Die Sonne segelt auf einem Schiff

Stonehenge in Sachsen-Anhalt? Eine neue Sonderausstellung in Halle an der Saale über die Welt der Himmelsscheibe von Nebra

  • Hubert Thielicke
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Vorfeld des Baus der Autobahn A 38 ist man 2004 bei archäologischen Untersuchungen nahe Esperstedt im Saalekreis auf eine bronzezeitliche Nekropole gestoßen. Die Sensation: In einem mehr als 3000 Jahre alten Frauengrab fand sich ein Kopfschmuck, zu dem auch eine Perle aus Bernstein und eine aus blauem Glas gehörten. Chemische Untersuchungen ergaben, dass das Glas in Mesopotamien hergestellt wurde, also im heutigen Irak, in Syrien oder der Südtürkei. Ähnliche Glasperlen gab es auch in bronzezeitlichen Frauengräbern in Sachsen und Dänemark. Die Funde deuten auf vorgeschichtliche Austauschwege hin, auch »Bernsteinstraßen« genannt. So wurden Perlen aus Bernstein von den Küsten von Nord- und Ostsee in den Gräbern von Mykene, aber auch in Syrien und Ägypten gefunden, das sind immerhin über 5000 Kilometer lange Transportwege. Beispiele für eine Art früher Globalisierung.

Auf ähnlichen Wegen, wenn auch nicht ganz so weiten, dürfte das Material eines der bedeutendsten archäologischen Funde des 20. Jahrhunderts - der Himmelsscheibe von Nebra - nach Mitteldeutschland gelangt sein: das Kupfer aus dem Alpenraum, Zinn und Gold aus Cornwall. Die Himmelsscheibe wurde zusammen mit zwei Schwertern, zwei Beilen, einem Meißel und zwei Armspiralen 1999 von Raubgräbern auf dem Mittelberg nahe der Stadt Nebra entdeckt. Zwei Jahre später gelang es nach polizeilichen Ermittlungen, den Hortfund sicherzustellen; er befindet sich seither im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale.

Intensive wissenschaftliche Untersuchungen und neueste Analyseverfahren ließen schnell erkennen: Es handelt sich um die älteste konkrete Himmelsdarstellung der Welt. Verständlich also, dass sie in die Liste des Unesco-Weltdokumentenerbes aufgenommen wurde. Aber nicht nur das Material der Himmelscheibe zeugt von den weitgespannten Netzwerken jener Zeit, es gilt auch für ihre Symbolik. So geht das Schiff am unteren Rand der Scheibe auf Vorstellungen aus dem Alten Ägypten zurück - die Sonne wird von einem Schiff transportiert, während die für das bäuerliche Jahr wichtige Sterngruppe der Plejaden im Zentrum der Scheibe bereits eine wichtige Rolle als Kalendersterne im Vorderen Orient spielte.

Seit ihrer Auffindung hat es mehrere Ausstellungen zur Himmelscheibe gegeben, wurden neue Erkenntnisse zum Hortfund von Nebra und seinem Umfeld gesammelt. Damit war eine aktuelle Zusammenstellung der neuen Forschungsergebnisse für eine breite Öffentlichkeit dringend geboten, wie Harald Meller, Direktor des Landesmuseums, bei der Eröffnung der Sonderausstellung betonte. Als eines der bedeutendsten archäologischen Museen Europas bietet Mellers Haus eine Schau der »Welt von Nebra«, die den Bogen spannt vom Ende des Neolithikums bis zur Bronzezeit und von den Britischen Inseln über Mitteleuropa und Griechenland bis zum Vorderen Orient. Dazu tragen über 400 Exponate bei, Leihgaben aus 15 Ländern. Trotz des Brexit kam es zu einer exzellenten Kooperation mit dem British Museum in London, das unter anderem das noch nie in Deutschland gezeigte goldene Obergewand Cape of Mold zur Verfügung stellte. Im Gegenzug wird die Himmelsscheibe im nächsten Jahr mit weiteren Exponaten aus Halle in einer Stonehenge gewidmeten Ausstellung in London zu sehen sein.

Den Besucher zieht die halbdunkle, geheimnisvolle Installation im Atrium sofort in ihren Bann: Im Mittelpunkt eines stilisierten, Stonehenge nachempfundenen Megalithkreises sind neben der Himmelsscheibe und dem Cape of Mold weitere hochkarätige Objekte zu bewundern, etwa der Goldhut aus Schifferstadt (Rheinland-Pfalz), die Goldblechschiffchen von Nors (Dänemark) und Goldschmuck aus Mykene. Sehr anschaulich sind die Funde in ihren historischen und gesellschaftlichen Kontext eingebettet - deutlich wird das Bild einer Zeit des Umbruchs, der Zeit zwischen etwa 2500 und 1000 v. Chr., in der komplexe sesshafte Gesellschaften in Europa entstanden, in denen es bereits beträchtliche Unterschiede zwischen Arm und Reich gab. Sehr aufschlussreich dafür sind die Elitengräber der frühen Bronzezeit wie das bei Leubingen in Thüringen, das größte erhaltene Fürstengrab jener Zeit, und ihre Beigaben: reich verzierte Waffen, aber auch Schmuck und Trinkgefäße aus Edelmetall. Der Reichtum zeugt davon, dass die Macht damals in den Händen einer kleinen Oberschicht lag, Fürsten an der Spitze der sich herausbildenden gesellschaftlichen Hierarchie standen.

Zur Machtausübung verfügten die Herrscher offensichtlich bereits über Truppen, worauf umfangreiche Waffenhortfunde hindeuten. Möglicherweise gab es schon eine Art Staat. Wie das erst vor einigen Jahren entdeckte Ringheiligtum von Pömmelte bei Magdeburg zeigt, existierte dort bereits eine Art sakrale Landschaft, ähnlich der Umgebung von Stonehenge im südlichen England. Nur bestanden eben die Anlagen im Unterschied zu den gewichtigen Megalithen von Stonehenge aus Holz.

Ein Schlaglicht auf die weitreichenden Verbindungen vor etwa 4000 Jahren wirft der Schluss der Ausstellung - »Aufbruch zu neuen Horizonten«. Etwas spekulativ, aber nicht auszuschließen: Könnten nicht bereits damals »Prinzen« des »Reiches von Nebra« bis nach Mesopotamien beziehungsweise Ägypten gelangt sein und von dort neues Wissen mitgebracht haben? Also gewissermaßen ein »Wissenstransfer« aus dem höher entwickelten Nahen Osten nach Mitteleuropa. Auch hier wird die Archäologie sicher neuen Aufschluss bringen.

»Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra - neue Horizonte«, bis 9. Januar 2022 im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale); Di bis Fr: 9 bis 17 Uhr, Sa, So und Feiertage: 10 bis 18 Uhr. Harald Meller/Michael Scheffzik (Hg.): Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra - Neue Horizonte, WGB/Theiss, 240 S., geb., 19,80 €. www.ausstellung-himmelsscheibe.de

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