Die Kunst des Raunens

  • Mario Pschera
  • Lesedauer: 2 Min.

Neulich postete eine Freundin einen »impfskeptischen« Beitrag von einer »Internetz-Zeitung« mit einer Postfachadresse im Impressum. Neben der für solche Medien üblichen Mixtur aus Wikipedia-Versatzstücken, Verweisen auf die Meinung von Experten von jwd (ohne Quellenangabe), Links auf Youtube-Videos und andere »alternative« Blogs fanden sich recht schnell Berichte von »Satanistenpartys« der US-Demokraten (von denen einige Juden sind), Mutmaßungen zu CIA- und Nato-Operationen und »herrschenden Eliten« und schließlich die »Judenfundamentalisten«. Der Verweis auf die »Mainstreammedien« durfte nicht fehlen. Als ich die Freundin fragte, warum sie, die sich politisch links einordnet, Nazi-Propaganda weiterverbreite, war sie beleidigt.

War mein Urteil zu harsch? Schließlich wurde in dem Artikel nicht behauptet, die Juden hätten aus Geldgier die Pandemie erfunden. Unethische Experimente hat es in der Medizingeschichte tatsächlich gegeben, so an Häftlingen oder Nichtweißen; CIA und Nato sind keine Verteidiger der Demokratie; und dass Menschen mit entschieden zu viel Geld, das sie von anderen erarbeiten lassen, gern ihren Reichtum dazu nutzen, politischen Einfluss zu nehmen, um wiederum noch mehr Reichtum anzuhäufen, ist auch eine Binsenweisheit, die derzeit gerade von dieser »Alternativ«-Partei mit den obskuranten Gönnern aufs Schönste bestätigt wird.

Was unter anderem an dem Artikel störte, war dieses Raunen von »Mächten«, der wabernde Nebel von aneinandergereihten Fakten (oder Nichtfakten), aus dem immer wieder als Juden kenntlich gemachte Menschen als Akteure auftauchen. Wenn sonst alles undurchschaubar ist - dass da immerzu Juden eine Rolle spielen, das kann doch kein Zufall sein? In der Kommunikationswissenschaft nennt man das Framing - die Reduktion komplexer Sachverhalte unter Hervorhebung bestimmter Aspekte und Erzählmuster. Diese Engführung ermöglicht das Behaupten einfacher Rezepte und das Benennen vermeintlich Schuldiger, deren Eliminierung das Problem verschwinden lässt. Von systemischen Ursachen, etwa sozialer Ungleichheit, muss dann nicht mehr gesprochen werden. In Deutschland war »Die Juden sind unser Unglück« für zwölf Jahre Staatsdoktrin. Framing funktioniert heute auch mit dem Trigger- bzw. Reizwort »Muslim«. Oder »Radfahrer«, um Kurt Tucholsky zu zitieren.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.