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Razzia im Asia-Markt
Durchsuchungen der Polizei in Berlin-Hohenschönhausen wegen des Verdachts auf Menschenhandel
Als die Mitarbeiter der Vereinigung der Vietnamesen in Berlin und Brandenburg am Montagmorgen zu ihrem Arbeitsplatz wollten, mussten sie einen Schleichweg nehmen. Der Asia-Markt in Berlin-Hohenschönhausen, in dem der Verein sein Büro hat, war seit sechs Uhr morgens Schauplatz eines Polizeieinsatzes, der Haupteingang durch Polizeikräfte und Flatterband abgeschirmt. Die Polizei sei mit fünf Mannschaftswagen und mehreren kleinen Fahrzeugen gekommen, sagt ein Vereinsmitarbeiter zu »nd«. Er habe beobachtet, dass die Polizeikräfte alle Autokennzeichen von parkenden Fahrzeugen notiert hätten.
Bei dem Polizeieinsatz ging es dem Sprecher der Berliner Polizei, Martin Dahms, zufolge um ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes auf Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft. Es gab Durchsuchungen in den Geschäftsräumen eines vietnamesischen Geschäftsführers einer Baufirma in ebenjenem Asia-Markt, in den Wohnräumen des Mannes sowie in Berliner Unterkünften von vietnamesischen Arbeitnehmern dieser Firma in Hohenschönhausen, Lichtenberg und Friedrichshain. Die Beschäftigten gelten in dem Ermittlungsverfahren als Geschädigte.
Im Zentrum der Ermittlungen stehen laut Polizei der 37-jährige Geschäftsführer der Baufirma, ein 59 Jahre alter angeblicher Mittäter sowie eine 65-jährige Vermieterin einer offensichtlich als Unterkunft für Beschäftigte genutzten Halle. Darin wurden insgesamt 13 vietnamesische Staatsangehörige angetroffen, von denen zehn keinen Aufenthaltsstatus für die Bundesrepublik hatten. Die Polizei stellte Beweismaterial sicher, darunter Handys und Notebooks.
Das vietnamesisch-deutsche Internetportal Thoibao.de aus Berlin konnte mit Insidern sprechen und erfuhr, dass sich in dem Markt ein Lager für Baumaterial des beschuldigten Geschäftsmannes und Werkstätten befinden, in denen bauvorbereitende Arbeiten ausgeführt wurden. Dabei kamen neu aus Zentralvietnam eingereiste Menschen zum Einsatz, die sich ohne Aufenthaltspapiere in Berlin aufhalten, oft auch kein Asyl beantragt hatten. Das Internetportal bestätigt die polizeilichen Erkenntnisse, wonach die Arbeitskräfte teilweise in der Werkstatt schliefen. Mit ihrer Arbeit sollen die Menschen die Schlepperkosten für die Reise nach Deutschland abarbeiten.
Es ist nicht die erste Razzia dieser Art in diesem Jahr. Vor vier Wochen nahm die Bundespolizei in der Hauptstadt eine mutmaßliche vietnamesische Menschenhändlerin fest und durchsuchte Restaurants und Nagelstudios in Berlin, Brandenburg und weiteren Bundesländern. Im Mai durchsuchte der Zoll in einer europaweit abgestimmten Aktion von Vietnamesinnen betriebene Nagelstudios nach Hinweisen auf Menschenhandel. In Schönefeld und Oranienburg wurden dabei auch Restaurants durchsucht. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor. Im März legte die Berliner Polizei einer Bande das Handwerk, die neu angekommene Vietnamesinnen in die Prostitution zwang. Im Januar beendete die Polizei in einem Dienstleistungsbetrieb im Dong-Xuan-Center illegale Prostitution. Neu ist, dass die Polizei seit März nicht mehr nur von Schleusung und Schwarzarbeit ausgeht, sondern prüft, ob Menschenhandel vorliegt. Kriminologen sprechen davon, wenn Menschen in ausbeuterische Verhältnisse gezwungen werden. In diesem Fall gelten die Opfer nicht mehr nur als »illegal eingereiste« Menschen, die man schnell abschieben kann, sie können nun auch staatlichen Schutz in Anspruch nehmen.
Dabei ist es sowohl polizeiintern als auch unter Vietnamesinnen und Vietnamesen umstritten, ob es sich bei der vietnamesischen Migration tatsächlich um Menschenhandel handelt. Fakt ist: Alle Neuankömmlinge, die meist aus dem vom globalen Klimawandel stark betroffenen Zentralvietnam stammen, sind freiwillig nach Deutschland gereist. Sie haben sogar viel Geld für die Reise bezahlt, weil man nur mit Hilfe von Schlepperbanden die Festung Europa überwinden kann. Sie kommen, weil sie hoffen, viel Geld verdienen und der Armut in Zentralvietnam entkommen zu können. Es gibt hier zwar durchaus Erfolgsgeschichten, aber auch Geschichten von Menschen, die in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen landen.
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