Zur Jobsuche im Ausland genötigt

Viele Krankenschwestern aus den Philippinen suchen sich einen besser bezahlten Job im Ausland. Der Regierung ist das ein Dorn im Auge

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Philippinen verfügen über reichlich gut ausgebildete Pflegekräfte. Doch weil die Entlohnung im Heimatland so schlecht ist, suchen viele einen Job in Übersee. Die Regierung ist gerade in der Coronazeit bestrebt, den Exodus zu mit Quoten begrenzen. Vor wenigen Tagen entschied sie, dass in diesem Jahr noch maximal 1500 Krankenschwestern aus dem südostasiatischen Inselstaat die Erlaubnis bekommen, eine Stelle im Ausland anzutreten. Damit können vor allem jene aufatmen, die im Mai Verträge unterzeichnet haben. Denn eigentlich war in jenem Monat bereits das Jahressoll von 5000 ausgeschöpft. Ohne die jetzt verfügte Anhebung der Quote hätten selbst viele, die einen lukrativ erscheinenden Job schon in der Tasche hatten, das Nachsehen gehabt. Es obliegt nämlich der Arbeitsbehörde DOLE, die notwendige Zustimmung zur Ausreise zu erteilen. Die strenge Quotierung bei den Pflegekräften ist keine Ausnahme. Auch in einigen anderen Branchen gibt es jährliche Obergrenzen.

So erleichtert nun manche Familien über die zusätzlichen Plätze für Krankenschwestern sind: Ausreichend sei die Anhebung längst nicht, moniert der größte Interessenverband Filipino Nurses United. »Das ist eine positive Entwicklung, aber wir hoffen, dass die Beschränkung komplett aufgehoben wird«, sagte Generalsekretärin Jocelyn Andamo, die von Filipino Nurses United, gegenüber Reuters. Noch deutlicher wurde sie in ihrem Statement bei Euronews: »Es ist sehr unrealistisch im Vergleich zum enormen Bedarf an Krankenschwestern.«

Tatsächlich hatten vor zwei Jahren noch 17 000 Pflegekräfte die Philippinen vor allem in Richtung Nordamerika und Europa verlassen. Eine Obergrenze gab es da noch nicht. Im Juni 2019 verkündete Arbeitsminister Silvestre Bello am Rande einer Jobmesse gegenüber der Philippine News Agency, man denke über eine Quote nach, wie es sie schon bei Bauarbeitern gebe. Die Philippine Nurses Association (PNA) hatte den Minister da gerade darauf hingewiesen, dass es im Inland bereits einen Mangel an Pflegekräften gebe.

Das war rund neun Monate vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Diese verstärkte in der Politik die Sorge, die Krankenhäuser auch noch in einen personellen Notstand zu stürzen, sollte man der Abwanderung nicht einen gewissen Riegel vorschieben. 2020 verkündete Präsident Rodrigo Duterte dann die Obergrenze.

Es sei verständlich, wenn sich die Menschen attraktivere Stellen im Ausland suchten, ließ sich Minister Bello unlängst vernehmen, aber man müsse auch die eigenen Interessen im Blick behalten. Er selbst, ließ er durchblicken, kann sich für dieses Jahr aber noch eine zweite Anhebung der Quote vorstellen. Von der geltenden Begrenzung ausgenommen sind übrigens Kontingente, die in bilateralen Verträgen mit anderen Staaten vereinbart sind. Auch die Bundesrepublik Deutschland hat Interesse, unter diese Ausnahmeregelung zu kommen, denn philippinische Krankenschwestern gelten als gut ausgebildet.

Menschliche Arbeitskraft ist sozusagen das wichtigste Exportgut des Inselstaates. Filipinos stellen die größte nationale Gruppe unter den Seeleuten auf den Weltmeeren, Bauarbeiter sind vor allem in den Golfstaaten gefragt, auch die Hälfte der in Hongkong tätigen Haushaltshilfen kommt von den Philippinen. Unter zehn Millionen Einwohnern, die als Arbeitsmigranten irgendwo in der Fremde tätig sind und pro Jahr zuletzt 30 Milliarden US-Dollar an Heimatüberweisungen tätigten, sind auch die Krankenschwestern. In den Kliniken des bevölkerungsreichsten US-Bundesstaates Kalifornien zum Beispiel hat nach Angaben der lokalen Arbeitsbehörden jede fünfte Pflegekraft einen philippinischen Pass.

Ganz freiwillig ist dieser Exodus nicht. Getrieben wird er vor allem durch die ex-trem schlechte Bezahlung in der Heimat. In den USA, Kanada oder Großbritannien lässt sich - dank guter Englischkenntnisse in der einstigen US-Kolonie ohne aufwendigen Sprachkurs - derzeit ein Anfängergehalt von 118 000 bis 205 000 Pesos (umgerechnet 2000 bis 3500 Euro) erzielen. Daheim können die Frauen von solchen Summen nun träumen.

Selbst im südostasiatischen Vergleich ist die »Schwesternschmiede« Philippinen mit das Schlusslicht. Nur auf gut 40 000 Pesos (knapp 700 Euro) kommt dort eine Pflegekraft im Monat. Man muss nicht mal auf den reichen Stadtstaat Singapur (236 000 Pesos) blicken - auch in Malaysia, Thailand und selbst Indonesien wird im Schnitt wenigstens doppelt so viel gezahlt wie auf den Philippinen. Dort haben laut Berichten zuletzt 200 000 Krankenschwestern ihren Beruf aufgegeben.

In der Coronakrise gewährte die Politik zwar einige finanzielle Vergünstigungen. Auf eine allgemeine Lohnanhebung warten die Betroffenen aber noch immer vergeblich. Dieser Tage wurde immerhin eine Umgruppierung bei den Gehaltsklassen revidiert, die zuvor für etliche Beschäftige sogar Reallohnverluste bedeutet hatte. Echter Lohnzuwachs ist jedoch weiter nicht in Sicht.

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