Angst vor der Rechtlosigkeit

Für EU-Bürger in Großbritannien läuft die Anmeldefrist für das Bleiberecht aus

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.

EU-Europäer in Großbritannien leben in stressigen Zeiten. Am Mittwoch geht die Anmeldefrist für das Bleiberecht zu Ende: Das heißt, bis zu diesem Tag müssen sich die EU-Bürgerinnen und -Bürger beim Innenministerium registrieren, um weiterhin uneingeschränkt im Land leben zu dürfen. Das Ende der Personenfreizügigkeit tritt damit endgültig in Kraft.

Es gibt Probleme zuhauf. Hunderttausende warten noch immer auf ihren Bescheid - der Rückstau an unbearbeiteten Anträgen beläuft sich laut Innenministerium auf rund 400 000. Zudem sind zahlreiche Fälle von offensichtlichen Fehlentscheiden bekannt geworden. Auch sind sich viele EU-Bürger gar nicht bewusst, dass sie sich überhaupt registrieren müssen - solche Leute könnten bald im rechtlichen Niemandsland leben, warnen Kampagnen. »Die Angst unter EU-Bürgern ist greifbar«, sagt Elena Remigi vom Projekt In Limbo, das die Erfahrungen von EU-Migranten dokumentiert, gegenüber dem »Guardian«. In Limbo warnt vor einem »sich anbahnenden Desaster«.

Bislang hat das britische Innenministerium rund 5 Millionen EU-Bürgern das Bleiberecht gegeben. Dabei gibt es zwei Kategorien: Wer seit mindestens fünf Jahren im Land lebt, erhält das permanente Niederlassungsrecht, den sogenannten Settled Status; wer hingegen erst später nach Großbritannien gezogen ist, hat Anrecht auf den Pre-settled Status, also das provisorische Bleiberecht - dieses kann nach fünf Jahren umgewandelt werden ins permanente Niederlassungsrecht. In beiden Fällen ist der 31. Dezember 2020 der Stichtag: Wer danach eingereist ist, braucht ein Visum, um hier zu arbeiten und zu leben.

Ein erstes Problem besteht darin, dass die britischen Behörden unterschätzt hatten, wie viele Menschen aus der EU überhaupt im Land leben. Sie waren davon ausgegangen, dass es rund 3,7 Millionen sind - aber 5,6 Millionen haben das Bleiberecht angefordert. Derzeit gehen jeden Tag über 10 000 Bewerbungen beim Innenministerium ein.

Kampagnen wie die EU-Bürgerrechtsgruppe the3million sowie der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan fordern denn auch eine Fristverlängerung, um den Andrang zu bewältigen. Selbst die Hotline, an die sich Leute mit Fragen wenden sollten, ist überlastet: »Wenn jemand irgendein Problem oder eine Frage hat, kommen sie nicht durch«, sagt Monique Hawkings von the3million. »Die Organisationen, die eigentlich helfen sollten, werden überrannt - das System steht kurz vor dem Zusammenbruch.« Die Regierung hat eine Fristverlängerung jedoch abgelehnt.

So sorgen sich EU-Bürger, dass sie auf einmal Probleme bei der Arbeits- oder Wohnungssuche haben werden, oder dass sie das Anrecht auf kostenlose Gesundheitsversorgung verlieren. Besonders vulnerable Menschen laufen Gefahr, ihre Rechte zu verlieren - etwa solche in Pflegeheimen oder in der Obhut der Gemeindebehörden.

Die Regierung versucht, solche Ängste zu zerstreuen. Niemand, der sich nicht rechtzeitig bewirbt, werde umgehend seine Sozialleistungen verlieren, versicherte Minister Foster letzte Woche. Wer sich noch nicht um den Status gekümmert habe, erhalte stattdessen eine 28-tägige Frist, um dies nachzuholen. Zudem wird allen, die sich beworben haben und auf einen Entscheid warten, ein sogenanntes Bewerbungszertifikat ausgehändigt, das sie bei der Arbeits- und Wohnungssuche vorweisen können.

Aber viele EU-Bürger lassen sich dadurch kaum beruhigen. In der Presse ist von zahlreichen Fehlentscheidungen zu lesen, bei denen Menschen, die seit über zehn Jahren im Land leben, kein Recht auf Niederlassung erhalten haben. Zudem geben die Behörden kein physisches Dokument heraus, das EU-Bürger vorweisen können: Der Migrationsstatus ist rein digital. Das hat bereits zu Problemen geführt, bevor die Anmeldefrist überhaupt endet. So sind manche Frauen, die sich unter ihrem Ehenamen beworben haben, aufgrund eines IT-Fehlers unter ihrem Geburtsnamen registriert worden - ohne dass sie sich dessen bewusst waren. Erst als sie ihren Settled Status dem Arbeitgeber vorweisen wollten, wurde der Fehler bemerkt.

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