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An Tagen wie diesen

Kroatien und Spanien zelebrieren in Kopenhagen ein Fußballfest, am Ende unterliegt der Vizeweltmeister

Ist Kopenhagen Europas neue Fußballhauptstadt? Zumindest am Montag hatte es schwer den Anschein, was zuerst einmal an den Fans der kroatischen Nationalmannschaft lag, die ab Mittag zu Tausenden durch die Altstadt spazierten und ihre Schlachtenlieder sangen, während ihnen beim Mitschunkeln aus den Plastikbechern das sündhaft teure Tuborg-Bier auf die rot-weiß-karierten Trikots schwappte.

Irgendwo am Kopenhagener Kastell strömten die singenden Massen links ab in Richtung des schmucken kleinen »englischen« Parken-Stadions, um dort ihre Helden in einem denkwürdigen Achtelfinalmatch anzufeuern, das ein paar Stunden später nicht nur in den Sagenschatz der »Hrvatska«-Kicker eingegangen sein sollte, sondern auch in den der Spanier: Ein 3:5 nach Verlängerung in einem Spiel, das ewig hätte dauern dürfen, aber nach 120 Minuten in den Spaniern schließlich einen würdigen Sieger finden sollte - eine wilde Fußballschlacht, die an die Freuden glückseliger Fußballfeste in Vor-Corona-Zeiten gemahnte.

Dabei wirft das Virus natürlich auch in Dänemark allerlei durcheinander: So hatte es einen Tag vor Anpfiff noch reichlich Tickets auf der Uefa-Seite zu kaufen gegeben und am Spieltag selbst konnte man Karten der ersten Kategorie schließlich statt für 180 Euro für 50 Euro kaufen. Die Kontingente vor allem der spanischen Fans waren nicht abgerufen worden. Und die Kopenhagener, deren Fußballer ja selbst noch im Turnier mitmischen - am Samstag im Viertelfinale gegen Tschechien - ließen sich locken: Die vier Einzeltribünen des Parken waren gut gefüllt: 22 771 Menschen verteilten sich auf die 38 000 Plätze und entfachten einen Lärm, der verdächtig nach ausverkauftem Stadion klang.

Sie bekommen alles geboten, was der moderne Fußball zu bieten hat. Acht Tore und eine bestens eingestellte spanische Mannschaft, die das Spielgeschehen anfangs souverän unter Kontrolle hat und alle Aktionen beständig in Richtung des kroatischen Tores zu lenken vermag. Auf der anderen Seite eine schlagkräftige kroatische Auswahl, die zumindest mit individueller Klasse und einer ausgeprägten Robustheit die Spanier auf Abstand halten kann.

Dann aber der erste Akt des Dramas, auf spanischer Seite: Der überragende Pedri, erst 18 Jahre alt, vom FC Barcelona spielt einen langen Rückpass zu Torwart Unai Simon - passgenau, wohldosiert. Doch Simon scheitert am Einfachsten: der Ballannahme. Das Leder rollt ihm über den Fuß und über 20 weitere Meter ins eigenen Tor. Kroatien führt 1:0 (20. Minute), Simons Eigentor - übrigens bereits das neunte - wird nach Uefa-Reglement nicht Simons, sondern Pedri angerechnet. Die Kroaten jubeln, die Spanier leiden.

Nicht minder kurios die Umstände des Ausgleichs durch die unbeirrt weiter angreifenden Spanier. Weil Ante Rebic dringend den Schuh wechseln muss, ist Kroatien in der 38. Minute kurz in Unterzahl. Konfusion im kroatischen Strafraum, Pablo Sarabia zieht unhaltbar ab - 1:1. Trainer Zlatko Dalić ist erbost, Kapitän Luka Modrić weist Schuhwechsler Rebic noch auf dem Spielfeld zurecht. Was für ein Ärger!

Spanien indes hat wieder die Oberhand, erst recht in der zweiten Halbzeit: 1:2 nach einem Kopfball von César Azpilicueta (57.), und in der 77. Minute das 1:3, als die kroatischen Abwehrspieler nach einer Verletzungspause noch die Wasserflaschen wegwarfen und Fernan Torres hinterhereilten, der aber den Ball routiniert ins Netz schiebt. Manche kroatische Fans werfen ihre Bierbecher gen Rasen, einige brechen verärgert auf - Hopfen und Malz scheinen verloren.

Doch plötzlich erwacht das Kämpferherz der Kroaten und das der Spanier scheint zu schrumpfen: Luka Modrić und Kollegen legen alle Zurückhaltung ab und drängen auf eine Wende. Mit Erfolg: Nach einem Durcheinander befördert Mislav Oršić den Ball zum 2:3 ins Tor (85.). In der zweiten Minute der Nachspielzeit gelingt ihnen das kleine Wunder: Oršić flankt von der linken Außenbahn, der mitgelaufene Mario Pašalić nickt den Ball per Kopf ins Tor (90.+2). Verlängerung!

In der zusätzlichen halben Stunde zeigt sich dann doch ein deutlicher Klassenunterschied: Der überragende Álvaro Morata besorgt in der 100. Minute das 3:4, kurz darauf 3:5 Oyarzabal (103.). Und während Luis Enrique seiner »La Roja« in der letzten Unterbrechung an der Taktiktafel das weitere Vorgehen detailgenau beschreibt, beschränkt sich sein Kollege Zlatko Dalić auf eine emotionale Ansprache an die Truppe. Das reicht nicht: Die Spanier lassen die wütend anrennenden Kroaten kaum noch an den Ball, der Leipziger Dani Olmo trifft sogar noch den Pfosten. Dann ist Schluss, das ganze Stadion steht und applaudiert.

Während die Spanier nun als der neue Titelfavorit gelten und am Freitag auf den Überraschungsviertelfinalisten Schweiz treffen, treten die Vizeweltmeister die Heimreise an. Und vier Millionen Kroaten rätseln nun, ob Heilsbringer Luka Modrić, demnächst 36 Jahre alt, womöglich hinwirft nach der Enttäuschung? »Es ist nicht die Zeit, das jetzt zu entscheiden«, sagte er nach dem Abpfiff. »Wir haben alles gegeben in einem außergewöhnlichen Spiel.«

Auch die Spieler sind sich einig, Teil eines ganz besonderen Fußballabends gewesen zu sein: »Es war ein sensationelles Spiel«, befand Spaniens Kapitän Sergio Busquets. Auch sein Trainer Luis Enrique schwärmte danach auf der Pressekonferenz: »Ich habe schon sehr intensive Spiele als Spieler und Manager erlebt, aber dieses hatte wirklich von allem etwas.«

Der letzte Warnschuss. Frankreich muss nach dem Aus im Achtelfinale gegen die Schweiz viel aufarbeiten, um nicht den Weg anderer Weltmeister
einzuschlagen

Die Fans hingegen spazierten zu Fuß zurück in die Altstadt und suchten sich in den sommerlichen Biergärten ihre Plätzchen und bestaunten den Sensationssieg der Schweiz gegen Frankreich. Fußball kann auch besänftigen: Schon sehr bald herrschte selbst bei den betrunkensten Kroatien-Fans schon wieder Jubel und - Freude am Fußball.

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