattfand, hatte auch Angela Merkel den aus Tripolis angereisten Vertretern der Einheitsregierung ihre Unterstützung bei der Organisation von Neuwahlen zugesagt.

Von allen Anwesenden verströmte Premierminister Abdelhamid Dbaiba am meisten Optimismus. Der schwerreiche Geschäftsmann hat seit seiner Wahl im Februar mit Volksnähe, finanziellen Versprechen und seiner hemdsärmeligen Art viele Sympathiepunkte gesammelt. »Ich bin mit der Konferenz zufrieden. Sie hat bewiesen, dass Libyen viele internationale Freunde und Deutschland an seiner Seite hat«, sagte er am Donnerstagmorgen gegenüber »nd« bei einem Treffen in der Lobby des Ritz Carlton in Berlin. »Aber nun ist es an der Zeit, dass wir unsere Angelegenheiten selber regeln. Das können wir als Libyer untereinander am besten. Daher habe ich eine Versöhnungsinitiative gestartet. Auch für ein sichereres Umfeld der Wahlen können wir selber sorgen.«

Skeptisch gab er sich jedoch am Tag nach der Konferenz hinsichtlich einer internationalen Überwachungsmission des Waffenstillstands in Libyen: »Einige unbewaffnete Beobachter unter dem Kommando der Vereinten Nationen helfen uns sicher, aber unsere eigenen Sicherheitskräfte können sowohl die Waffenruhe als auch die Wahlen absichern«, sagte er dem »nd«.

Die Konferenzteilnehmer hatten sich am Mittwochnachmittag auf eine siebenseitige Absichtserklärung geeinigt, die den Waffenstillstand langfristig sichern soll. Die auf über 20 000 Mann geschätzten ausländischen Söldner sollen daher umgehend abziehen, um die für den 24. Dezember geplanten Wahlen zu ermöglichen.

Auf die zahlreichen schwarzen Limousinen mit laufenden Motoren vor dem Ritz Carlton war am Donnerstag die Flagge Libyens geklebt. »Eine riesige Regierungsdelegation ohne funktionierenden Staat«, sagt ein mitreisender libyscher Journalist mit Blick auf die vielen herumstehenden Sicherheitsbeamten. Auch andere mitreisende Berater des Regierungschefs gaben sich aufgrund der komplizierten Lage in dem ehemaligen Bürgerkriegsland verhalten. »Wahlen und Abzug der Milizen oder Krieg und Spaltung, das sind die Optionen. Gestern haben wir keinen konkreten Schritt in Richtung der ersten gemacht, wir wurden nur daran erinnert«, sagt Ibrahim Dabaiba, ein Berater des Premier. Die verhaltene Stimmung der libyschen Delegation steht im Gegensatz zu den offiziellen Verlautbarungen der »Berlin 2«-Konferenz, zu der Außenminister Heiko Maas (SPD) und die Vereinten Nationen geladen hatten.

Für die 58 Einzelmaßnahmen und Forderungen der anwesenden 18 Regierungsvertreter fehlt jedoch ein konkreter Zeitplan. Auch Strafmaßnahmen gegen diejenigen, die gegen den Berliner Prozess oder das seit 2011 geltende Waffenembargo verstoßen, wurden nicht diskutiert, denn einige Unterstützer der libyschen Kriegsparteien saßen mit am Tisch.

Dass der seit Oktober 2020 geltende Waffenstillstand hält und dass ohne eine funktionsfähige Beobachtermission an der Frontlinie bisher kaum ein Schuss gefallen ist, liegt an einem geheimen türkisch-russischen Abkommen, ist man sich in der libyschen Delegation sicher. Ankara und Moskau haben einen Großteil der Söldner und Militärberater nach Libyen geholt und nach anderthalb Jahren Materialschlacht rund um Tripolis eingesehen, dass eine Teilung der Einflusssphäre in Afrikas ölreichstem Land im Interesse beider ist. Nun sollen sie laut dem im Januar 2020 im Kanzleramt begonnenen Berliner Prozess ihre Truppen abziehen.

Der ägyptische Außenminister Sameh Skukry beschwerte sich nach dem Treffen über den türkischen Versuch, den Abzug der Söldner zu verzögern, und lobte seinen französischen Kollegen Le Drian für die Forderung nach einem klaren Zeitplan. Auch Ägypten und Frankreich unterstützen Haftars Armee, der im Gegenzug ihren Spezialkommandos die Erlaubnis für Einsätze gegen den Islamischen Staat und andere Islamisten gibt. Die Türkei besteht hingegen darauf, dass ihre Militärberater, alle Angehörige der türkischen Armee, auf Basis eines mit der libyschen Übergangsregierung geschlossenen militärischen Beistandspakts im Land sind und daher bleiben dürfen.

»Wir werden keine Ruhe geben bis die letzte ausländische Kraft das Land verlassen hat«, so Maas auf einer Pressekonferenz im Auswärtigen Amt, auf der er die libysche Außenministerin Nadschla Al-Mangusch freundschaftlich mit Vornamen ansprach. Das Dilemma der türkischen Truppen werde man anhand von zeitlich abgestuften Abzugsphasen lösen, versicherte er. »Das Ganze ist ein Marathon und kein Sprint«, mahnte der gut aufgelegte deutsche Außenminister. Anders als im Januar letzten Jahres waren die libyschen Delegierten als gleichberechtigte Konferenzteilnehmer angereist. Die damaligen Kriegsgegner, Regierungschef Fajis Al-Sarradsch und Feldmarschall Khalifa Haftar, waren auf der ersten Berliner Konferenz nicht zusammen ins Kanzleramt gekommen.

Dbaiba hatte auf der Konferenz zwar die Gründung einer Versöhnungskommission verkündet, doch sein Hauptaugenmerk liegt auf dem Wiederanfahren der Wirtschaft. »Wir wollen, dass die internationalen Firmen, vor allem deutsche, zurückkommen; wir müssen das Gesundheitswesen, das Stromnetz und die Ölförderungsinfrastruktur wieder instand setzen.« Doch noch immer ringt Dbaiba mit dem Parlament um die Freigabe seines aufgeblähten Budgets, von dem ein Großteil in die Taschen von Staatsangestellten fließt, darunter auch bewaffnete Verbände beider Seiten. Auch die Vorbereitungen für die Wahlen kommen nur schleppend voran. Immerhin habe die Registrierung der politischen Parteien begonnen, betont Dbaiba. »Ich bin nicht gekommen, um zu bleiben«, sagt er euphorisch dem »nd«. »Der Übergangsprozess zur Demokratie ist unumkehrbar.« Seine anpackende und direkte Art kommt bei den Diplomaten gut an.

In Libyen sind die Reaktionen nach der Berliner Konferenz gedämpft. Lokale Medien berichten, dass die Straße zwischen Bengasi und Tripolis, die Dbaiba am Montag eigenhändig eröffnet hatte, nicht befahrbar sei. In einem Bagger sitzend hatte der Premier die Sandbarrieren an der ehemaligen Front vor Fernsehkameras freigeräumt. Doch um die Einschlagkrater der Granaten auf der Straße zu umfahren, müssen die Autofahrer auf vermintes Gebiet ausweichen.

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