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Der direkte Draht zu Putin
Zwischen Corona und Geopolitik: Der russische Präsident stellt sich den Fragen der Bürger
Das Geheimnis ist gelüftet: Mehr als drei Monate nach seiner Impfung hat Russlands Präsident Wladimir Putin verraten, welchen Impfstoff er im März bekommen hat. »Ich bin davon ausgegangen, so lange wie möglich geschützt sein zu müssen«, erzählte der russische Staatschef im Fernsehen, »und habe die Entscheidung getroffen, mich mit Sputnik V impfen zu lassen!« Nebenwirkungen habe es keine gegeben. Zu seiner Entscheidung habe ihn bewegt, dass das Vakzin auch in den Streitkräften verabreicht werde. »Und ich bin immerhin der Oberbefehlshaber!« Warum er sich nicht medienwirksam vor laufenden Kameras impfen ließ? »Hätte man die Impfung nicht in den Arm gemacht, sondern an einer anderen Stelle, hätte man das ja auch zeigen müssen!«
Das Bekenntnis des Präsidenten zum russischen Impfstoff stammt aus der Sendung »Der direkte Draht«, die am Mittwoch von mehreren landesweiten Fernsehkanälen übertragen wurde. Das Gesprächsformat ist als mehrstündige Bürgersprechstunde angelegt, bei der einfache Bürger dem russischen Präsidenten Fragen stellen und von den sie bewegenden sozialen und politischen Problemen aus den russischen Regionen erzählen können. »Der direkte Draht« findet seit 2001 jährlich statt. Im vergangenen Jahr wurde die Sendung wegen der Corona-Pandemie allerdings ausgesetzt.
Auch in diesem Jahr hatte die Lungenkrankheit Einfluss auf die Fragestunde: »Der direkte Draht« wurde diesmal ohne Publikum in einem Studio im Moskauer Internationalen Handelszentrum, Moskwa City, aufgezeichnet. Die Zuschauer konnten ihre Fragen per App an ein eigens eingerichtetes Callcenter schicken. Die beiden Moderatorinnen legten ausgewählte Videoanrufe auf einen Bildschirm oder schalteten ausgewählte Anrufer im Studio zu. Mehr als 1,9 Millionen Fragen sollen nach offiziellen Angaben eingegangen sein.
Wie erwartet kreisten die Fragen der Anrufer zunächst um die Corona-Pandemie. Angesichts der sich verschlechternden epidemiologischen Lage im Land riet Putin den Bürgern dringend zu einer Impfung. Den seit Tagen kursierenden Vorstößen in Richtung einer allgemeinen Impfpflicht erteilte der russische Präsident allerdings eine klare Absage. »Ich unterstütze die verpflichtende Impfung gegen Corona nicht.« Als Begründung verwies Putin auf ein Immunitätsgesetz aus dem Jahr 1998, das verpflichtende Impfungen für russische Bürger genau definiere. Corona-Impfungen seien in diesem bisher nicht gelistet. Stattdessen machte sich Putin für den zweiten Teil des Gesetzes stark, der Ärzten in den Regionen erlaubt, bei steigenden Infektionsraten für bestimmte Bevölkerungsgruppen verpflichtende Impfungen anzuordnen. Auch zur im Land weit verbreiteten Impfskepsis äußerte sich Putin. Die Menschen sollten besser nicht auf »Leute hören, die davon nichts verstehen und Gerüchte verbreiten, sondern auf Experten«. Die Folgen einer Corona-Infektion könnten für Ungeimpfte groß sein. Im Übrigen seien die zahlreichen Impfskeptiker kein ausschließlich russisches Phänomen. Es gebe sie »nicht nur in unserem Land, sondern auch im Ausland«. Hart vorgehen will der Präsident gegen gefälschte Impfzertifikate. Die Fälschungen beträfen die Gesundheit, seien ein »Verbrechen« und somit »völlig inakzeptabel«. Die Strafverfolgungsbehörden seien bereits aktiv.
