• Politik
  • »From the Sea to the City«

Brücken der Menschlichkeit für Geflüchtete bauen

Konferenz von Bürgermeistern und Organisationen wirbt für neue Prioritäten in der Migrationspolitik

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 5 Min.

»From the Sea to the City« (Vom Meer zur Stadt) nennt sich ein weit umspannendes Bündnis, das anlässlich des Weltflüchtlingstages im Juni 2020 gegründet wurde. Das Motto war auch Namensgeber für eine zweitägige Konferenz, zu der die Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, und der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam, Mike Schubert, am Wochenende in den sizilianischen Hauptort eingeladen hatten. »Wir sind aus Sorge um die Menschenrechte hier zusammengekommen«, erklärte Schubert (SPD). »Wo die Politik der Staaten versagt, wollen wir eine Alternative, geboren aus den Kommunen, entgegensetzen«.

Amtskollege Orlando begründete die Einladung nach Palermo wie folgt: »Unsere Stadt ist heute die Hauptstadt der Menschenrechte in einer Vision der Brüderlichkeit, ein Mosaik der Kulturen, in dem die Verteidigung der Werte des Lebens Priorität hat.« Ein Anliegen, das jedoch vom Tod im Meer und der Entschlusslosigkeit Europas gegenüber der Tragödie überschattet werde, so der Erste Bürger Palermos.

Auch im Kontext der Covid-Pandemie bleibt die Problematik von Flucht und Migration ein brennendes Thema unserer Zeit. Die Zahl der Menschen aus Krisengebieten, die auf gefährliche Art und Weise das Mittelmeer überwinden, steigt wieder. Die daraus resultierenden Sorgen teilen mit Orlando und Schubert viele weitere Politiker der lokalen Ebene: 33 Städte und Gemeinden bekannten sich in Palermo zur »Internationalen Allianz der Städte Sicherer Häfen«. In Deutschland gehören einem entsprechenden nationalen Bündnis rund 100 Städte, Gemeinden und Landkreise an, die bereit sind, mehr Schutzsuchende aufzunehmen.

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) starben im ersten Halbjahr 2021 bereits 815 Menschen auf ihrer Flucht im Mittelmeer. Noch sind nicht die hohen Zahlen der Flüchtlingsbewegungen um das Jahr 2015 erreicht, doch die Tendenz ist trotz Corona wieder steigend. Dass Menschen in Not ihr Leben riskieren, um auf irgendeine Weise nach Europa zu gelangen, bestürzt und beunruhigt die Städtevertreter. Der Tatenlosigkeit der EU und ihrer Mitglieder wollen sie eine Alternative entgegensetzen. Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert betonte: »Wo Nationen versagen, schaffen Städte Lösungen. Potsdam ist ein sicherer Zufluchtsort für Menschen, die vor Krieg und Diskriminierung fliehen.«

Ähnlich halten dies die Partner im Bündnis. In der von den Vertretern der 33 Städte unterzeichneten gemeinsamen Erklärung heißt es: »Die in Palermo anwesenden Bürgermeister betonen bei der Verabschiedung des Grundlagendokuments die Notwendigkeit, dass die Migration auf legalen Wegen stattfinden kann. Die Bürgermeister betonen auch, wie notwendig es ist, dass sich die Europäische Union zuallererst um das Recht auf Leben der Schiffbrüchigen im Mittelmeer kümmert. Sie halten es daher für notwendig, diese Themen bei zukünftigen Treffen ausführlicher zu diskutieren.«

Neben Palermo und Potsdam gehören zu dieser Allianz Amsterdam, Athen, Barcelona, Marseille, Villeurbanne, Trier, Kiel, München, Heidelberg, Gütersloh, Bergamo, Lampedusa, Pozzallo, Reggio Calabria, Rottenburg, Flensburg, Göttingen, Braunschweig, Greifswald, Mannheim, Leipzig, Northeim, Dormagen, Münster, Jülich, Bonn, Marburg, Dortmund, Darmstadt, Würzburg und Tirana.

Weder Absichtserklärungen noch schöne Worte beseitigen Fluchtursachen oder helfen den Flüchtlingen in den Lagern auf den griechischen Inseln, in Süditalien oder auf den Kanaren. Ein Beispiel praktischer Solidarität zeigten die Oberbürgermeister Orlando und Schubert. Sie übernahmen die Patenschaft für das Seenotrettungsschiff »Sea Eye 4«. »Seenotrettung ist eine humanitäre Pflichtaufgabe, egal aus welchem Grund die Menschen in Seenot geraten sind«, sagte Schubert. Potsdam hatte bereits im Vorfeld die Patenschaft für die deutsche Hilfsorganisation Sea-Eye übernommen. Um die »Sea Eye 4« bei ihren Einsätzen zu unterstützen, wird die Havelstadt jährlich 10 000 Euro zur Verfügung stellen.

Doch nicht nur die Rettung von Flüchtlingen aus dem Meer treibt die Teilnehmer der Konferenz in Palermo an. Es geht auch darum, ihnen ein sicheres Leben zu garantieren und Perspektiven zu bieten. Triers Bürgermeisterin Elvira Garbes (Bündnis 90/Grüne) erklärte, der Stadtrat dort habe - gegen die Stimmen des rechten Lagers - den Beschluss gefasst, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Garbes sieht darin nicht nur eine humanitäre Verpflichtung, sondern auch eine Chance für die Gesellschaft. »Wir sind uns bewusst, dass wir in einer überalterten Gesellschaft leben«, erklärte die Politikerin, und »der Zuzug von Migranten, vor allem von jungen Menschen, kann da eine wertvolle Bereicherung sein.« Umso wichtiger sei es, in Bildung, Integration und Spracherwerb zu investieren.

Garbes Parteikollege Tareq Alaows von der Nichtregierungsorganisation Seebrücke betonte eine andere Prioritätensetzung: »Es geht doch in erster Linie um Menschenrechte. Niemand flieht freiwillig vor Krieg, Armut, Hunger und den Folgen der Klimakrise. Wir können in Europa nicht wegschauen. Wir können die Ereignisse an den Außengrenzen des Kontinents, in Lagern wie Kara-Tepe, Samos oder Lipa nicht ignorieren«, so Alaows. Während die EU viel Geld investiere, um die Außengrenzen noch stärker abzuschotten, hätten die Gemeinden Möglichkeiten, um Menschlichkeit zu beweisen und kommunale Lösungen für die Aufnahme von Flüchtlingen zu finden. Dies entspricht dem Handlungsansatz der »Allianz Sicherer Häfen«. Mitgetragen wird die Initiative unter anderem von den Organisationen Sea-Watch, Seebrücke und Open Arms. Die Konferenz von Palermo soll nur ein erster Schritt im Prozess der Bildung eines europäischen Städte-Netzwerks gewesen sein.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.