Nach seinen Ausführungen zu Corona beantwortete der russische Präsident die Frage nach einem möglichen Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten. »Warum sollte ich mich mit Selenskyj treffen, wenn er sein Land komplett unter Verwaltung von außen gebracht hat?«, so Putin. »Schlüsselfragen der ukrainischen Staatstätigkeit werden nicht in Kiew entschieden, sondern in Washington und zum Teil in Berlin und Paris!« Grundsätzlich lehne er das Treffen, das Wolodymyr Selenskjy vor mehreren Wochen ins Gespräch brachte, aber nicht ab. Im Gegensatz zur Kiewer Führung sähen einfache Ukrainer Russland nämlich positiv, zeigte sich Putin überzeugt. »Denn ich glaube nicht, dass uns das ukrainische Volk unfreundlich gegenübersteht. Ich habe es schon oft gesagt und ich kann das nur immer wieder sagen.« Dies sei auch der Grund dafür, dass Moskau die Ukraine - im Gegensatz zu Tschechien und den USA - nicht auf die im Mai veröffentlichte Liste unfreundlicher Staaten gesetzt habe. Putin wiederholte seine Einschätzung, wonach Russen und Ukrainer keine eigenen Nationen sind, sondern zusammen eine große Gemeinschaft bilden. »Russen und Ukrainer sind ein Volk!«
Auch die steigendenden Preise auf Grundnahrungsmittel wie Brot und Kartoffeln nahmen viel Platz in der Fragestunde ein. Diese und Obst und Gemüse würden in Qualität und Quantität nur unzureichend hergestellt, konzedierte Putin. Auch die staatliche Regulierung der Lebensmittelpreise funktioniere bisher nur unzureichend. Gegenwärtig setze er seine Hoffnungen auf die kommende Ernte. Dann würden die Preise hoffentlich sinken.
Eng verbunden mit dem Ernährungsthema beschrieb Putin die westlichen Sanktionen gegen Russland als wirkungslos. Die Wirtschaft habe sich an die Strafmaßnahmen nicht nur angepasst, sondern profitiere teilweise sogar von den Sanktionen. Viele landwirtschaftliche Produkte, die früher importiert wurden, stelle man nun selbst im Land her. Egal welche Sanktionen verhängt würden: »Russland entwickelt sich trotzdem.«
Anschließend wandte sich der russische Präsident der Auseinandersetzung um den britischen Zerstörer »HMS Defender« zu, der in der vergangenen Woche durch von Russland beanspruchte Gewässer im Schwarzen Meer kreuzte. Dabei habe es sich zweifellos um eine Provokation der USA und Großbritanniens gehandelt. Offenbar habe man die russische Reaktion auf das Vordringen des Kriegsschiffes beobachten wollen. Russland - das den Zerstörer mit einer Salve vor den Bug zum Abdrehen brachte - habe adäquat reagiert. »Selbst wenn wir das Schiff versenkt hätten, wäre es immer noch schwer vorstellbar, dass dies die Welt an den Rand des Dritten Weltkriegs gebracht hätte.«
In diesem Zusammenhang legte Putin auch seine Gedanken zu seinem kürzlichen Treffen mit US-Präsident Joe Biden dar. Washington habe mit dem Gesprächsangebot anerkannt, dass sich die Welt rapide wandle und Russland ökonomisch und militärisch immer stärker werde. »Unsere Partner in den Vereinigten Staaten verstehen das einerseits, aber andererseits versuchen sie immer noch, ihre Monopolstellung um jeden Preis zu bewahren«, sagte Putin, »und daher rühren die Drohungen und das destruktive Verhalten mit Übungen, Provokationen und Sanktionen.« Washington müsse seine Werte überdenken.
Zum Ende des Gesprächs äußerte sich der 68-Jährige auch zu seinem möglichen Rückzug aus der Politik. »Ein heiliger Ort bleibt nicht leer, niemand ist unersetzbar«, zitierte Wladimir Putin ein russisches Sprichwort. Den Zeitpunkt seines Abtritts will der russische Staatschef allerdings selbst bestimmen. »Und ich hoffe, dass ich sagen kann, dass dieser oder jener Mensch meiner Meinung nach würdig ist, solch ein wunderbares Land zu führen.«
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